Ungarn braucht kapitalstarkes Bankensystem
Die Magyarországi Volksbank sieht sich in Ungarn vor allem als Bank für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU). Kein Wunder, dass sie bei Themen wie der jüngst beschlossenen Hilfe für in Not geratene Devisenkreditnehmer und der Széchenyi-Karte ganz vorne dabei ist. Mit ihrem Generaldirektor László Balázs sprachen wir auch über die Stimmung bei seinen Firmenkunden und seine Einschätzung der Wirtschaftspolitik der Regierung.
„Hilfspaket für Devisenkreditnehmer stellt tragfähige Lösung dar.”
Wie zufrieden sind Sie mit dem jüngst erzielten Kompromiss zur Unterstützung von in Not geratenen Devisenkreditnehmern?
Mit dem Bankenverband haben wir mehrere Monate lang daran gearbeitet, einen allseits akzeptablen Kompromissvorschlag zu erarbeiten. Ich denke, er ist uns gelungen. Nun kann Kunden effektiv geholfen werden, die ihre Kredite auf Grund des wesentlich schwächeren Forintkurses vor allem gegenüber dem Schweizer Franken nur sehr schwer oder gar nicht mehr bedienen können. Dafür gibt es drei verschiedene Wege. Für Kunden, die derzeit ihre Raten kaum mehr aufbringen können, wurde ein System entwickelt, das für drei Jahre einen festen, im Regelfall günstigeren Wechselkurs als Grundlage hat. So sinkt die monatliche Belastung der Kreditnehmer spürbar. In drei Jahren sehen sie sich freilich wieder mit dem realen Wechselkurs konfrontiert. Die Überlegung ist aber, dass es ihnen bis dahin gelungen ist, ihre finanzielle Konstitution zu verbessern. In diesen drei Jahren kann sich sowohl die Lage des jeweiligen Kunden verbessern als auch die makrowirtschaftliche Situation des Landes, was natürlich positive Auswirkungen auf den Wechselkurs aber auch die persönliche Situation des Kunden haben wird.
Und was wird mit den Kunden, die weit davon entfernt sind, ihre Raten zu begleichen?
Zunächst können sie versuchen, ihre Rückstände zu begleichen, um dann in den Genuss des Festkurssystems zu kommen. Ist das für sie nicht möglich, können sie sich zwei weitere Alternativen überlegen. Sie können etwa versuchen, ihre Wohnung in eine kleinere zu tauschen. So sinkt ihre monatliche Belastung. Außerdem bekommen sie bei diesem Schritt vom Staat eine Zinsbeihilfe. Wenn auch das nicht hilft, können sie von Wohnungseigentümern zu Mietern werden. Sie wohnen dann zwar nicht mehr in den eigenen vier Wänden, verlieren sie aber auch nicht. Dieser Schritt ist insofern von großer Bedeutung, als er zwei Nutzeffekte ha: Zum einen kann dadurch das Moratorium für Zwangsversteigerungen, das einen wichtigen Teil des Bankensystems gefährdet hat, schrittweise aufgelöst werden, zum anderen ist aber auch sichergestellt, dass am Ende möglichst niemand auf der Straße landet. Gleichzeitig musste also wirtschaftlichen und menschlichen Aspekten Rechnung gezollt werden. Ich denke, dass das Paket in der gegenwärtigen Situation sowohl für die Banken als auch die Kreditnehmer eine gute Lösung darstellt. Durch verschiedene Sicherheitsstufen wird verhindert, dass es zum Schlimmsten kommt, dass Menschen ihr Heim komplett verlieren. Um das Modell tragfähig zu machen, müssen jetzt aber alle beteiligten Seiten, also die Banken, der Staat und auch die Devisenkreditnehmer gewisse Lasten auf sich nehmen.
Worin bestehen Ihre Lasten?
Das Festkursmodell sieht zwar vor, dass der Kunde am Ende die Differenz zum wirklichen Wechselkurs zahlen muss. Bis dahin erledigen es aber die Banken für ihn, räumen ihm also quasi einen Sonderkredit ein, für den wiederum der Staat über bürgt. Allerdings nicht umsonst, wir müssen für diese Sonderleistung zahlen. All das sind unter dem Strich betrachtet gegenüber einem Totalausfall aber immer noch vertretbare Kosten für uns. In Ungarn gibt es inzwischen etwa 100.000 Devisenkreditnehmer, die mit ihren Zahlungen bereits über 90 Tage in Verzug sind. Das sind bereits 10 Prozent aller Devisenkreditnehmer. Ohne den erzielten Kompromiss hätte ihr Anteil mit Sicherheit eine Größenordnung erreicht, die nur noch schwer unter Kontrolle zu halten gewesen wäre. Volkswirtschaftlich wäre eine solche tickende Zeitbombe natürlich fatal gewesen. Mit dem Paket sind die Probleme jetzt zwar nicht vom Tisch. Wir haben aber wertvolle Zeit gewonnen. Außerdem sind jetzt günstige Voraussetzungen dafür vorhanden, dass die Zahl der Nichtzahler nicht nur nicht weiter steigt, sondern sogar sinkt.
