Sachlich reden und konstruktiv diskutieren
Die Budapester Zeitung möchte ein Zeichen setzen. Inmitten der heillosen politischen Polarisierung des Landes werden wir in den kommenden Wochen und Monaten Politikerinnen und Politiker der vier Parlamentsparteien einladen, um mit uns an einem Tisch über relevante politische Themen zu diskutieren. Sachlich und ohne die sattsam bekannte Polemik, die sich in den meisten Fällen in Gemeinplätzen, Vorwürfen und Beleidigungen erschöpft. Unser Ziel ist es, Politikern die Möglichkeit zu geben, in einer entspannten Atmosphäre, ihre Standpunkte themenbezogen vorzutragen und konstruktiv zu diskutieren.
Politiker, die zu sachbezogenen und konstruktiven Debatten fähig sind: Katalin Ertsey (LMP), Ágnes Kunhalmi (MSZP), Judit Czunyiné Bertalan (Fidesz) und Dóra Dúro (Jobbik).
Das erste Rundtischgespräch unserer neuen Serie fand am vorletzten Donnerstag im altehrwürdigen Ambiente des Kaffeehauses Gerbeaud statt. Höflich wie wir sind, haben wir bei der Premiere den Damen den Vortritt gelassen. Unserer Einladung gefolgt waren: Judit Czunyiné Bertalan, Parlamentsabgeordnete der Regierungspartei Fidesz, Dóra Dúró, Parlamentsabgeordnete der Jobbik, Katalin Ertsey, Parlamentsabgeordnete der Ökopartei LMP und Ágnes Kunhalmi, Präsidiumsmitglied der MSZP. Die vier Politikerinnen diskutierten einerseits über das Thema „Frauen in der Politik“, andererseits über die neue Verfassung.
Respektvoller Umgang
Das Fazit, das wir aus dem ersten Rundtischgespräch ziehen konnten, ist jedenfalls positiv: Entgegen der landläufigen Meinung lieferten die Diskussionsteilnehmerinnen den Beweis ab, dass es Politiker doch können: sachbezogen und konstruktiv debattieren. Wenn keine Fernsehkamaras dabei sind, sind sie durchaus zum respektvollen Umgang miteinander in der Lage. Wie von uns beabsichtigt fand unser erstes Gespräch in einer positiven und entspannten Atmosphäre statt. Bei unserer kommenden Runde werden wir untersuchen, ob auch ihre männlichen Politikerkollegen zu dieser Leistung in der Lage sind.
Budapester Zeitung: Es gibt Thesen, wonach der parteipolitische Wettbewerb friedlicher wäre, hätten Frauen in der Politik das Sagen. In Ungarn sind wir davon noch meilenweit entfernt. Es reicht bloß einen Blick in den Plenarsaal des Parlaments zu werfen. Unter den 386 Parlamentsabgeordneten in der ungarischen Legislative gibt es nur 34 Frauen. Dies ist ein Frauenanteil von neun Prozent. Wie denken Sie als Politikerinnen darüber?
Judit Czunyiné Bertalan (Fidesz): Ich möchte gleich am Anfang betonen, dass ich von Frauenquoten wenig halte. Das Thema lenkt nur von den wahren Problemen ab. Es muss sich an der gesamtgesellschaftlichen Situation etwas ändern. Hier denke ich zum Beispiel an die Rolle der Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Um aber auf die Frage zurückzukehren: Ich bin der Meinung, dass Frauen sowohl konstruktiver als auch kooperativer sind als Männer. Die unterschiedliche Denkweise zwischen Frauen und Männern kommt auch in unserer Fraktion immer wieder zum Vorschein.
Judit Czunyiné Bertalan (Fidesz)
Ágnes Kunhalmi (MSZP): Ich stimme mit Judit überein. Eine Frauenquote in der Politik darf nicht bloß ein Ziel an sich sein. Eine Quote wäre in meinen Augen ein Stimulus oder Trampolin. Dem politischen Leben täte es auf jeden Fall gut, wenn es mehr Politikerinnen gäbe. Konflikte könnten viel einfacher beigelegt werden. Frauen packen die Probleme nämlich viel kreativer und innovativer an als Männer.
