„Pressefreiheit besteht unverändert weiter“
Heiß her ging es letzten Donnerstag im vollbesetzten Spiegelsaal der Andrássy-Universität bei einem Podiumsgespräch über das ungarische Mediengesetz und die entsprechende Auslandsberichterstattung. Die Diskutanten waren: András Koltay, Mitglied des MNHH-Medienrates, Károly Vörös, Chefredakteur der linken Tageszeitung Népszabadság, József Martin (Foto rechts), früherer Chefredakteur der konservativen Tageszeitung Magyar Nemzet sowie Jan Mainka, Chefredakteur der Budapester Zeitung. Geleitet wurde die Diskussion vom ehemaligen Osteuropa-Korrespondenten der NZZ und derzeitigem Dozenten an der Andrássy-Uni Andreas Oplatka.
Fühlt sich vom Mediengesetz bedroht: Népszabadság-Chefredakteur Károly Vörös (Mitte).
Jeder der Podiumsteilnehmer hatte am Anfang die Möglichkeit, seine Meinung zum Thema des Abends kurz und bündig kundzutun. Die Eröffnung der Runde oblag Mainka. Zunächst stellte er fest, dass er sich als frei denkender Journalist Ende letzten Jahres, als erste Nachrichten zum angeblichen Inhalt des neuen Mediengesetzes herauskamen, schon gewisse Sorgen gemacht hätte. Als er sich dann aber näher mit der Materie vertraut gemacht hatte, sowohl das Gesetz studiert, als auch Medienexperten beider Lager interviewt hatte, wurde ihm schnell klar, dass seine Sorgen überflüssig gewesen seien und dass es in dem Gesetz nichts gebe, was ihn in seiner Arbeit als Journalist einschränken würde. „Die Diskussion über das Gesetz ist wie ein Luftballon künstlich aufgeblasen. Mögliche Bedrohungsszenarien sind an den Haaren herbeigezogen“, so das Fazit des Chefredakteurs.
„Regierung wird nie über Medien herrschen“
András Koltay begann seine Ausführungen mit einem unmissverständlichen Bekenntnis zur Pressefreiheit: „Die Stimmen, die sich in Ungarn und in Europa um die ungarische Pressefreiheit sorgen, muss man sehr ernst nehmen. Die Pressefreiheit ist als Grundbestandteil der Demokratie nicht verhandelbar. Sie ist unverzichtbar für die Demokratie. Als europäisches Land muss auch Ungarn die Pressefreiheit in Ehren halten.“ Sodann stellte er klar, dass das ungarische Mediengesetz Ausdruck einer eher konservativen Medienregulierung sei. „Es soll ein Gleichgewicht schaffen zwischen der Medienfreiheit als grundlegendes Interesse und gewissen öffentlichen-rechtlichen Aspekten.“ Es gehe nicht um die Frage, ob man die politische Presse durch ein Gesetz überhaupt beschränken könne, vielmehr gehe es darum, wie man in den Medien öffentlich-rechtlichen Aspekten eine bessere Geltung verschaffen könne, insbesondere in Anbetracht der übertriebenen Boulevardisierung und der Expansion privater Anbieter. Insgesamt vertrat Koltay die Ansicht, dass eine Regierung – egal welche Mehrheiten sie auch habe – schon allein aus ganz praktischen Gründen niemals über die Medien herrschen könne.
„Amoklauf der Institutionen“
Károly Vörös hingegen sprach sich erwartungsgemäß radikal gegen das Mediengesetz aus. Es sei die „Spitze des Eisbergs“ bei einem „Amoklauf der gesetzgeberischen Institutionen gegen die Rechtsstaatlichkeit“. In jedem einzelnen Element des Gesetzes sehe der Népszabadság-Chefredakteur eine Bedrohung für die Pressefreiheit. Insbesondere kritisierte er einige seiner Meinung nach bewusst schwammig abgefasste Formulierungen in dem Gesetz. Einige Passagen des Gesetzes würden schon allein sprachlich an die Grenze der Verständlichkeit stoßen. Insgesamt würde das vorliegende Mediengesetz in den Redaktionen zu einer Atmosphäre der Angst und damit letztlich bei den Journalisten zu Selbstzensur führen.
