Kleidung mit dem gewissen Extra
In der Heged? utca, einer Parallelstraße des Teréz körút, und ganz in der Nähe des Liszt Ferenc tér, steht ein altes Gebäude, der „T?zraktér“, in dem junge, aufstrebende Künstler aller Facetten Platz haben, um sich auszuleben und wachsen zu können. Die Designerin Andrea Bordács öffnete der Budapester Zeitung die verschlossene Tür zum Künstlerhaus und zu ihrem kleinen Atelier, und erzählte von ihrer Liebe zur Mode und der Neugier auf Neues.
Das Tor des „T?zraktér“ ist seit zwei Monaten geschlossen. Keine Veranstaltung, eigentlich nichts scheint sich mehr hinter den Mauern zu tun. Einem Spaziergänger könnte es jedenfalls von außen so vorkommen. Doch das stimmt nicht ganz. Andrea Bordács erzählt, während sie über den jetzt tristen Hof zu ihrem Atelier geht, dass die Künstler sich immer noch regelmäßig treffen – seit zwei Monaten praktisch illegal im Haus arbeiten, aber nicht wissen, wie es weitergehen soll. „Wo sollen wir denn hin?“, fragt sie.
Keine Ausbildung
In ihrem „Arbeitszimmer“, das sie sich mit zwei weiteren jungen Designerinnen teilt, erhält sie schnell ihre gute Laune zurück und erzählt von ihrem guten Abiturzeugnis an einem Gymnasium, das künstlerische Beschäftigungen wie Zeichnen nicht unterstützte, ihrer Ratlosigkeit, was sie danach machen soll und der Entscheidung, es erst einmal mit einer zweijährigen Ausbildung zur Dekorateurin und Schaufensterge-stalterin zu versuchen. „Ich konnte immer gut zeichnen, hatte aber niemanden in meinem Umfeld, der sagte: ,Das ist es, das solltest du machen!’ Mit der Ausbildung wollte ich feststellen, ob ich eine Affinität dazu habe“. Bei dem Kurs habe sie viele Grundlagen und den Umgang mit grafischen Computerprogrammen gelernt. Außerdem dachte ihre Umwelt jetzt ähnlich künstlerisch wie sie und trug zu ihrem Wunsch bei, an einer Hochschule für Kunst und Design zu studieren.
Eigenes Konzept
Bordács bewarb sich an der Budapester Hochschule für Kunst und Design, hatte allerdings Pech. Sie brach sich vor der Zeichenprüfung die Hand und konnte nicht aufgenommen werden. Ein Jahr später bewarb sie sich an der Universität für Angewandte Kunst in Wien, wo acht Studenten aufgenommen wurden, sie jedoch den neunten, ersten Warteplatz bekam. „Das war für mich so was wie ein Zeichen. Es sollte eben nicht sein“, erklärt sie. Da sie nicht in das System aufgenommen wurde, begann sie auf eigene Faust, Kleidung zu entwerfen und sich ein eigenes Portfolio zuzulegen. Ganz am Anfang konzentrierte sie sich auf nicht straßentaugliche Haute Couture. Dann entwarf sie ein ganz eigenes Konzept: Sie bestellte bei einer Schneiderin eine einfache Grundform, T-Shirts oder Röcke, etwa 50 Stück, die sie dann nachbearbeitete und Falten und Kniffe hinzufügte. Aus diesem Konzept heraus wurde auch der Name des Labels „Kniff“ geboren. „Ich weiß gar nicht mehr, woher das kam“, überlegt die junge Designerin und führt aus, dass es trotz allem das beste Wort für ihre Entwürfe ist.
Irgendwann reichte Bordács das Umarbeiten der Kleidungsstücke nicht. Sie lernte dazu, und konnte sich mit ihrem ursprünglichen Konzept nicht mehr ausleben. „Ich hatte inzwischen nähen gelernt. Ganz neue Möglichkeiten standen mir offen, die ich austesten wollte.“ Vergangenen Frühling entstand ihre erste Kollektion, die aus einem einheitlichen Stoff bestand und dessen Formenwelt und Technik eine Einheit bildete. Seitdem bringt sie jede Saison eine neue Kollektion heraus, die aus acht bis zwölf Kleidungsstücken besteht. Mehr gehe nicht. „Ich mache alles selbst: vom Einkauf des Stoffes und den Schnittmustern, bis zum das Nähen und Anpassen. Noch schaffe ich es. Ich bin eben fleißig“, sagt sie lachend.