Dóra Dúró (Jobbik): Ich persönlich finde eine Frauenquote erniedrigend. Meiner Meinung nach ist eine Quote das falsche Instrument. Die Politik ist im Grunde männlich geprägt. Was Frauen tun können, ist, diese männlichen Strukturen aufzuweichen, um die Politik interessanter und anziehender zu machen. Warum so wenige Frauen in der Politik sind, hängt vermutlich auch damit zusammen, dass das stereotype Bild des korrupten Politikers Frauen mehr zurückschrecken lässt als Männer. Wobei Politik eigentlich keine schlechte Sache ist. Generell bin ich aber der Ansicht, dass Politikerinnen glaubwürdiger sind als Politiker. Frauen kommen mit den gesellschaftlichen Subsystemen nämlich viel häufiger in Berührung. Eine Frau geht öfter zur Post, in die Schule oder zum Arzt. Aus diesem Grund hat sie auch mehr Einblick, wie das Institutionensystem im Alltag funktioniert.
Dóra Dúró (Jobbik)
Katalin Ertsey (LMP): Beim Weltwirtschaftsforum in Davos wurde eine Studie vorgestellt, wonach ein Land umso wettbewerbsfähiger ist, je mehr die Gleichberechtigung der Frauen verwirklicht wird. Ich denke, dass Frauen in der Politik eine ganz andere Rolle spielen als Männer. Mit der Kooperation zwischen den Geschlechtern hapert es aber noch. Ich würde generell die Behauptung aufstellen, dass das, was für die Frauen gut ist, auch für die Gesellschaft gut ist. Ich habe übrigens die Beobachtung gemacht, dass es vor allem in jenen Branchen viele Frauen gibt, in
denen Leistung gefragt ist. Im politischen Leben zählt aber leider nicht allein die Leistung. Ganz im Gegenteil.
Ágnes Kunhalmi (MSZP): Ja, die politischen Machtkämpfe sind vor allem Männersache. Das machtpolitische Taktieren liegt den Frauen irgendwie nicht so besonders.
Judit Cunyiné Bertalan (Fidesz): Ich bin da anderer Meinung. Frauen sind doch die viel besseren Taktiker! Hinzu kommt, dass es aufgrund ihrer Raffiniertheit weniger Konflikte gibt. Dank unserer Gene sind wir für Dialog und Kooperation offener. Es müssen schlicht und einfach die Voraussetzungen geschaffen werden, damit Frauen sich entfalten können. Derzeit ist die Situation so, dass erfolgreiche Frauen in der Gesellschaft immer noch misstrauisch beäugt werden. Klettert eine Frau die Karriereleiter hoch, stellen Männer in zweideutiger Weise sofort die Frage, wie sie da wohl hingelangt sei. Das ist eine plumpe Infragestellung der Glaubwürdigkeit von Frauen. Einfach erniedrigend!
Katalin Ertsey (LMP): Du hast vorhin die Kooperation erwähnt. Was wir hierzulande brauchen, ist eine neue Art von Kooperation zwischen den Geschlechtern. Dann wird auch das Niveau der Politik steigen. Allerdings sehe ich dafür keine guten Aussichten. Wie ich schon erwähnt habe: In der Politik zählt leider nicht die investierte Arbeit und die Leistung, sondern wer sich am besten verkauft und am meisten Aufmerksamkeit erregt.
Katalin Ertsey (LMP)
Ágnes Kunhalmi (MSZP): So ist nun mal die Natur der Politik. Auf der einen Seite gibt es die Rhetoriker, auf der anderen aber eben auch die Wasserträger.
Katalin Ertsey (LMP): Interessant, dass immer die Frauen die Wasserträger sind.
Dóra Dúró (Jobbik): Frauen müssen allein schon deshalb in der Politik vertreten sein, weil Männer in Gesellschaft von Damen viel höflicher sind. Ich bin übrigens der Meinung, dass unter den Politikern nicht unbedingt diejenigen gut sind, die supertoll ausgearbeitete Sachvorschläge auf den Tisch legen.
