„Von wegen, das ungarische Volk habe keine Geduld! Fast ein ganzes Jahr lang hatte es geduldig auf das Wirtschaftsprogramm der Regierung gewartet. (…) Am 1. März war es schließlich soweit. Das nach dem ehemaligen Finanzminister Kálmán Széll benannte Programm wurde offiziell vorgestellt. (…)
Volkswirtschaftsminister György Matolcsy bei der Präsentation des Széll Kálmán-Plans.
Was wir aufgetischt bekamen, war aber im Großen und Ganzen enttäuschend (am Tag der Präsentation fiel nicht nur der Wert des Forint, sondern auch der Budapester Börsenindex). Der Grund: Abgesehen von der Aufzählung der Programmpunkte, der Bekanntgabe des Fahrplans und der Eckdaten der Einsparungen und Einschnitte wurde wenig Konkretes bekannt, das der edlen Absicht der Regierung, den Staatshaushalt nachhaltig zu konsolidieren, Glaubwürdigkeit verliehen hätte.
Sparmaßnahmen, die keine sind
Bei der Präsentation des Széll Kálmán-Plans nannte der stellvertretende Ministerpräsident Tibor Navracsics gleich zwei Dutzend solcher Maßnahmen, mit denen erhebliche Einsparungen erreicht werden können. Gleichwohl suggerierte er dem Publikum: Ungeachtet des Scheins sind die geplanten Schritte der Regierung nicht im Entferntesten als Sparmaßnahmen zu betrachten.
Nach der Augenwischerei von Navracsics entlockte uns dann auch noch der Volkswirtschaftsminister (György Matolcsy; Anm. d. Red.) ein mitleidiges Lächeln. Er sagte, dass es gelungen sei, dank der „ungewohnten“ (sprich: von niemandem empfohlenen) Wirtschaftspolitik der Regierung das Land zu stabilisieren. Er unterließ es freilich, Beweise hierfür vorzulegen.
Ohne Gesundbeten geht’s nicht
Zu unserer Beruhigung hat er aber klargemacht, dass die Regierung fortan keine Abenteurer-Politik verfolgen werde. So werde sie die Budgetlöcher nicht mit Geldern aus dem staatlichen Rentenfonds stopfen, sondern die Probleme bei der Wurzel packen, also die Staatsverschuldung senken. (…)
Wir bekamen von György Matolcsy zu hören, dass die 900 Milliarden Forint, die laut Regierungsplan ab 2013 jährlich eingespart werden, zum Großteil über Ausgabenkürzungen erreicht werden sollen, nur ein Viertel soll aus Steuererhöhungen hereinkommen (die Prolongierung der Bankensteuer, der Aufschub der Senkung der Körperschaftssteuer, die Einführung eines nutzungsorientierten Straßengebührsystems).
Leider kommt auch Matolcsys Plan nicht ohne das Element des Gesundbetens aus. Dies ist aber offenbar auch notwendig, um tatsächlich ein Wirtschaftswachstum von vier bis sechs Prozent zu erreichen, wie es der Volkswirtschaftsminister in Aussicht gestellt hat. (…) Ein solches Wachstum hält außer ihm nämlich niemand für realistisch, vor allem deshalb, weil die Aufrechterhaltung der „brutalen“ Bankensteuer der Finanzierung der Privatwirtschaft weiterhin im Weg stehen wird. Wie auch die bis 2014 geplanten dreihunderttausend Arbeitsplätze eher in die Kategorie Wunschtraum gehören, wiewohl die Entlastung des Sozialsystems eigentlich zu begrüßen wäre.
Was hat so lange gedauert?
Es stellt sich unweigerlich folgende Frage: Warum mussten die Ungarn zehn Monate darauf warten, um endlich zu erfahren, wie die Regierung die Erneuerung Ungarns zu verwirklichen gedenkt. Niemand hat im Ernst gedacht, dass ein umfassendes Wirtschaftsprogramm im Handumdrehen ausgearbeitet werden kann, vor allem in Zeiten, in denen umfangreiche Budgeteinsparungen erreicht werden müssen.
Aber es war auch nicht zu erwarten, dass eine Garnitur von Politikern derart unvorbereitet an die Regierung gelangt. Obwohl sie schon seit zehn Monaten am Ruder ist, reicht es nach wie vor nur für Feuerwerke an Ideen, ohne ernstzunehmende Machbarkeitsstudien.
Ungewissheit besteht fort
Dies ist insofern ein Problem, als die Bürger in einem Zustand der Ungewissheit gelassen werden. So ist weiterhin fraglich, ob es gelingen werde, die Gläubiger des Landes und die großen Unternehmen gleichermaßen zu beruhigen (die Leidtragenden der Sondersteuern und die Medikamentenhersteller sicherlich nicht!).
In Ermangelung von Details ist auch noch nicht abzusehen, wie die angekündigten Maßnahmen die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen berühren und wie diese selbst darauf reagieren werden. Wird es etwa Streiks in Zweigen und Branchen geben, die von den Einschnitten besonders betroffen sein werden? Oder werden sie alles in Stille schlucken? Die Regierung ihrerseits wird wohl weiterhin danach trachten, den Bürgern Sand in die Augen zu streuen, um ihre Aufmerksamkeit von den unangenehmen Folgen der Sparmaßnahmen abzulenken.“
Die Autorin ist leitende Mitarbeiterin des Wirtschaftsforschungsinstituts Pénzügykutató. Der hier abgedruckte Text erschien am 4. März 2011 in der Wochenzeitung Élet és Irodalom.