Warum hat sich die Verabschiedung des Paketes so lange hingezogen?
Hinter der scheinbar einfachen Kompromisslösung liegen mehrere Monate harter Arbeit, an der auch meine Bank intensiv beteiligt war. Es ging darum, aus einer Fülle von individuellen Problemfällen einen allgemeinen Lösungsalgorithmus zu abstrahieren, der in so gut wie allen Fällen anwendbar ist. Das war die große Kunst bei dem Ganzen. Mit in Not geratenen Devisenkreditnehmern hatten sich die Banken auch schon bis dahin beschäftigt. Allerdings ging jede Bank auf eigene Faust und völlig individuell vor. Auch wir haben bereits mit Dutzenden unserer Kunden Kreditumstrukturierungen durchgeführt. Eine globale, standardisierte Lösung ist freilich eine wesentlich bessere Alternative als die vielen individuellen Einzelfalllösungen. Ganz wichtig ist aber auch, dass das Moratorium für Zwangsvollstreckungen in diesem Kontext sozial verträglich aufgelöst werden konnte. Ein weiteres Hinauszögern dieses Schrittes hätte den Markt für Hypothekenkredite noch stärker in Mitleidenschaft gezogen.
Die Auflösung erfolgt sehr behutsam. Zu behutsam für Sie?
Nein, es stimmt zwar, dass die Freigabe zeitlich gestaffelt erfolgt – ab 1. Juli hochwertige Wohnungen, ab 1. Oktober der Rest – und an enge Quotenvorgaben gebunden ist. Diese Bedingungen haben sich die Banken aber in freiwilliger Selbstbeschränkung selbst auferlegt. Keiner von uns hat natürlich ein Interesse daran, dass die Preise am Immobilienmarkt in den Keller rutschen, was passiert wäre, wenn das Moratorium auf einen Schlag aufgelöst worden wäre.
Für wen gilt dieser Schutz vor Zwangsversteigerungen?
Nur für Kreditnehmer, die vor der Krise bei deutlich anderen Wechselkursverhältnissen einen Kredit aufgenommen haben. Wer jetzt einen Hypothekenkredit aufnimmt und mit seinen Zahlungen in Verzug gerät, für den gilt das Paket freilich nicht. In diesem Fall gelten nur die Gesetze des Marktes.
Zumindest hat der Staat Vorkehrungen dafür getroffen, dass sich seine Bürger nicht noch einmal so gewaltig bei den Devisenkrediten verspekulieren können.
Ja, die neue Vorschrift, dass Banken nur solchen Kunden einen Devisenkredit gewähren dürfen, deren Lohn das Fünfzehnfache des Minimallohns beträgt, kommt praktisch einem Verbot von Devisenkrediten gleich.
Warum hat der Staat seine Bürger nicht schon früher „vor sich selbst“ geschützt?
Niemand wurde dazu gezwungen, Devisenkredite aufzunehmen. Man konnte sich auch in Forint verschulden. Erwachsene Menschen haben sich aber in der Mehrzahl für erstgenannte Alternative entschieden. Ich halte es im Nachhinein für falsch, den Kreditnehmern, dem Staat oder gar den Banken einen Vorwurf zu machen. Eine Krise von diesem Ausmaß und mit diesen Konsequenzen konnte kaum jemand vorhersehen. Nun sind alle um einige schmerzhafte Erfahrungen reicher.
Das quasi Devisenkreditverbot zeigt aber, dass der Staat nicht so recht von der Lernfähigkeit seiner Bürger überzeugt ist.
Ja. Aber sicher ist sicher. Unter den gegebenen Umständen ist es schon besser, wenn der Bestand an Devisenkrediten nicht wieder wächst.
Dynamisch vorangehen soll es dagegen bei Széchenyi-Krediten!
