Wo die Menschen sich selbst auf der heimatlichen Scholle fremd fühlen
Der 2011 erschienene Roman „Banatsko“ von Esther Kinsky ist eine Art Fortsetzung des Erstlingsromans „Sommerfrische“. Dabei setzt sich die Autorin mit der historischen Region Banat auseinander, die heute auf die Staaten Rumänien, Serbien und Ungarn aufgeteilt ist. Sie beschreibt nicht nur ihre Eindrücke, die sie während Reisen gesammelt hat, sondern auch ihre Beobachtungen in Battonya, einem kleinen Örtchen zwischen der ungarischen Stadt Szeged und der rumänischen Stadt Arad, wo sie sich ein Haus gekauft hat.
Es ist die Hommage an eine bereits vergessene Region am Rande Europas. Mit ihrem individuellen und einfühlsamen Stil verarbeitet sie ihre Erlebnisse. Dabei merkt der Leser deutlich, dass sie sich auf die Menschen eingelassen hat. Ihre Ankunft im 7000-Seelen-Ort Battonya beschreibt sie folgendermaßen: „Am nächsten Tag, als die unbefestigten Straßen in Schlammwüsten verwandelt sind, finde ich ein Haus, zufällig wie einen Glücksgroschen am Straßenrand oder eine kleine schwarze Katze im Gras. Ein großes altes gelbes Haus…“ Das Objekt der Begierde kauft Kinsky kurzerhand, nachdem sie sich mit dem Besitzer auf Serbisch verständigt und einen Schnaps getrunken hat. So wie man das eben in dieser Ecke der Welt macht.
Eine Handlung im Roman sucht man vergebens
Es ist die Fortsetzung der „Beobachtungen aus dem üdül?“ im Roman „Sommerfrische“. Sie schaut dem Landstrich dabei in die Seele. Vergisst aber auch nicht „das Kriegsgestöhn“ der Vergangenheit – fernab politischer Dimension. Eine Handlung im Roman sucht man jedoch vergebens. Den Bewohnern ist die „Ebene fremd“, in der sie leben, trotzdem füllt sich am Abend die Kneipe des Wirts und es wird gesungen. So vergessen die Menschen die Melancholie für einen Moment.
Unverkennbar für Kinsky sind die unendlichen Satzkonstruktionen, mit denen sie den Leser in eine Art Leerraum entführt, der den eigenen Alltag vergessen lassen soll: „In einer Gegend wie dieser, wo weder Hügel noch Schluchten in die Landschaft greifen, wo sich keine Wälder vor den Horizont stellen und keine Seen erstrecken, von einem Meer einmal ganz zu schweigen, wo es keine Flüsse gibt, sondern Wasseradern, die so dicht unter der Erde verlaufen, dass sie in regenreichen Zeiten einfach empor quellen und das Land mit einem ebenmäßigen Wasserspiegel überziehen, in einer solchen Gegend also, wo die Erde im Sommer unter der brennenden Sonne über den ausgetrockneten Adern birst und kleine Schlünde bildet, als schickte sich dort ein Gebirge an, da ist die Grenze etwas Merkwürdiges, weil sie so erscheinungslos ist, irgendwo liegt sie da im Land wie eine sehr lange leblose Schlange und will das Schicksal entführen.“
Das Lesen erfordert Konzentration, mehr Satzzeichen wären hilfreich
Das Lesen erfordert Konzentration, Kinsky könnte dem Leser helfen, wenn sie mehr Satzzeichen verwenden würde. Interpretieren wir es einfach als ein gewolltes Stilmittel – eine Art Markenzeichen. Es bleibt abzuwarten, welches Projekt sie als nächstes angeht. Ein weiteres Buch über die Grenzregion ist nur schwer vorstellbar.
Esther Kinsky:
Banatsko, Roman
Matthes & Seitz
Berlin 2009
Gebunden, 246 Seiten
Euro 19,90