„Ungarn könnte sich bei E-Mobilität super profilieren“
Seit gut einem Jahr werden die Budapester Elektrizitätswerke, ELM? NyRt., von Marie-Theres Thiell geführt. Gegenüber der Budapester Zeitung äußert sie sich zu einigen aktuellen Fragen der ungarischen Energiepolitik. Außerdem wirbt sie für eine Stromanwendung, die ihr besonders am Herzen liegt: E-Mobilität.
ELM?-Vorstandsvorsitzende Marie-Theres Thiell: „Budapest ist prädestiniert für eine Verbreitung von E-Fahrzeugen.“
Wie zufrieden sind Sie mit der momentanen Energiepolitik der Regierung?
Die wesentlichen Hauptstoßrichtungen der Energiepolitik der neuen Regierung sind richtig. In Ungarn gibt es insbesondere bei der Heizung von Gebäuden noch enorme Reserven in der Energieeffizienz. Dieses Thema, aber auch die Diversifizierung der Energiebeschaffung tragen wesentlich zur Minderung der Energieabhängigkeit Ungarns bei. Die europäische Energiepolitik legt ihren Fokus ganz stark auf erneuerbare Energien und die Verminderung der CO2-Emissionen. Hier muss auch Ungarn seinen Beitrag zur gemeinsamen europäischen Klimapolitik leisten.
Wie sieht es bei der Festsetzung der Verbraucherpreise aus?
Bei den konkreten Verhandlungen mit dem Regulator bezüglich der Preisgestaltung sind wir ganz gut unterwegs. Jetzt müssen wir mal abwarten. Die Regierung hat sich dahingehend geäußert, dass sie beim Strom eine Erhöhung der Endkundenpreise möglichst vermeiden möchte. Das ist eine Herausforderung für uns. Aber die Kosten der Energiewirtschaft müssen gedeckt werden und eine gewisse Inflation muss ebenso eingepreist werden, um das heutige Niveau der Versorgungssicherheit halten, beziehungsweise verbessern zu können. Prinzipiell ist für uns die Stabilität des Regulierungssystems sehr wichtig. Sie ist die Voraussetzung für weitere Investitionen in die ungarischen Netze, die noch weitere erhebliche Modernisierungen brauchen.
Wie steht es um die Kompromissbereitschaft des Staates?
Wir sind in guten Gesprächen miteinander. Jetzt müssen wir schauen, wie wir damit zurechtkommen. Die Preisgestaltung hängt natürlich auch maßgeblich davon ab, wie sich der Energiepreis europaweit entwickelt. Es ist abzusehen, dass sich auf Grund des Atomausstiegs in Deutschland die Preise europaweit zwangsläufig erhöhen werden.
Ungarn wird also vom deutschen Atomausstieg negativ berührt?
Da gibt es keinen Zweifel. In Deutschland fallen bedeutende Mengen an Stromerzeugungskapazitäten aus, etwa in der Größe der gesamten ungarischen Kapazitäten. Da Deutschland diese Lücke nicht aus eigener Kraft schließen kann, muss es Strom importieren. Der Verbrauch geht ja nicht zurück. Auf einem Markt, wo das Produkt knapper wird, steigen jedoch die Preise. Es gibt natürlich in Europa überschüssige Stromerzeugungskapazitäten, insbesondere in Tschechien und in Frankreich. Dort laufen die Atomkraftwerke ja noch alle. Warten wir aber erst einmal den Winter ab, wenn es richtig kalt wird und mehr Strom benötigt wird, während jedoch etwa die Erzeugung aus Windkraft in Deutschland wegen der Wettersituation zurückgeht. Diese Situation wird sich preistreibend auf das europäische Strompreisniveau auswirken. Die europäischen Strompreise bilden sich maßgeblich an der Leipziger Strombörse. Besonders die ungarischen Strompreise sind damit stark verbunden. Nicht zuletzt deshalb, weil Ungarn ein Nettoimporteur ist.
Wie steht es um die Zukunft des ungarischen Energiemixes?
Ganz klar hat sich die ungarische Regierung für die Erweiterung des Atomkraftwerks Paks ausgesprochen. Als sicher gilt auch, dass der Anteil regenerativer Energieträger erhöht werden soll. Wir selbst werden über unser Kohlekraftwerk Mátra, an dem unsere Muttergesellschaften RWE und EnBW mehrheitlich beteiligt sind, auf absehbare Zeit zur ungarischen Energieversorgung beitragen. Die dortigen Kohlevorräte reichen noch mindestens für sechzig Jahre. Stetig investieren wir bei diesem Kraftwerk in die Erhöhung des Wirkungsgrads und die Verringerung der Abgasemissionen etwa durch Mitbefeuerung von Biomasse unter anderem aus landwirtschaftlichen Abfällen der Region.
