Unendliche Leere und Trostlosigkeit auf 120 Seiten
In Esther Kinskys Erstlingsroman „Sommerfrische“ wird die ungarische Siedlung Üdül? zum Zufluchtsort vor der unerträglichen Hitze und der damit einsetzenden Trockenheit. Hier sollen sich die Träume von Liebe und Freiheit erfüllen, während Sehnsucht nach einem neuen Leben entsteht.
D ie Autorin entführt den Leser tief in den Süden Ungarns. Die Geschichte handelt nur von dem Ort Üdül?. In dieser Ferienkolonie wurde früher die „Sommerfrische“ verbracht. Mittlerweile erinnert jedoch nichts mehr an fröhliche Tage. „Hier ist alles öde, verlassen und überdrüssig“, beschreibt Kinsky. Früher trat das Wasser über die Ufer, und die Einwohner hatten mit Hochwasser zu kämpfen.
Doch in diesem Sommer führt das Flussbett kaum Wasser, den Kneipenwirt Lacibácsi und die Dorfbewohner quält die drückende Hitze. Kinsky nutzt neue Wortschöpfungen und nicht enden wollende Sätze, um die unendliche Leere und Trostlosigkeit in der Tiefebene zu beschreiben. Es geht hier um das nackte Überleben der postkommunistischen Dorfgesellschaft, die jegliche Stimmung und Lebensfreude verloren hat.
Fremde Frau erschüttert Alltagstrott
Doch auf den knapp 120 Seiten ist es genau das Überleben, was die Gemeinschaft und das Leben im Lot hält. Kinsky beschreibt die einzelnen Bewohner und ihr Tagwerk. Doch diese gelebte Harmonie gerät aus den Fugen, als eine fremde Frau nach Üdülö kommt. Antal hat für die Neue alles verlassen, was ihm lieb und teuer war: Frau, Kind, Hund und seine geliebten Pfauen. Antal sagt selbst: „Jetzt fahre ich mit der Neuen Frau in den üdül?. Sie versteht nichts von diesem Leben, aber das wird sie lernen. Sie sitzt im üdül? wie ein Fels, ein kleiner Fels in dieser Landschaft im Dreck, wo es keinen einzigen Berg und keine Handvoll Gestein gibt, geh bloß nicht schwimmen, habe ich zu ihr gesagt, Du wirst sinken wie ein Stein, solche wie dich kann dieses Wasser nicht tragen…“
Doch die verschlossene Frau integriert sich nur sehr schwer im Dorf. Durch ein Missverständnis nimmt ihr Leben ein tragisches Ende, was jedoch im Dorf unter den Tisch gekehrt wird. Nach kurzer Zeit geht wieder jeder seiner Arbeit nach, die Neue Frau vermisst niemand.
Kinskys Debüt endet in landschaftlichen Beschreibungen, die einen Aufbruch in eine neue Zeit symbolisieren könnten. Eines ist jedoch klar: Jedoch nicht im üdül?, sondern an einem anderen Ort.
Wenn das Lesen ein Kampf ist
Das Lesen des Romans fällt schwer. Von Kapitel zu Kapitel kämpft man sich regelrecht durch. Überall gegenwärtig scheint die drückende Hitze, wobei man sich die Frage stellt: Warum tue ich mir das an? Trotz dieses Bewusstseins, dass es einem selbst besser geht und für einen persönlich dieses Szenario unrealistisch ist, liest man den Roman zu Ende. Jedoch ist der Leser danach froh, in sein eigenes Leben zurückkehren zu können, wo Klimaanlagen, soziale Netzwerke und Luxus auf einen warten. Luxus von dem die Bewohner üdül?s nur träumen können.
Esther Kinsky:
Sommerfrische, Roman
Matthes & Seitz, Berlin 2011
Gebunden, 128 Seiten
Euro 16,80