Ágnes Kunhalmi (MSZP): Ja, es kommt letztlich darauf an, die komplexen politischen Sachverhalte in einer verständlichen Sprache darzulegen.
Dóra Dúró (Jobbik): Genau, so ist es.
Judit Cunyiné Bertalan (Fidesz): Es reicht natürlich nicht, nur ein guter Redner zu sein. Fachliches Wissen ist auch Voraussetzung. Vor allem können sich solche Frauen in der Politik profilieren, die aufgrund ihres beruflichen Hintergrundes in gewissen Politikfeldern bewandert sind. Ein wirklicher Gradmesser für die Kompetenz einer Politikerin ist aber meiner Meinung nach die Fähigkeit, sich bei Wahlen in einem Einzelwahlkreis zu bewähren. Dies ist vor allem in ländlichen Regionen schwer, weil die Sozialisierung und Werteordnung der Menschen dort anders ist. Man muss sich deutlich und verständlich ausdrücken, dies verlangt eine andere Art der Kommunikation. Politische Inhalte sollten vereinfacht und verdaulich gemacht werden. Ich kann im Parlament viele Sachvorschläge auf hohem rhetorischem Niveau präsentieren, allerdings werden die Menschen auf dem Land das nicht verstehen. Menschen können nicht nur mit leerer Rhetorik abgespeist werden. Denn sie wollen wissen, was dies für ihren Alltag konkret bedeutet. Politiker müssen danach trachten, ihre Arbeit im Parlament, auch diesen Wählern nahe zu bringen.
Dóra Dúró (Jobbik): In den Einzelwahlkreisen zählt aber leider nicht nur die Leistung. In vielen Fällen entscheidet schlichtweg das Parteilogo. Ich erinnere mich an einen Kandidaten im Komitat Bács-Kiskun, der zunächst in den Farben der Kleinlandwirte kandidierte und in seinem Wahlkreis bloß drei Prozent der Wählerstimmen erreichte. Vier Jahre später ging er als Kandidat des Fidesz ins Rennen und erlangte prompt über 50 Prozent der Stimmen.
Katalin Ertsey (LMP): Ich wiederhole nochmals, was ich schon gesagt habe. Insbesondere die Politik ist ein solches Terrain, wo es darauf ankommt, wie man sich positioniert, wie man manipuliert und taktiert. Diese Fähigkeiten haben in der Politik eine viel größere Bedeutung als anderswo im Arbeitsleben.
Ágnes Kunhalmi (MSZP): Wir müssen beim Thema „Frauen in der Politik“ auch von jenen Politikerinnen sprechen, die Kinder haben. Diese befinden sich nämlich in einem krassen Wettbewerbsnachteil. Wir haben immer wieder Sitzungen am Nachmittag, an denen die Kolleginnen, die Kinder haben, nicht teilnehmen können, weil sie zu ihren Kindern müssen. Ihrer politischen Karriere ist das natürlich abträglich.
Dóra Dúró (Jobbik): Ich glaube nicht, dass diese Politikerinnen einen Wettbewerbsnachteil haben. Sie können doch auch per E-Mail kommunizieren.
Ágnes Kunhalmi (MSZP): Das ist nicht dasselbe. Die persönliche Anwesenheit fällt da schon sehr ins Gewicht. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an den Fall von Kata Tüt?, einer MSZP-Abgeordneten im Budapester Stadtrat. Weil es im Stadtrat damals eine Pattsituation gab, sah sie sich selbst als Hochschwangere gezwungen, bis zuletzt an der Budgetdebatte teilzunehmen. Sie wurde damals aus dem Plenarsaal direkt ins Krankenhaus zum Entbinen gebracht.