Nachfrage nach den handgemachten Einzelstücken besteht, auch habe sie inzwischen eine kleine Stammkundschaft; darunter eine Japanerin, die sich regelmäßig etwas aus ihrer Kollektion aussucht. Die Bandbreite der Interessenten ist weit. So kaufen Frauen von 17 bis 40 Jahren die im Schnitt eher extreme Kleidung und bestellen auch Einzelanfertigungen wie Hochzeitskleider. Ausländer oder Ungarn, die im Ausland leben, seien mutiger, so die junge Designerin, die sich bis heute wundert, wie und wo ihre Käufer auf sie aufmerksam werden. Sie tippt, dass die Leute sie schon auf dem WAMP-Designmarkt gesehen haben oder ihre Webseite finden. „Die Leute verlieben sich in meine Kreationen und vertrauen auf mein Urteil. Das überrascht mich immer wieder“, freut sie sich.
Schnittmuster danach
Da Bordács keine Ausbildung erhalten hat, hat sie sich ein eigenes System für das Planen und Ausführen zugelegt. Solange sie etwas entwirft, befasst sie sich nicht mit der Umsetzung, also dem Nähen und umgekehrt. Zwar entstehen hier und da Skizzen zu neuen Entwürfen, aber sie würde sich dann lieber auf eine Sache konzentrieren. Die Idee entsteht meist auf Papier, aber das endgültige Ergebnis „bekomme ich meist durch Versuche an der Modellpuppe, dort kann ich praktisch vor Ort sehen, was daraus wird“. Oft entsteht das Schnittmuster auch erst, wenn das Kleidungsstück schon endgültig fertig ist. Neben den Kollektionen befasst sich die Designerin auch mit nicht tragbaren Kreationen, bei denen sie sich austoben kann. Großen Wert lege sie von Anfang an auf natürliche Stoffe: Baumwolle, Wolle, und seit neuestem experimentiert sie mit Viskose. Auch die Farben sind eher gedeckt, natürlich eben. Diesen Sommer will Bordács sich zum ersten Mal an etwas mehr Farbe heranwagen. Das Hauptaugenmerk legt sie jedoch immer auf den Schnitt und den Kniff. Für die Stoffe, die gute Farben und gute Qualität haben, müsse man allerdings ins Ausland fahren, erklärt sie, und das schaffe sie nicht immer.
Andere Welten
Weiterlernen an einer Designerschule möchte Bordács immer noch. Dieses Jahr wollte sie sich eigentlich in Berlin bewerben, denn dort fühle man sich nach einer halben Stunde bereits zu Hause. Jedoch bekam die Designerin in der Zwischenzeit einen halbjährigen, sehr verlockenden Auftrag, den sie nicht absagen konnte: Bei einem ausländischen Filmdreh in Etyek, in der Nähe von Budapest, soll sie die benutzten Stoffe künstlich altern lassen. In der Geschichtsserie, die in der Renaissance spielt, ist die Authentizität das Wichtigste. „Es ist eine unglaubliche Herausforderung, einmal etwas ganz anderes zu machen, etwas Derartiges entstehen zu lassen“, sagt sie und fügt hinzu, dass sie auf jeden Fall noch herumprobieren möchte und deswegen das Studium verschoben habe. Außerdem arbeite sie dort mit anderen zusammen, was einer Workshop-Stimmung gleicht und die Sache noch interessanter macht.
Ungewisse Zukunft
Diese Stimmung habe sie auch im „T?zraktér“. Obwohl ihre Kolleginnen keine Frauenkleidung entwerfen, helfe es doch, zusammen zu sein und an ähnlich kreativen Prozessen teilzunehmen. Auch ist das ganze Haus mit seiner künstlerisch aufgeladenen Atmosphäre sehr hilfreich beim Entwickeln von Ideen. Es werde viel kommuniziert, das wirke wie ein Brutkasten für Ideen, so Bordács. Zwar habe sie zusammen mit ihren beiden Mitstreiterinnen schon geplant, in der Innenstadt einen kleinen Laden zu eröffnen, aber als Werkstatt sollte der Raum im „T?zraktér“ erhalten bleiben. „Die Kosten sind niedrig, wir haben hier Internet, Sicherheit und ein Umfeld das einen zum Kreativsein anregt. Eigentlich perfekte Arbeitbedingungen für junge Künstler. Es wäre schade, wenn diese Möglichkeit bald nicht mehr besteht.“
Bordács Andrea
VI. Heged? utca 3. T?zraktér
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