Produktive Arbeit braucht größere gesellschaftliche Wertschätzung
„Wir wollen in konstruktiver Absicht auf Punkte im Entwurf zum Nationalen Reformprogramm hinweisen, die wir problematisch oder zu unkonkret dargelegt finden“, macht László Ábrahám, Geschäftsführer der National Instruments Hungary Kft., auf den Charakter der Kritik von Seiten zahlreicher Wirtschaftsvertreter aufmerksam. Er selbst hatte sich jüngst auf einer zu diesem Thema organisierten Veranstaltung des Joint-Venture-Verbandes ausführlich zum Programm geäußert. Auf der Grundlage des dort Gesagten unterhielten wir uns einige Tage später mit ihm.
Geschäftsführer László Abrahám: Unser Ausbildungssystem ist hinter den Erfordernissen der Praxis zurückgeblieben.
Was halten Sie von dem bisher vorliegenden Entwurf des Programms?
Die Richtung des Programms stimmt auf jeden Fall. Bisher erscheint es aber wie eine große Sammlung von Absichten. Es fehlen die konkreten Schritte. Jetzt kommt es darauf an, dass die einzelnen Punkte des Programms so weit mit konkreten Maßnahmen unterfüttert werden, dass der Wille der Regierung auch in klaren, konkreten Plänen zum Ausdruck kommt. Mit konstruktiver Absicht sollten jetzt die Vertreter der Wirtschaft auf die Punkte hinweisen, die zu problematisch oder zu wenig konkret sind. Ohne jegliche Hintergedanken. Schließlich geht es uns einzig um unser Land, um das Land unserer Kinder und Enkel. Logisch, dass es uns nicht egal ist, in welche Richtung die Entwicklung geht. Ich finde, dass sich die wirtschaftliche Sphäre reichlich bemüht, die Entwicklung in die richtige Richtung zu bewegen. Ich bin ein Optimist und glaube an die Kraft der Öffentlichkeit. Wenn viele vernünftige Menschen auf normale Weise ihre Gedanken in den Dialog einbringen, werden die so gesetzten Impulse früher oder später zum Ziel führen. Wenn ich nicht dieser Überzeugung wäre, würde ich mir den Aufwand sparen, meine Gedanken ständig auf allen möglichen Foren zu äußern.
In welchen Bereichen der freien Wirtschaft könnten vermehrt Arbeitsplätze entstehen?
Zurzeit sehe ich nicht, welcher Industriezweig in der Lage sein soll, Arbeitslose sowie Invaliden- und Frührentner zu absorbieren. Innovative Industriezweige jedenfalls nicht. Dort werden Menschen mit Diplom und Fremdsprachenkenntnissen gebraucht. Menschen mit geringerer Qualifikation könnten eher dort eingesetzt werden, wo es um Serienproduktion am Fließband geht. Jedoch sollte generell darauf geachtet werden, dass das Arbeitslosengeld nicht zu hoch ist. Wenn es nämlich so ist, dann sind die Leute nicht motiviert genug, sich ins Arbeitsleben einzugliedern. Im Augenblick ist der Unterschied nicht groß genug.
Und wie sieht es beim Mittelstand aus?
Hier sehe ich ein großes Dilemma. Wenn die hier aktiven Firmen ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen wollen – und das müssen sie –, dann kommen sie nicht darum herum, ihre Effizienz zu erhöhen, entweder indem sie in Maschinen investieren oder Personal abbauen. Ersteres scheitert aber oft an der fehlenden Liquidität oder fehlenden Märkten, letzteres steht genau im Gegensatz zu den Beschäftigungsplänen der Regierung. Das ist ein Widerspruch, auf den ich selber keine Antwort weiß.
Kommen wir zu einigen konkreten Punkten des Plans. Beginnen wir bei der Bürokratie und den damit verbundenen Kosten.