Unbedingt. Immerhin sind sie eine regelrechte Erfolgsgeschichte. Diese begann vor knapp sieben Jahren mit Betriebsmittelkrediten. Die Idee war dabei, solche KMUs zu unterstützen, die zwar kreditwürdig, aber nicht bankfähig waren. Entweder, weil sie noch nicht lange genug auf dem Markt waren, um entsprechende Zahlen präsentieren zu können, oder weil es ihnen an Sicherheiten oder Eigenkapital fehlte. Ganz ohne Kredite hätten diese Unternehmen aber nicht oder nur sehr bescheiden wachsen können, wie gut ihr Geschäftsmodell auch immer war. Für solche Unternehmen soll nun der Széchenyi-Kredit die notwendige Liquidität bereitstellen. Dabei bürgt der Staat für 80 Prozent der Kreditsumme. Auf diese Weise sind alle Seiten bei überschaubarem Risiko an einer Ausweitung des Kreditvolumens interessiert. Der hohe Zuspruch solcher Kredite spricht für sich. Inzwischen gehören wir zu den drei größten Kreditgebern in Bezug auf die Széchenyi-Karte. In allen unseren 62 Filialen ist dieses Produkt erhältlich. Mittlerweile gibt es Széchenyi-Kredite auch mit einem Zeithorizont von drei Jahren und sogar als Investitionsmittelkredit mit einer noch längeren Laufzeit. Als endgültige Abrundung der Széchenyi-Kredit-Palette wird noch diesen Sommer eine spezielle Konstruktion für Agrarunternehmen auf den Markt kommen. Wir hoffen, dass unsere Bank als erste bei der Vergabe dieser Kredite mit dabei ist.
Was halten Sie von der Wirtschaftspolitik der Regierung?
Prinzipiell weist sie in die richtige Richtung. Die immer wieder bekundete Absicht, den einheimischen Mittelstand zu stärken, ist nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern spricht auch aus vielen konkreten Maßnahmen der Regierung, etwa dem Neuen Széchenyi-Plan. Gut ist auch, dass die Regierung entschlossen ist, die Staatsverschuldung auf ein vernünftiges Niveau zu senken. Das ist gut für die Bonität Ungarns und damit aller Investoren.
Stichwort Bankensteuer.
Ich hoffe sehr, dass wir sie 2012 wirklich zum letzten Mal entrichten. Die Mittel, die wir so verlieren, entziehen dem Wachstum unserer Bank wesentliche Liquidität. Wenn die Wirtschaft wachsen soll, dann bedarf es eines kapitalstarken Bankensystems. Vor der Krise war die Kapitalausstattung der ungarischen Banken sehr gut. Deswegen haben sie die Krise auch so glimpflich überstanden. Inzwischen ist es um die Kapitalausstattung der ungarischen Banken durch höhere Rückstellungen und die sehr hohe Bankensteuer nicht mehr so gut bestellt. Die Erfüllung der auf uns zukommenden Eigenkapitalvorschriften gemäß Basel 3 wird eine zusätzliche Belastung darstellen.
Hatten Sie die eben geäußerte Hoffnung auch bei den jüngsten Verhandlungen mit der Regierung hinsichtlich der Devisenkredite zur Sprache gebracht?
Nein. Es war nicht unser Ziel, die beiden Dinge miteinander zu verknüpfen. Es galt nur, die Sorgen der Devisenkreditnehmer zu lindern. Die Steuer ist ein anderes Thema.
Gibt es Verhandlungen mit dem Staat über die Zukunft der Bankensteuer?
Nein, derzeit nicht.
Wie ist die Stimmung bei Ihren Firmenkunden?
Sie wird langsam besser. Sie beginnen wieder mehr zu investieren. Nicht zuletzt unter Zuhilfenahme von EU-Mitteln. Positiv auf die Investitionsbereitschaft wirkt sich sicher auch die Steuerpolitik der Regierung aus. Durch sie bleiben bei den Unternehmen deutlich mehr Mittel. Die Steuersätze für Unternehmen sind inzwischen so tragbar, dass es sich langsam nicht mehr lohnt, seine Steuerlast über Off-Shore-Firmen zu „optimieren“. Auf diese Weise bleibt also auch mehr Geld in Ungarn.
Was würden Sie in den Nationalen Reformplan aufnehmen?
Ganz wichtig ist die Unterstützung von Investitionen in Forschung und Entwicklung. Diese müssten steuerlich noch stärker unterstützt werden, etwa durch Entlastungen bei den Sozialversicherungsabgaben. Auch die Facharbeiterausbildung kann so stimuliert werden. Hinsichtlich der Ausbildung von nachgefragten Arbeitskräften würde ich mir eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen und Unternehmen wünschen. Diese könnte bis hin zur Abstimmung der Lehrpläne gehen. Außerdem sollte die Unterstützung von KMUs durch staatliche Kreditgarantien auf jeden Fall beibehalten werden.
Wie geht es Ihrer Bank geschäftlich?
Bei unserer wichtigsten Kundengruppe, den KMU, konnten wir im letzten Jahr wieder wachsen. Nicht zuletzt weil wir trotz Krise nie mit der Finanzierung dieses Sektors aufgehört hatten. Wir haben auch in den schlechtesten Monaten dafür gesorgt, dass unsere Kunden mit Krediten versorgt wurden. Auf diesem Weg wollen wir weiterwachsen.