In den vergangenen Jahren ist unser als stabil empfundenes Weltbild gleich mehrmals in Frage gestellt worden. Sowohl die Weltwirtschaftskrise 2008 als auch die Atomkatastrophe in Fukushima 2011 stellten nicht nur im Denken der Menschen, sondern auch im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben Wendepunkte dar, die von keiner verantwortungsvollen politischen Kraft außer Acht gelassen werden können. […] 2008 wurde die Idee des Marktfundamentalismus von der globalen Krise in ihren Grundfesten erschüttert. Die Krise wurde nicht etwa durch staatlichen Interventionismus, sondern gerade durch dessen Fehlen, nicht zuletzt durch die Nichtregulierung des Marktes, verursacht. Die so lange gepriesenen unerschöpflichen Selbstregulierungsfähigkeiten des Marktes wurden von der Realität Lügen gestraft. Infolge des Platzens der Blase haben Millionen von Menschen ihre Arbeitsplätze verloren, als Resultat ist heute überall auf der Welt eine existentielle Unsicherheit zu spüren. […] Auf die Wirtschaftskrise folgte die Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima. […]
Eine Alternative zur Armen-feindlichen, unsensiblen, arroganten und unhaltbaren Politik des Fidesz schaffen.
Zu diesen zwei Aspekten gesellt sich ein drittes, nicht minder schweres Problem hinzu: der Energiedurst der Menschheit, der eines der größten Probleme der Zukunft ist und nach einer globalen Lösung schreit. Der dramatische Rückgang der Energiequellen und der zur gleichen Zeit stetig wachsende Energiekonsum zwingen die modernen Volkswirtschaften dazu, neue Überlebensstrategien zu entwickeln. Obwohl zwischen der Wirtschaftskrise und der Katastrophe in Fukushima scheinbar kein Zusammenhang besteht, zeigen ihre Konsequenzen in eine Richtung. Traurig aber wahr, es mussten zwei schwere Tragödien geschehen, um die Regierungen endlich wachzurütteln: Was bisher Realität war, hat morgen keine Gültigkeit mehr.
Die sich häufenden Probleme und die sich daraus ergebende Notwendigkeit zur Ausarbeitung einer neuen gemeinsamen Alternative schaffen sowohl hierzulande als auch in Europa eine neue Situation. Dies zu erkennen, ist nicht nur für die progressiven europäischen Kräfte, sondern auch für die ungarische Linke eine Schlüsselfrage. Obwohl die neue veränderte Situation auch von der ungarischen Regierung erkannt wurde, ist sie in die falsche Richtung aufgebrochen: Statt den Weg in die nächsten vier oder gar zwanzig Jahre zu weisen, ist sie damit beschäftigt, ihre eigene Macht einzubetonieren, auf brutale Weise eine Armen-feindliche Wirtschaftspolitik ins Werk zu setzen und die Sozial- und Arbeitnehmerrechte zu beschneiden. Sie zwingt der Gesellschaft nicht nur ein entwicklungs- und Europa-feindliches, sondern auch ein veraltetes Weltbild auf, das den jungen Menschen und all jenen, die an einem modernen Ungarn interessiert sind, keine Perspektive gibt. Wie soll denn nun die hiesige Sachpolitik verändert werden?
Sowohl in Ungarn als auch in Europa ist eine Politik notwendig, die dazu fähig ist, die wirtschaftliche und soziale Sicherheit der Menschen sowie die Grundlegung eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums gleichermaßen zu gewährleisten. Diese Bestrebungen würde ich en bloc als grüne Wende bezeichnen, die bereits in zahlreichen Ländern beobachtet werden kann. Auf diese Basis können wir auf lange Sicht auch die Zukunft Ungarns bauen. Die Industriestaaten haben nacheinander eingesehen, dass nur ein Programm einen Ausweg aus der Krise bedeutet, das den Umweltschutz, die Ausweitung der Produktion und der Dienstleistungen (mit der Schaffung von Arbeitsplätzen) und die Verbesserung der Sozial- leistungen verknüpft. Ich bin der festen Überzeugung, dass die ungarische Linke historische Verantwortung dafür trägt, einen sachlichen und öffentlichen Diskurs über diese Wende zu initiieren und zu befördern. Hierin liegt auch der Schlüssel zu ihrer Zukunft. […]Das Steuersystem muss zur Mehrstufigkeit zurückkehren, das heißt es muss gesellschaftlich gerechter und progressiver werden. Es geht auch nicht an, dass die Staatsbürger für die späteren Umweltschäden des Produktionsprozesses zur Kasse gebeten werden. Ungarn muss seine Natur mit grünen Steuern schützen. Dem Prinzip „Der Verschmutzer zahlt“ muss Geltung verschafft werden. […] Auch die Struktur der Beschäftigung muss verändert werden: In Hinblick auf die Energie- und Bauindustrie, die High-Tech-Produktion, die Landwirtschaft und den Verkehr sind Veränderungen notwendig, welche die langfristigen gesellschaftlichen Interessen Ungarns in Betracht ziehen. […]Die immer wieder hinausgeschobene Reform des Verkehrssystems darf auch nicht ausbleiben: Die Rolle der Bahn muss im öffentlichen Verkehr erhöht werden. Vorrangiges Ziel ist es, alle Gemeinden zugänglich zu machen, weil eine mobile Gesellschaft ein Grundkriterium für den wirtschaftlichen Anschluss und die Schaffung von Arbeitsplätzen ist. […]Das Ziel einer grünen Wende könnte einen Konsens unter jenen politischen Kräften in Ungarn schaffen, die der Rechten gegenüberstehen. Ihre Kooperation wird immer dringlicher. […] Es ist eine Binsenweisheit, dass ein politischer Konsens am besten auf der Grundlage ähnlicher Programme entstehen kann. [….] Die Ungarische Sozialistische Partei trägt die politische Verantwortung dafür, künftig eine Basis zu finden, auf der gemeinsam gebaut werden kann, die wettbewerbsfähig ist und eine Alternative zur Armen-feindlichen, unsensiblen, arroganten und unhaltbaren Politik des Fidesz bietet.
Der Autor ist Vorsitzender der oppositionellen Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP). Der hier in Auszügen abgedruckte Text erschien am 14. Juni in der Tageszeitung Népszabadság.
Aus dem Ungarischen von Peter Bognar