Planen Sie den Bau weiterer Kraftwerke?
Wir würden gerne in ein Pumpspeicherwerk investieren, das an unserem Standort Mátra für Regelenergie sorgen würde. Je mehr erneuerbare und dezentrale Energien Ungarn bekommt, desto mehr braucht das Land Ausgleichsenergien. Eine entsprechende Konsultationsphase im Vorfeld eines Genehmigungsverfahrens läuft bereits. Wenn alles zügig vorangeht, dann könnte 2013 bereits der erste Spatenstich erfolgen und das fertige Kraftwerk ab 2015 den ersten Strom liefern. Es wäre übrigens das erste ungarische Pumpspeicherwerk.
Sie scheinen mit den energiepolitischen Rahmenbedingungen also insgesamt keine größeren Probleme zu haben.
Wir haben von vornherein gesagt, dass wir verstehen, welche Sorgen der ungarische Staat hat. Auf der anderen Seite muss aber auch der ungarische Staat sehen, dass wir mit unseren beiden Gesellschaften ELM? und EMÁSZ jährlich durchschnittlich etwa 30 Milliarden Forint investieren, hauptsächlich in die Erneuerung des ungarischen Stromnetzes. Von dieser Größenordnung sind wir auch in den Krisenjahren nicht abgegangen. Darüber hinaus sind wir für sehr viele Arbeitsplätze verantwortlich, bei uns und bei unseren Subunternehmern. Auf Grund aller bisherigen in guter, konstruktiver Atmosphäre verlaufenen Gespräche mit Vertretern des ungarischen Staates bin ich fest davon überzeugt, dass sich unsere ungarischen Partner über unsere volkswirtschaftliche Bedeutung voll im Klaren sind. Auch unsere Beziehungen zur ungarischen Hauptstadt sind gut.
Wie hoch ist als Tochterfirma Ihre Handlungsautonomie vor Ort?
Wir haben eine sehr hohe lokale Entscheidungsgewalt. Gemeinsam mit meinen ungarischen Kollegen bin ich voll verantwortlich für das operative Geschäft in Ungarn. Es kann also keine Rede davon sein, dass wir aus Deutschland heraus dirigiert werden. Unser Gewinn wurde bisher noch nie voll ausgeschüttet. Große Teile davon wurden immer vor Ort für Investitionen genutzt. Von dem in der ungarischen Öffentlichkeit pejorativ verwendeten Wort „Multi“ haben wir uns nie angesprochen gefühlt.
Wie sieht es mit dem Thema E-Mobilität aus?
Letzen September waren wir es, die die erste Stromtankstelle Ungarns eingeweiht haben. Wir verfolgen das Thema weiterhin mit Nachdruck. Auch wenn sicher ist, dass wir damit in absehbarer Zeit kein Geld verdienen werden. Als Unternehmen muss ich mir überlegen, in welche Richtung ich meine PR, mein Marketing und Sponsoring lenke. Unsere Unternehmensgruppe – im völligen Einklang mit der ungarischen Energiepolitik – setzt sehr stark auf Energieeffizienz und neue Technologien. Das ist unsere Botschaft. Damit sind auch unsere Anzeigen kombiniert. Mit unserem Einsatz für E-Mobilität haben wir uns für etwas entschieden, das direkt mit unserem eigenen Geschäft verbunden ist und auch das Land voranbringt.
Auf die Dauer werden Sie alleine aber sicher nicht der E-Mobilität in Ungarn zum Durchbruch verhelfen.
Sicher, daher würde ich mir wünschen, dass die ungarische Regierung unsere Initiative aufgreifen und unterstützen würde. Schließlich könnte sie damit hervorragend Ungarns Selbstverständnis als innovativer Automobilstandort unterstreichen. Abgesehen davon ist Budapest prädestiniert für eine Verbreitung von E-Fahrzeugen, schließlich legen die meisten Budapester Autofahrer täglich nur kurze Wege zurück: Durchschnittlich nur etwa 24 Kilometer, also eine Distanz, die ideal für E-Autos wäre. Dass solche Autos natürlich auch der Qualität der Budapester Luft zuträglich sind, versteht sich von selbst.
Wie geht es mit dem Aufbau des Stromtankstellennetzes weiter?
Bis Ende des Jahres werden wir in Budapest definitiv – sofern mit den Genehmigungen alles planmäßig läuft – sechs weitere Säulen der Nutzung übergeben. Im Gespräch sind wir mit der hauptstädtischen Selbstverwaltung über mögliche Standorte wie etwa den Clark Adam tér an der Kettenbrücke. Ganz wichtig ist uns, die Ladestationen an prominenten Stellen zu positionieren. Auch bei den Autos werden wir weiter zulegen. Momentan haben wir zwei Elektro-Autos. Kurzfristig werden drei weitere folgen, die in unserer Flotte im Tagesgeschäft eingesetzt werden.