Ágnes Kunhalmi (MSZP)
Judit Cunyiné Bertalan (Fidesz): Als Frau macht man in der Politik noch eine interessante Erfahrung. Wird man in einer politischen Debatte von seinem männlichen Gegenüber als ebenbürtiger Gegner betrachtet, rückt die Weiblichkeit unweigerlich in den Hintergrund. Diese Schwelle gilt es zu überschreiten. Ein tolles Kostüm oder schöne Beine sind dann nicht mehr von Belang. Ich muss hier allerdings auch betonen, dass wir Frauen nicht Männer sein können. Anders ausgedrückt: Wir dürfen nicht zu männlichen Frauen werden, weil dies beim männlichen Publikum unter den Wählern überhaupt nicht gut ankommt.
Budapester Zeitung: Reden wir nun über das bestimmende Thema der ungarischen Innenpolitik, die neue Verfassung. Wie stehen Sie zum neuen Grundgesetz?
Katalin Ertsey (LMP): Eine Verfassung sollte in die Zukunft weisen. In jenem Grundgesetz jedoch, das nun verabschiedet werden soll, ist kein Wort über die zukünftigen Generationen zu lesen. Die neue Verfassung zementiert den Status quo, was für mich und meine Partei völlig inakzeptabel ist. Um noch einmal zum Thema „Frauen in der Politik“ zurück-zukehren: Wenn mehr Frauen an der Ausarbeitung der neuen Verfassung mitgewirkt hätten, würde diese heute ganz anders aussehen. Jetzt starrt sie von männlicher Aggression.
Ágnes Kunhalmi (MSZP): Wir nehmen am verfassunggebenden Prozess deshalb nicht teil, weil die Regierung jeglicher moralischer Grundlage entbehrt, seit sie die Befugnisse des Verfassungsgerichts arg beschnitten hat. Das neue Grundgesetz betoniert diesen unsäglichen Zustand. Und was das Schlimmste ist: Wenn hier künftig niemand eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erlangt, wird dieser Rechtszustand unverändert bleiben. Nicht auszudenken!
Dóra Dúró (Jobbik): Meine Partei und ich vertreten die Meinung, dass eine neue Verfassung notwendig ist. Allerdings kann von einem gesellschaftlich umfassenden verfassungsgebenden Prozess nicht die Rede sein. Was die Vorschläge der Opposition betrifft, zeigt die Regierungspartei keinerlei Kompromissbereitschaft. Bisher hat sie selbstgefällig alles vom Tisch gewischt. Es ist hier also eine Parteiverfassung par excellence im Entstehen.
Judit Czunyiné Bertalan (Fidesz): Die Fraktion Fidesz-KDNP ist nicht eine Partei. Folglich wird das neue Grundgesetz auch keine Parteiverfassung sein. Die bestehende Verfassung aus dem Jahr 1989 ist da schon eher eine Parteiverfassung. Vor allem ist sie eine Übergangsverfassung, das Ergebnis einer Flickschusterei ohne demokratische Legitimation. Die neue Verfassung wird einen Ausweg aus den gegenwärtigen Problemen des Landes weisen. Es wird zum Beispiel einen Plafond für die Staatsverschuldung geben. Und was noch wichtig ist: Das Grundgesetz wird endlich eine Werteordnung verkörpern.
Ágnes Kunhalmi (MSZP): Plafond bedeutet, dass die Staatsverschuldung 50 Prozent des BIP nicht überschreiten darf. Das heißt, dass der Staat 20 Jahre lang sparen muss.
Judit Czunyiné Bertalan (Fidesz): Die Sozialisten haben nur Sparmaßnahmen im Kopf.
Budapester Zeitung: Eine letzte Frage an die Vertreterin der Regierungspartei Fidesz. Warum wird es über die neue Verfassung keine Volksabstimmung geben?
Judit Czunyiné Bertalan (Fidesz): Zum einen hat der Fidesz die Menschen in einem 12-Punkte-Fragebogen zu ihrer Meinung befragt. Zum anderen muss auch gesagt werden, dass die Verfassung viel zu vielschichtig und komplex ist, um über sie abstimmen zu können. Ist zum Beispiel jemand mit einem Passus nicht einverstanden, lehnt er bei einer Volksabstimmung mit hoher Wahrscheinlichkeit die gesamte Verfassung ab. Das macht doch keinen Sinn.
Wir danken für das Gespräch!