Es ist zwar das deklarierte Ziel der Regierung, die Administrationskosten für die Firmen zu senken. Bisher merke ich davon allerdings erst wenig. Hier könnte der Reformplan ansetzen. Sinnvoll wäre beispielsweise, die verschiedenen Registrierungssysteme zu einem einheitlichen zusammenzufassen. Derzeit haben Arbeitnehmer eine Sozialversicherungs- und eine Steuernummer sowie eine Personenkennzahl. Studenten haben noch eine zusätzliche Nummer. Warum kann man all das nicht über eine einzige Nummer regeln wie in den USA? So könnten auch Betrügereien viel besser verhindert werden. Handlungsbedarf sehe ich auch bei der Steuer- und Zollharmonisierung. Es darf nicht sein, dass die Finanzämter bei uns im Komitat Dinge anders auslegen als in Budapest. Wir brauchen eindeutige und berechenbare Regelungen ohne großen subjektiven Spielraum.
Was kann auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung verbessert werden?
Beispielsweise wäre es ratsam, einmal das riesige Heer an K&F-Unterstützungsorganisationen genau unter die Lupe zu nehmen. Ihre Aufgabe besteht eigentlich darin, kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) bei deren K&F-Aktivitäten zu unterstützen. Soweit ich es beurteilen kann, ist dieses Ziel verfehlt worden. Das Problem ist, dass diese Organisationen für ihre Gründung öffentliche Gelder bekommen haben, für ihren Betrieb oft aber nicht mehr. Jetzt sind sie vollauf damit beschäftigt, an Ausschreibungsgeld zu kommen, um ihre eigene Weiterexistenz zu sichern. Sie kümmern sich so intensiv um ihr Überleben, dass sie ihrer eigentlichen Aufgabe nicht mehr nachkommen können. So ist das für sie aufgewendete Geld eigentlich rausgeworfen. Ich sehe kaum Ergebnisse ihrer Tätigkeit. Im Übrigen ist auch die EU für diesen Zustand verantwortlich, da sie zulässt, dass solche Fördermittel allzu leichtfertig verteilt werden und zu wenig auf konkrete Ergebnisse Wert gelegt wird. Bei uns im Komitat habe ich einmal spaßeshalber versucht, solche Einrichtungen zu zählen. Bei dreißig habe ich aufgehört. Wo wären wir, wenn all diese ihre eigentlichen Aufgaben erfüllen würden? Das Tragische ist: Während diese Organisationen beständig die zur Verfügung stehenden Geldmittel abschöpfen, fehlt es auf der anderen Seite bei etlichen wirklich brillanten Erfindungen mit viel wirtschaftlichem Potenzial hinten und vorne an Geld.
Was könnte eine Alternative sein?
Etwa die Gründung von Wissenszentren, wo spezielles Fachwissen gebündelt ist. Diese könnten dann die KMUs tatkräftig unterstützen, mit Ratschlägen oder durch die Weiterbildung von Mitarbeitern. Zielführend wäre auch die Einrichtung von Instrumenten- und Experten-Verleihzentren. Bei der Förderpolitik sollte genau darauf geachtet werden, dass die Innovationsketten abgeschlossen werden, dass also am Ende ein marktfähiges Resultat steht. Alles andere ist nur reine Geldverschwendung. Was die Auslandsinvestoren betrifft, so könnte man die Vergabe von Fördermitteln ganz klar daran knüpfen, ob die Investoren auch Forschungs- und Entwicklungskapazitäten bei uns ansiedeln werden. Nur über ein Bündel an verschiedenen Maßnahmen wird es uns gelingen, unsere F&E-Aufwendungen von gegenwärtig einem Prozent am BIP auf geplante zwei Prozent im Jahr 2020 zu erhöhen.
Was müsste bei der Bildung geändert werden?
