Warum es so wenige Frauen in der Politik gibt
Obwohl es bereits ein Gemeinplatz ist, dass Frauen in der Politik eine größere Rolle spielen sollten, hat sich in dieser Hinsicht in den vergangenen zwanzig Jahren praktisch nichts zum Positiven verändert. Es ist beispiellos, dass in Ungarn nun schon die zweite Regierung hintereinander am Ruder ist, in der es keine Frauenminister gibt. In der Gesellschaft scheint dieser Umstand aber kaum jemanden zu stören.
Einige der wenigen Frauen in der Politik: Enik? Gy?ry, Staatssekretärin im Außenministerium.
Laut einer Studie der Interparlamentarischen Union (IPU), die im Januar 2010 veröffentlicht wurde, liegt Ungarn mit Blick auf den Anteil von Frauen-Abgeordneten unter 144 Nationen mit 11,1 Prozent an der 99. Stelle ex aequo mit Ländern wie Montenegro und Togo. In Hinblick auf Frauen-Minister liegt das Land sogar an letzter Stelle in Gesellschaft von Ländern wie Katar, Saudi Arabien, Tuvalu und Vanuatu, wo es überhaupt keine Frauen unter den Ministern gibt. Darüber hinaus hatte Ungarn bislang weder ein weibliches Staatsoberhaupt noch eine Frau an der Spitze der Regierung. Katalin Szili (2002-2009) war bisher die einzige Parlamentspräsidentin des Landes.
Um zu verstehen, warum es nicht mehr Frauen-Abgeordnete in der ungarischen Legislative gibt, müssen wir in die Tiefe graben und die gesellschaftlichen Mechanismen untersuchen. Die zunehmende Präsenz von Frauen in der europäischen Politik hat nicht zuletzt mit ihrem wachsenden Bildungsniveau zu tun. Obwohl es in Ungarn mehr Akademikerinnen als Akademiker gibt, stehen Frauen sowohl im Wirtschafts- als auch im politischen Leben im Hintergrund.
Frauen treten in der Politik in der Regel für Nachhaltigkeit ein. Die Verschwendung der Ressourcen der Gegenwart ist selten ihre Sache. Auf internationaler Ebene herrscht Einigkeit darüber, dass sowohl in den Unternehmensführungen als auch in der Legislative ein Frauenanteil von 30 Prozent das notwendige Minimum ist, um eine konsensuelle, ausgewogene Führung zu garantieren. Je höher der Anteil von Frauen in Wirtschaft und Politik ist, desto größer ist die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes und desto stabiler ist eine Demokratie. Der Grund liegt darin, dass Politikerinnen für Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsfragen sensibler sind. Es kommt nicht von ungefähr, dass gerade in Norwegen sowohl in der Privat- als auch in der öffentlichen Sphäre der Frauenanteil in den Unternehmensführungen mindestens 40 Prozent betragen muss.
Ausgehend von den skandinavischen Ländern setzt sich in den Parlamenten weltweit immer mehr die Tendenz durch, einen Frauenanteil von 50 Prozent einzuführen. Demgegenüber sind die Frauen in Ungarn sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik unterrepräsentiert. Während im politischen Leben bereits eine neue Generation von Männern auf den Plan getreten ist, hat sich im Kreis der Frauen noch keine Schicht herausgebildet, die in der geschäftlichen Sphäre oder in einem gewissen Berufsfeld jenes Niveau erreicht hätte, um sich in der Politik zu bewähren.
Zur Welt der Politik ist es aufgrund der limitierten Zahl von Posten für Frauen ohnehin sehr schwer, Zugang zu finden. Auf globaler Ebene ist zu beobachten, dass Frauen häufig nur der political correctness zuliebe in Regierungen geholt werden. In vielen Fällen werden sie mit „gewichtslosen“ Ministerien (Familie, Soziales, Bildung usw.) abgespeist.
Es gibt zahlreiche ausländische Beispiele für die Erhöhung des Frauenanteils in der Politik. Etwa die obligatorische Frauenquote. Allerdings kann auch diese keine weiblichen Politiker aus dem Nichts hervorzaubern. In den meisten Ländern werden die Mädchen bis heute nicht zu Führungspersönlichkeiten „erzogen“. Vorrang haben nach wie vor Familie und Mutterschaft, Job oder Karriere sind da nur zweitrangig. Gerade in Ungarn ist der gesellschaftliche Anspruch auf weibliche Führungskräfte noch schwach ausgeprägt. Wohl auch aus diesem Grund fehlt den Frauen die Motivation, in die Politik zu gehen. Seit der Wende 1989/90 hat sich auch noch nicht jene politische Kultur herausgebildet, in der dies nicht nur als natürlich betrachtet, sondern sogar erwartet wird. Der Anspruch auf weibliche Führungskräfte muss sich also zunächst in der Gesellschaft manifestieren.