Wenn man keine Wahl hat
Sie ist im Dezember 1977, im Alter von zwölf Jahren, mit ihrer Familie aus der DDR geflohen. Doch das Kapitel Ostdeutschland war für die heutige Schriftstellerin Susanne Schädlich damit noch lange nicht abgeschlossen. Im Gegenteil, der dramatische Höhepunkt folgte erst 2007 mit dem Selbstmord ihres Onkels, der jahrelang als Stasi-Spitzel tätig war. Vergangene Woche war sie für eine Lesung aus ihrem autobiographischen Roman „Immer wieder Dezember. Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich“ im Goethe Institut Budapest zu Gast.
“Keine Anklage oder Abrechnung”
Ihr Vater, Hans Joachim Schädlich, war nie linientreu gewesen. Als Schriftsteller wollte er sich nicht verbieten lassen auch an den Zuständen in der DDR und an der SED Kritik zu üben. Als er 1976 schließlich eine Protestnote gegen die Ausbürgerung des Künstlers Wolf Biermann mit unterzeichnete, wurde die Luft für ihn im Osten immer dünner. Ziemlich genau ein Jahr später genehmigte man den Ausreisantrag der Familie und sie kamen in die BRD.
Eine andere Welt
Susanne Schädlich war zu diesem Zeitpunkt zwölf Jahre alt. Alt genug, um die Vorgänge um sie herum zumindest teilweise zu verstehen, obwohl ihr die volle Tragweite der Ereignisse erst später bewusst wurde. Der auf den ersten Blick vermeintlich „kleine“ Umzug innerhalb Deutschlands, war in Wahrheit ein Umzug zwischen zwei völlig unterschiedlichen Welten. Es fiel ihr schwer, sich im Westen zurechtzufinden. Und der lange Arm der Stasi erreichte die Familie noch immer. Diese einschneidenden Erfahrungen aus ihre Kinder-und Jugendzeit möchte Susanne Schädlich in dem Buch erzählen. Dabei geht es um Fragen wie „Wo gehöre ich hin, wo komme ich her? Darum, wie es ist, wenn man keine Wahl hat.“
Erschlichenes Vertrauen
1987 zog es die junge Frau in die USA, wo sie elf Jahre ihres Lebens verbringen sollte. „Westwärts – Soweit es nur geht“ ist der Titel ihres neuen Buches, welches ihre in „Immer wieder Dezember“ nur kurz geschilderten Erfahrungen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zum Inhalt hat. 1992 allerdings holte sie die Vergangenheit ein. Damals bekam ihr Vater als einer der ersten Einsicht in seine Stasi-Akte. Entsetzt stellte er fest, dass sein eigener Bruder Karlheinz unter dem Decknamen IM (inoffizieller Mitarbeiter) Schäfer jahrelang für die Stasi spioniert hatte. Auch die eigene Familie hatte er systematisch ausgehorcht. Mit einem inszenierten Parteiausschluss aus der SED erschlich er sich das Vertrauen zahlreicher Intelektueller und war darüber hinaus in Polen sowie Ungarn aktiv. Ein Historiker bezeichnete ihn gegenüber der Familie als „ganz großen Fisch“.
Spektakulärer Selbstmord
Susanne Schädlich konnte ihrem Onkel diesen Vertrauensbruch nie verzeihen, auf eine aufrichtige Entschuldigung wartete die Familie bis zuletzt vergebens. 2007 dann, wieder einmal im Dezember, begeht Karlheinz Selbstmord. Ein Ende findet die Geschichte damit allerdings noch immer nicht: Viele Medien berichten über den spektakulären Suizid mitten in einem belebten Park in Berlin. Sie porträtieren einen „Gentlemen IM“, der von seiner Familie in den Selbstmord getrieben worden sei. „Aber es gibt bestimmte Dinge, die kann man nicht verzeihen. (…) Das Buch ist keine Anklage oder Abrechnung“, erklärt die Autorin, aber es gehe ihr auch darum, einige Dinge richtig zu stellen.