Fiskalpolitische Unwägbarkeiten geben Grund zur Sorge
Wie zu erwarten gewesen war, beließ die Notenbank (MNB) den Leitzins bei sechs Prozent. Im Hinblick auf das Wirtschaftswachstum des Landes korrigierte die MNB ihre Prognose aber massiv nach unten. Angesichts der von der Regierung angekündigten einschneidenden fiskalpolitischen Maßnahmen, die auf das Halten des Budgetdefizitziels 2012 in Höhe von 2,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) abzielen, prognostizierte die Nationalbank ein Wachstum von bloß einem Prozent für 2012. Zum Vergleich: Vor einigen Monaten war die MNB noch von einem Wachstum in Höhe von 2,7 Prozent des BIP ausgegangen.
Zugleich erhöhte die Notenbank ihre Inflationsprognose für 2012 von ursprünglich 3,9 auf 4,7 Prozent. Aus der MNB wurde diesbezüglich aber erklärend hinzugefügt, dass die Inflationsschübe zeitlich begrenzt sein würden, weshalb auch kein Kurswandel bei der monetären Politik notwendig sei. Auswirkungen auf die Politik der Notenbank könnte indessen die fiskalpolitische Unstetigkeit der Regierung haben. Neben der ungelösten Schuldenkrise in der Eurozone wird die äußere Wahrnehmung Ungarns insbesondere durch die Unwägbarkeiten der ungarischen Wirtschaftspolitik getrübt. Diese beiden Faktoren könnten letztlich dazu führen, dass der Leitzins in naher Zukunft vielleicht doch erhöht werden könnte.
Nur um die fiskalpolitische Unberechenbarkeit des Landes zu veranschaulichen: Anfang vergangener Woche zeigte sich die Regierung noch fest entschlossen, an der pauschalen Einkommensteuer (Flat Tax) festzuhalten. Später ruderte sie indes zurück. Angesichts des Trommelfeuers an Kritik und der absehbaren Verluste, die Niedrigverdiener durch die Streichung der Steuererleichterungen zu gewärtigen hätten, entschied sie sich dazu, auch die vermögenden Steuerzahler zur Kasse zu bitten. Dies könnte durch die Abkehr von ihrem ursprünglichen Versprechen, die Steuerbemessungsgrundlage der Reichen zu senken (durch die Streichung der Bemessungsgrundlage der sogenannten Superbruttosteuer), geschehen.
Dadurch wird es bei der Einkommensteuer aber praktisch zwei Steuersätze geben. Also doch keine Flat Tax. Die Regierung will nun aber auch auf die Minimallohnverdiener Rücksicht nehmen. Wegen der geplanten Maßnahmen müssten auch diese erhebliche Einschnitte hinnehmen. So schlägt die Regierung jetzt vor, den Minimallohn von derzeit 78.000 auf 92.000 Forint zu erhöhen, was ein Anstieg von nahezu 18 Prozent wäre. Sollte es tatsächlich zu einer derart drastischen Anhebung des Mindestlohns kommen, dürften die Unternehmen – sofern ihre Zusatzkosten nicht kompensiert werden – eher billige „öffentliche Arbeiter“ anstellen, als Vollzeitstellen für Mindestlohnverdiener zu schaffen. Dies würde jedoch ausgerechnet dem Steckenpferd der Regierung, der Beschäftigungspolitik, zuwiderlaufen.
Wenn wir schon beim Thema Arbeitsmarkt sind, dann geben die jüngsten Zahlen nicht gerade Grund zum Optimismus. Die Arbeitslosenrate blieb im Zeitraum Juni bis August unverändert bei 10,8 Prozent. Während die Beschäftigungsrate in der Altersgruppe der 15- bis 74-Jährigen zum ersten Mal seit dem Dezember 2008 die 50-Prozent-Marke erreichte (was im internationalen Vergleich doch ein ziemlich niedriger Wert ist), betrug das Beschäftigungswachstum im Vergleich zum Vorjahr lediglich 0,8 Prozent. Dies zeigt, dass die ambitionierten Regierungspläne in Sachen Arbeitsplatzbeschaffung von der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums durchkreuzt werden. Was die Arbeitslosigkeit betrifft, gehen wir davon aus, dass diese bis 2013 zweistellig bleiben wird. Grund zur Sorge gibt hierbei, dass die Zahl der Personen, die über ein Jahr arbeitslos sind von 50,7 auf 51,5 Prozent gestiegen ist. Die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit in Ungarn stieg von 18,2 auf 18,6 Monate.
Unter solchen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass die Konsumaussichten denkbar schlecht sind. Der Konsumentenvertrauensindex fiel im September auf -47,2 Punkte, was der niedrigste Wert seit dem Februar des Vorjahres ist. So ist wohl kaum zu erwarten, dass die Binnennachfrage dem Wirtschaftswachstum des Landes spürbare Impulse geben wird, obendrein ist auch die externe Nachfrage rückläufig. Wenn wir nun auch noch die unberechenbare Fiskalpolitik hinzunehmen, dann haben wir einen negativen Mix vor uns, den Ungarn in diesen Tagen am wenigsten braucht.