Hier müssen wir viel Geld und nicht zuletzt Sorgfalt investieren. Die Jugendlichen, die heutzutage Schulen und Universitäten verlassen, verfügen nicht über das nötige Wissen. Das liegt nicht an den Kindern, die sicher nicht dümmer sind als vor, sagen wir, dreißig Jahren. Es ist das System, das hinter den Erfordernissen der Praxis zurückgeblieben ist, an ihr vorbei ausbildet. Hier plädiere ich daher unbedingt für ein enges Miteinander von Bildung und Wirtschaft. Die bisherige Praxis hat bewiesen: Wenn Lehreinrichtungen alleine versuchen sich auszudenken, was für uns, die Wirtschaft, gut ist, dann kommt meist nichts Gutes dabei raus. Prinzipiell wäre ich auch für verschiedene methodische Veränderungen. So würde ich eine Verlagerung vom reinen Auswendiglernen hin zur Entwicklung der Kreativität und Problemlösungsfähigkeiten befürworten. Ein größeres Gewicht sollte auch auf das Erlernen von Fremdsprachen gelegt werden. Damit sollte bereits in den Kindergärten begonnen werden. Es sollte kein Problem sein, jede Kindergärtnerin des Landes in die Lage zu versetzen, den Kindern wenigstens die Grundlagen einer Fremdsprache zu vermitteln. Das ist ausnahmsweise mal keine Geldfrage, sondern lediglich eine Frage des Wollens. Zielführend wäre es außerdem, wenn nicht mehr alle ausländischen Filme synchronisiert würden. Außerdem sollten die Lehreinrichtungen dazu beitragen, dass die gesellschaftliche Wertschätzung von produktiver Arbeit steigt.
Auf welche Weise?
Ältere Kinder und Jugendliche könnten dazu angehalten werden, in den Ferien Praktika in Firmen zu absolvieren. Viele haben heutzutage doch gar keine Vorstellung mehr von produktiver Arbeit. Oft erleben sie, wie sich ihre Eltern zu Hause über die Arbeit beklagen und sie nur als notwendiges Übel akzeptieren. Über diese und weitere Eindrücke werden Kinder systematisch dazu erzogen, die produktive Arbeit zu verabscheuen und über andere Wege des Gelderwerbs nachzudenken. Praktika wären aber auch in anderer Hinsicht hilfreich. So würden die Heranwachsenden dabei Dinge lernen wie Verantwortungsgefühl, Respekt vor Vorgesetzten und das befriedigende Gefühl Werte zu schaffen. Alles Dinge, die sich ihnen beim Herumschlendern in Einkaufszentren nicht gerade eröffnen. Bei der Hebung des gesellschaftlichen Ansehens insbesondere von Facharbeiterberufen können übrigens auch die Medien viel bewirken. Warum sind die Vorabendserien vielfach mit zwielichtigen Gestalten mit ebenso zwielichtigem beruflichem Hintergrund bevölkert? Warum können nicht auch Tischler, Metaller oder Elektronikfacharbeiter in solchen Rollen auftreten? Nicht irgendwelche Typen, die sich ihr Geld auf ethisch nicht ganz einwandfreie Art verdient haben, sollten der heranwachsenden Generation als Vorbilder gezeigt werden, sondern Leute, die sich ihren Unterhalt mit ehrlicher Arbeit hart verdienen und an der gesellschaftlichen Wertschöpfung teilnehmen. Bei der Programmgestaltung wäre generell eine stärkere Beachtung der Erfolge unserer Facharbeiter, Ingenieure und Wissenschaftlicher wünschenswert.
Durch Praktika in Firmen würden die Heranwachsenden Dinge lernen wie Verantwortungsgefühl, Respekt vor Vorgesetzten und das befriedigende Gefühl Werte zu schaffen. Alles Dinge, die sich ihnen beim Herumschlendern in Einkaufszentren nicht gerade eröffnen.
National instruments hungary Kft.
Am 7. Oktober dieses Jahres wird die National Instruments Hungary Kft. ihr zehntes Jubiläum feiern. Für den Standort Debrecen hatte sich die US-amerikanische Muttergesellschaft 2001 vor allem wegen der vorhandenen Infrastruktur, der guten Universität sowie damals attraktiven Steuervergünstigungen für Investitionen in strukturschwachen Regionen entschieden. Heute beschäftigt die Firma mehr als 1.100 Mitarbeiter. Im vergangenen Jahr erwirtschafteten diese einen Umsatz von mehr als 90 Milliarden Forint. Die etwa 2.500 eigene Artikel umfassende Produktpalette besteht vor allem aus elektronischen Komponenten und Messinstrumenten, die von hier aus in die ganze Welt exportiert werden. Einer der prestigeträchtigsten Kunden ist das Forschungsprojekt CERN in der Schweiz. Im Wert von etwa 3 Millionen US-Dollar sind in dem Teilchenbeschleuniger elektronische Instrumente aus Debrecen integriert. Sie sorgen dafür, dass die sich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit bewegenden Protonen stabil in ihrer Umlaufbahn bleiben.