Um welche Automarken geht es?
Um Marken unserer strategischen Partner Citroen, Peugeot und Mitsubishi. Bisher bieten nur diese Hersteller lokal serienmäßig E-Fahrzeuge an. Wir wollen nur solche Fahrzeuge präsentieren, die jeder Ungar vor Ort bei einem Autohändler kaufen kann. Sonst nützt das ja nichts. Ebenso wichtig ist natürlich ein vorhandener Servicehintergrund.
Wie sieht es hinsichtlich weiterer E-Autos in Budapest aus?
Wir haben am 14. Juni eine so genannte „E-Community“ gegründet. Ihr gehören unter anderem die Händler der drei genannten Marken an. Es gibt drei weitere Mitgliedskategorien. Es gibt Ordentliche Mitglieder, die sich verpflichten müssen, mindestens ein Auto und eine Ladestation anzuschaffen. Unterstützende Mitglieder wiederum steuern einen gewissen finanziellen Beitrag bei. Und dann gibt es auch noch Mitglieder, die als Gäste des Netzwerks dessen Leitgedanken unterstützen. Unser erstes Ordentliches Mitglied ist übrigens die Firma ABB. Derzeit laufen Gespräche mit weiteren Interessenten.
Was ist die Motivation für die Ordentlichen Mitglieder?
Unter anderem der positive Imageeffekt, wenn von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, dass die Firma E-Fahrzeuge benutzt. Schließlich stehen diese für Umweltbewusstsein und Innovation. Außerdem sind sie zurzeit auf Grund ihres Seltenheitswertes noch ein echter Blickfang. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir den Strom für die Fahrzeuge umsonst zur Verfügung stellen. Erst einmal bis Ende des Jahres. Wir werden diese Frist aber mit Sicherheit verlängern.
Welche Kosten kommen auf die Ordentlichen Mitglieder zu?
Sie müssen ein Auto und eine Ladestation kaufen. Bei Citroen kosten die E-Modelle zwischen 11 und 12 Millionen Forint. Bei Mitsubishi um die 10 Millionen Forint. Sie können auch geleast werden. Bei den Ladeinfrastrukturlösungen bietet ELM? ein breites Portfolio an, angefangen von einer einfachen Ladebox zur Wandmontage beispielsweise in einer Garage bis hin zu einer intelligenten Ladestation mit automatischer Freischaltungs- und Abrechnungssoftware zur Montage im Außenbereich. Abhängig von der gewählten Infrastrukturlösung und den dazugehörigen Extras variieren die Nettopreise ohne Montagekosten zwischen 250.000 Forint und etwa 1,3 Millionen Forint.
Startschuss für das ungarische E-Mobilitätszeitalter im September 2010.
Wie lang ist die Ladezeit?
Sie beträgt bei den bisherigen Ladestationen etwa sechs Stunden. Es gibt aber auch schon Ultra-Schnellladestationen auf dem Markt und in unserem Angebot. Bei denen dauert eine Aufladung weniger als eine Stunde. Allerdings sind diese innovativen Technologien deutlich teurer.
Sechs Stunden! Da muss man E-Mobilität aber schon sehr lieben!
Ja, man muss dahinter stehen. Im Moment ist E-Mobilität noch eher etwas für Liebhaber und besonders technikaffine Autofahrer. Das mit dem Aufladen muss aber kein Problem sein. Man muss lediglich seine Tankgewohnheiten ändern und die Lade- mit den Parkphasen synchronisieren. Das geht! Wenn man überlegt, dass fast alle Fahrzeuge mehr stehen als fahren. Parken und Tanken müssen einfach verbunden werden.
Welche Unterstützung erwarten Sie von der Regierung?
Keine direkten Förderungen wie in Frankreich oder den USA, sondern eher wie in Deutschland verschiedene indirekte Maßnahmen wie etwa Steuervergünstigungen. In den Städten könnten beispielsweise bevorzugte Parkplätze für E-Autos eingerichtet werden. Auch könnten E-Auto-Fahrer das Recht bekommen, die Busspuren zu benutzen.
Gibt es schon eine Reaktion von Seiten der Regierung?
Ich habe der Regierung erst Anfang Juli konkrete Vorschläge unterbreitet. Bis sich von Regierungsseite etwas tut, machen wir aber von unten weiter. Irgendeiner muss ja anfangen. Nur aufeinander zu warten, bringt nichts. Wenn die Infrastrukturanbieter auf die Händler und die Händler auf diese und dann die Autokäufer auf beide warten, kommen wir nicht weiter. Es würde aber voll ins Konzept der Regierung passen, wenn sich Ungarn als wichtiger Automobilstandort der Region an die Spitze einer E-Mobilitätsbewegung stellen würde. Ungarn könnte damit zum Vorreiter in Mittel-Ost-Europa werden. Wir würden das voll unterstützen. Über unsere lokale E-Mobilitäts-Initiative hinaus wird ELM? übrigens auch an dem übergreifenden europäischen Projekt „Green E-motion“ intensiv teilnehmen.