Weitere Schritte notwendig
Józef Martin äußerte sich eher gemäßigt zum Gesetz. Sachlich machte er deutlich, dass die Korrekturen der EU-Kommission wichtig gewesen seien, die Diskussion damit jedoch nicht abgeschlossen sei. Konkret fand er beispielsweise die Frage, wer bei Verstößen gegen gewisse Vorgaben ermitteln solle, im Gesetz nicht klar genug geregelt. Obwohl er in dem vorliegenden Gesetzestext auch noch weitere Passagen mit Klärungsbedarf ausmachen konnte, sehe er aber bis zum heutigen Tag in der Praxis keinerlei Spur einer Einschränkung der Pressefreiheit.
Während sich Vörös darauf versteifte, dass das Mediengesetz in seiner derzeitigen Form komplett unakzeptabel sei und man ein solches Gesetz in einem demokratischen Land niemals eingeführt hätte, vertraten die restlichen Teilnehmer im weiteren Verlauf der Diskussion einen eher konzilianten Standpunkt und suchten gar den Dialog. So wollte etwa Mainka vom Chefredakteur der Népszabadság konkret wissen, ob die Pressefreiheit in Ungarn derzeit noch bestünde. Bekanntlich erschien die erste Népszabadság des Jahres 2011 mit einer Titelseite, die bis auf den in sämtlichen EU-Sprachen gedruckten Satz „In Ungarn wurde die Pressefreiheit aufgehoben“ aus Protest leer war. Ebenso wollte Mainka wissen, ob in der Redaktion der Népszabadság jetzt tatsächlich eine Atmosphäre der Angst herrsche und Selbstzensur stattfinde. Er selber könne als Leser der Népszabadság jedenfalls nicht feststellen, dass die Tageszeitung weniger kritisch schreibe als vor Inkrafttreten des Mediengesetzes, eher das Gegenteil sei der Fall. Leider blieb Vörös auch trotz mehrfacher Nachfragen – sowohl von Mainka aber auch von Diskussionsleiter Oplatka – beharrlich einer klaren Antwort auf diese beiden klaren Fragen schuldig.
Einig war man sich schließlich – natürlich mit Ausnahme von Vörös – hinsichtlich der teils stark überzogenen Auslandsberichterstattung der letzten Zeit über Ungarn, insbesondere zur Frage des Mediengesetzes. „Rhetorische und hysterische Übertreibungen gab es reichlich“, meinte etwa der freischaffende Journalist Martin. Koltay versuchte dem Medienrummel aber auch etwas Positives abzugewinnen. „Die Entscheidungen des Medienrates werden vor dem Kreuzfeuer der Öffentlichkeit getroffen. Befangenheit würde sofort auf das Aufsehen der Bevölkerung stoßen.“ An dieser Stelle machte er auch klar, dass nicht seine Behörde, sondern nur die Gerichte das letzte Wort hätten.
„Keine Selbstzensur zu erkennen“
Am Ende war man sich einig, dass sicherlich noch Gesprächsbedarf bestünde und man einiges noch genauer formulieren sollte. Auf jeden Fall herrsche derzeit keine Stimmung, die zur befürchteten Selbstzensur führen könnte. Eines ist aber auch klar: „Die Diskussion wird weitergehen“, wie Hans Kaiser, Leiter Budapester Vertretung der Konrad-Adenauer-Stiftung, im Schlusswort der Veranstaltung feststellte.
Zugleich bemühte sich der langjährige Regierungssprecher und Medienprofi mit gewissen Relativierungen etwas Spannung aus der Diskussion ums ungarische Mediengesetz zu nehmen. „Die Ausgewogenheit der Medien ist ein generelles Problem, das seit vielen Jahren europaweit diskutiert wird. Ich kenne auch europaweit kein einziges Mediengesetz, das nicht speziell von den Medien heiß diskutiert worden ist“, stellte es die ungarischen Vorgänge in einem gesamteuropäischen Kontext. Sollte es jetzt über die von EU vorgebrachten und von ungarischer Seite bereits berücksichtigten Änderungen hinaus noch bedenkliche Passagen geben, könne immer noch der Weg zum ungarischen Verfassungsgericht beschritten werden. „Ich habe eine hohe Zuversicht in die Rechtsprechung in diesem Land“, schloss Kaiser optimistisch.
Die eigens von der Konrad-Adenauer-Stiftung angefertigte deutsche Übersetzung des ungarischen Mediengesetzes ist seit letztem Freitag auf der Internetseite der Stiftung – www.kas.de/ungarn/ – abrufbar.