Handwerk für den Kopf
Ildikó Virág Erdei übt ein beinah ausgestorbenes Handwerk aus: Sie ist eine der wenigen jungen Hutmacherinnen, die es in Ungarn heute noch gibt. Ihre Arbeit ist zu 100 Prozent manuell – nur ein kleines Bügeleisen lässt sie an die Hüte, um ihnen ein perfektes Finish zu geben. Die Werkstatt der Designerin dient gleichzeitig als Showroom und befindet sich im autonomen Kulturzentrum T?zraktér. Sollte dieses, wie von der Stadtteilverwaltung Terézváros beschlossen, tatsächlich am 31. März zwangsgeräumt werden, so hätten nicht nur Ildikó und ihre über 350 Mitmieter des T?zraktér ein großes Problem – sondern letztlich auch die teils prominenten Kunden der Hutmacherin.
Warum gerade Hüte?
Das hat sich ganz zufällig entwi-ckelt. Ich habe immer schon gern Tücher, Haarbänder und Ähnliches getragen und mich – ganz unbewusst – mit dem Thema Kopfbedeckung beschäftigt. Irgendwann fiel mir auf, dass ich wirklich immer etwas auf dem Kopf habe und es mir richtiggehend fehlt, wenn ich nichts trage. Ich habe mir dann nach und nach auch Hüte in Schnäppchen-Läden gekauft und angefangen, sie zu zerschneiden und neu zusammenzunähen, da ich nicht wusste, wie ich sonst an das Grundmaterial von Hüten herankommen sollte. Ich fand meine Kreationen toll und trug sie ständig. Immer öfter wurde ich auch angesprochen, wie gut sie aussähen. So habe ich meine Passion für Hüte entdeckt.
Ildikó Virág Erdei und ihre Hutkreationen.
Welche Art von Hüten entwirfst du?
Ich bemühe mich, alles von klassischen bis modernen Kopfbedeckungen zu kreieren. Persönlich mag ich sowohl einfache schwarze als auch verrückte bunte Hüte. Was auch immer sich jemand ausdenkt: Ich setze die Idee gern in die Tat um – das müssen nicht nur Hüte für Privatpersonen sein. Ich habe auch schon für Filme und Theater gearbeitet, neulich zum Beispiel für das Ungarische Nationaltheater. Genauer gesagt habe ich für das Stück „Én vagyok a te“ [zu Deutsch: Ich bin das Du; Anm. d. Verf.] Hüte und ein Kostüm designt, das mache ich nämlich auch ab und zu. Gerade jetzt, während unseres Interviews, nähe ich außerdem an einem Hut für Nikolas Takács [ehemaliger Teilnehmer der ungarischen Talentshow „X-Factor“; Anm. d. Verf.], den er während einer Gala heute Abend tragen wird.
Wie kann man sich den Entstehungsprozess eines Hutes vorstellen?
Zunächst einmal bespreche ich mit meinem Kunden, was für eine Art von Hut es werden, wie er aussehen soll. Anschließend nehme ich die Maße und beginne die Arbeit am sogenannten Tomp. Das ist quasi der Hut-Prototyp, ein Stück vorgeformter Stoff aus Filz oder Kanin, der später das sichtbare Material des Hutes darstellt. Je nach gewünschtem Design schneide ich den Tomp dann aus und forme ihn mithilfe eines Leimgemisches und einer Holzform zum eigentlichen Hut. Da ich das alles per Hand mache, ist das richtige körperliche Arbeit. Der Hut muss dann einen Tag lang trocknen. Anschließend versehe ich ihn noch mit einem Innenfutter, meinem Logoband und Verzierungen, sofern gewünscht. Wenn ich soweit bin, nach etwa ein bis zwei Wochen, gibt es noch einmal eine Anprobe, bei der der Kunde prüft, ob der Hut auch wirklich gut sitzt. Wenn alles passt, kann er ihn gleich mitnehmen.
Woher nimmst du deine Ideen?
Von überall her. Manchmal sehe ich einen Gegenstand oder eine Form, die mir gefällt und denke, „Hey, das würde toll an einem Hut aussehen!“. Neulich habe ich beispielsweise diese Plastikschüssel in einem Küchenwarenladen gefunden. Ich könnte mir eine tolle Hutkrempe mit dieser gewellten Form vorstellen.
Wieviele Hutmacher gibt es heute noch in Ungarn?
Nur noch sehr wenige. Die älteren Hutmacher geben ihre Methoden und Geheimnisse der Hutmachkunst leider nicht preis, weshalb es für die jungen Leute schwierig ist, das Handwerk zu lernen. Ich musste dafür ja auch extra nach London reisen, und hätte man mir dort die Studiengebühren nicht aus Großzügigkeit erlassen, hätte ich auch diese Ausbildung nicht machen können. In Ungarn gibt es außer mir nur ein paar junge Hutdesigner, wie beispielsweise Kolos Schilling. Ansonsten kenne ich aber eigentlich niemanden.
Warum, glaubst du, ist dieses Metier am Aussterben?
Einerseits ist die Nachfrage oft nicht groß genug, andererseits ist es ein Handwerk im wahrsten Sinne des Wortes, das Zeit, Geduld und letztlich auch Geld kostet. Die Grundmaterialien, die ich für die Herstellung meiner Hüte benötige, muss ich mir alle aus dem Ausland besorgen. Das wiederum ist teuer, weil ich mir die Stoffe nicht einfach im Internet bestellen kann, sondern sie wenigstens einmal anfassen und ihre Qualität prüfen möchte. Nur so kann ich auch qualitativ hochwertige Ware garantieren. In letzter Zeit, so habe ich das Gefühl, wird diese Art der detailgenauen Handarbeit aber wieder mehr geschätzt – vielleicht auch, weil Hüte wieder mehr in Mode sind. Aussterben wird die Hutmacherei also, so hoffe ich, nicht. Ohne einen Arbeitsplatz, eine Werkstätte wie diese hier im T?zraktér, wird es allerdings schwierig, weiterhin produktiv zu bleiben. Nicht nur für mich, sondern auch für die vielen anderen Designer und Künstler, die in diesem Gebäude arbeiten.
Erdei Ildikó Virág
Showroom und Werkstatt: T?zraktér, Heged? utca 3
www.masamod.com
Tel.: +36 70 396 8102
Email: info@masamod.com
Zur Person
Ildikó Virág Erdei ist 31 Jahre alt und hat ihre Ausbildung zur Hutmacherin in London an einer der renommiertesten Schulen Englands absolviert. Anschließend arbeitete sie unter anderem im Hutsalon von Königin Elisabeth II. und bei einem Hutmacher des traditionsreichen Ascot Derby. Zurück in Ungarn ist es ihr nun ein Anliegen, die Hutmacherei vor dem Aussterben zu bewahren und sie wieder neu zu beleben. Bestellungen nimmt sie jederzeit gern entgegen. Die Fertigstellung dauert etwa ein bis zwei Wochen. Ildikós Hüte kosten zwischen 10.000 und 15.000 Forint.