Es dürfte nicht gerade günstig für die Verbreitung Ihrer Initiative sein, dass ausgerechnet Ungarns große Automobilinvestoren mit E-Fahrzeugen noch nicht so weit sind…
Das ist nur eine Frage der Zeit. Opel hat ja bereits E-Fahrzeuge. Mercedes wird im kommenden Jahr mit einem E-Smart auf den Markt kommen. Auch Volkswagen, Audi und Suzuki werden sicher in absehbarer Zeit mit E-Autos mit dabei sein.
Wie ist bisher die Resonanz auf der Kundenseite?
Das Interesse ist sehr groß. Am Anfang findet es jeder toll. Die Schritte danach sind aber nicht mehr so einfach. Schließlich sind E-Autos etwas völlig neues. Sie müssen in die Firmenwagenpolitik eingebaut werden, es braucht vieler interner Genehmigungen.
So richtig rund wird die Sache, wenn die E-Autos auch noch mit grünem Strom betankt werden können.
Wir haben zwei kleine Wasserkraftwerke. Wir könnten also auch ein Grünstromprodukt herstellen. Auch das ist bei uns in Arbeit. Aber Hauptsache ist, erst einmal anzufangen. Wenn wir warten, bis wir genug Ökostrom haben, würde wieder wertvolle Zeit verstreichen.
Wie geht es jetzt von Ihrer Seite konkret weiter?
Auf einer Vorstandssitzung letzte Woche haben wir die nächsten Schritte beschlossen. Bis Ende des Jahres haben wir für unser Projektteam konkret die Aufgaben festlegt. Fast alle Firmenbereiche arbeiten dem Projekt zu. Wir haben sogar schon zwei Mitarbeiter, die sich vollständig mit diesem Thema befassen. Bis Ende September sollen unser Logo und eine Internetseite mit allen aktuellen Informationen zum Thema fertig sein. Außerdem werden wir weitere Fahrzeuge anschaffen. Das Ganze ist bisher weniger eine Geld-, als eine Zeitfrage. Das Projekt besteht aus viel Kleinarbeit und intensiven Gesprächen mit Interessenten. Ich selber habe mich neben meinen regulären Vorstandsaufgaben sehr stark dieses Projektes angenommen und möchte mit meinem persönlichen Einsatz dafür sorgen, dass es ein Erfolg wird. Bevor wir in eine stärkere Vermarktungsphase treten, möchte ich jetzt dafür sorgen, dass erst einmal die Prozesse und die Infrastruktur stehen.
Und wenn Sie jetzt jemand auf Grund des Interviews kontaktieren würde…
… dann würde ich sofort weiterhelfen. Man kann mich bezüglich dieses Themas ruhig direkt ansprechen. Ich würde mich sofort darum kümmern. Irgendwie muss es ja losgehen. Ich habe aber keine Illusionen. Es wird keine raschen Kettenreaktionen geben, die innerhalb von ein paar Monaten zum Durchbruch führen. Wir brauchen viel Geduld.
Langfristig sind Sie aber vom Durchbruch überzeugt?
Hundertprozentig. Ich bin davon überzeugt, dass Ungarn in Sachen E-Mobilität mit einer gewissen Phasenverschiebung die gleiche Entwicklung durchlaufen wird wie das restliche Europa. Während es das Ziel in Deutschland ist, bis 2020 auf deutschen Straßen mindestens eine Million Elektrofahrzeuge zu haben, geht unser eigener langfristiger Strategieplan für Ungarn von 60.000 Autos im Jahr 2020 aus, rund 25.000 davon auf Budapests Straßen. Das Ganze steht und fällt mit den Autoherstellern. Je rascher es ihnen gelingt, günstige Fahrzeuge herzustellen, um so eher wird sich ein Durchbruch einstellen. Am Anfang wird es aber nicht ohne eine gewisse Schrittmacherfunktion von Firmen gehen, die sich beim Thema E-Auto erste Schritte leisten können und wollen. Ich würde mir wünschen, dass eine Vielzahl ungarischer und ausländischer Großunternehmen gemeinsam mit der ungarischen Regierung unsere Initiative unterstützen würde.
„Ich würde mir
wünschen, dass eine Vielzahl ungarischer
und ausländischer Großunternehmen
gemeinsam mit der
ungarischen Regierung unsere E-Mobilitäts-Initiative unterstützen würde.”
ELM?-CEO Marie-Theres Thiell