„Die Regierung hat jüngst den Széll Kálmán-Plan publik gemacht. Der Plan ist das seit langem erwartete Konzept für ein nachhaltiges Wachstumsprogramm. Schon der Untertitel „Vereinigung gegen die Verschuldung“ lässt keinen Zweifel daran, dass als erste Prioritäten der neuen Wirtschaftspolitik die Senkung der hohen Staatsverschuldung und die Befreiung aus der Schuldenfalle gelten. Der gesamte Plan gründet denn auch auf diesem Grundgedanken. Dies heißt, dass jede der geplanten Maßnahmen letztlich der Schuldensenkung dient.
Die Reaktionen auf den Széll Kálmán-Plan waren äußerst unterschiedlich. Von Seiten der Opposition hagelte es Kritik. Im Grunde sieht sie ein neues Sparpaket darin. Die Wirtschaftsexperten übten nur zurückhaltende Kritik. Unter anderem fehlen ihnen die Details. Zudem machten sie auf die möglichen Risiken aufmerksam. Anders die Märkte: Von ihnen wurde der Plan durchwegs positiv aufgenommen. Zwar verlor der Forint nach der Präsentation des Plans etwas an Wert, allerdings konnte er sich am Tag darauf wieder festigen. Die Mehrheit der Analysten zeigte sich jedenfalls zufrieden: Richtung und Philosophie der geplanten Maßnahmen würden stimmen. (…)
Wirtschaftspolitische Wende
In den vergangenen zehn Monaten war die Wirtschaftspolitik der Regierung Orbán von der Auffassung geprägt, dass eine rasche Ankurbelung des Wirtschaftswachstums alle wirtschaftlichen Probleme lösen werde. (…) Während die Probleme mit außergewöhnlichen Maßnahmen (siehe Sondersteuern) in den Griff zu bekommen sind, kann die Wirtschaft, als Ergebnis von Steuerkürzungen, zum Höhenflug ansetzen. Ein höheres BIP-Wachstum wiederum liefert die finanzielle Grundlage für die Herstellung des äußeren und inneren Gleichgewichts, so das ursprüngliche Kalkül der Regierung.
Dieses Konzept gründete auf der Annahme, dass das Grundproblem der ungarischen Wirtschaft im niedrigen Beschäftigungsniveau liegt. (…) Dies ist allerdings nur zum Teil richtig. Die schwache Produktionsleistung des Landes ist nicht nur der niedrigen Beschäftigung geschuldet, sondern auch der schlechten Struktur. (…)
Strukturelle Probleme
Folglich sieht der Széll Kálmán-Plan in der Bekämpfung der strukturellen Probleme einen wichtigen Teil der Lösung. Seit den Zeiten des real existierenden Sozialismus ist das Gefüge der ungarischen Wirtschaft nicht nur überholt und anachronistisch. Es widerspricht auch einer ausgewogenen Struktur von Angebot und Nachfrage. (…)
In diesem System macht es mithin wenig Sinn, über die Höhe des Wachstums zu diskutieren, das Gefüge als Ganzes muss verändert werden. Die im Széll Kálmán-Plan erwähnten Problembereiche (Beschäftigung, Rentensystem, öffentlicher Verkehr, Hochschulbildung, Medikamentenkasse, Lokalverwaltungen) und die vorgeschlagenen Therapien deuten darauf hin, dass die politischen Entscheidungsträger erkannt haben, was der Schlüssel für die ungarische Modernisierung ist.
Kritisiert wird am Plan, dass er keine Details beinhalte, dass er nicht konkret genug sei und also eher als Wunschliste, denn als Aktionsplan zu betrachten sei. Einerseits ist die Kritik gerechtfertigt, fehlen doch tatsächlich die detaillierten Reformprogramme und Machbarkeitsstudien zu den einzelnen Teilgebieten. Andererseits muss man sich aber auch klar machen, dass ein auf Subsysteme aufgegliedertes, detailliertes Programm, mehrere hundert, wenn nicht gar tausend Seiten umfassen würde. Dies wäre für den Normalbürger schlechthin unüberschaubar.
Ambitioniertes Programm
Freilich: In Fachkreisen wird es selbstverständlich notwendig sein, die konkreten Programmvorschläge zu diskutieren und zu überprüfen, ob die Kalkulationen eine reale Grundlage haben. (…) Aufgrund der Eckdaten können wir allerdings schon jetzt feststellen, dass sich hinter dem Plan ein äußerst ambitioniertes Programm verbirgt.
Die Regierung hat sich beispielsweise dazu verpflichtet, die gegenwärtige Staatsverschuldung in Höhe von mehr als 80 Prozent des BIP bis Ende 2014 auf 65 bis 70 Prozent zu senken. Darüber hinaus hat sie versprochen, das Haushaltsdefizit innerhalb von drei Jahren stufenweise auf 1,9 Prozent des BIP zu reduzieren. (Nur zur Erinnerung: Im Zeitraum 2002 bis 2006 bewegte sich das Defizit zwischen sieben und neun Prozent!)
In concreto bedeutet dies, dass die Regierung die Budgetausgaben im Jahr 2012 um 550 und in den Jahren 2013 und 2014 um jeweils 900 Milliarden Forint senken will. Als Ergebnis wird das Niveau der staatlichen Umverteilung um drei bis vier Prozent niedriger sein.
Keine andere Alternative
Der Plan berge große Risiken in sich, lautet eine andere Kritik. Zweifelsohne sind die Risiken denkbar groß. Niemand kann den Erfolg garantieren, so können sich im Zuge seiner Verwirklichung viele unsachgemäße und nicht zielführende Schritte einschleichen. Auch können die Korrekturen zu spät kommen, oder die Verbesserungsmaßnahmen zu neuen Problemen führen.
Doch sind die Risiken viel höher, wenn wir überhaupt nichts tun. Wir schieben diese Probleme seit dreißig-vierzig Jahren vor uns her. Und sie sind in dieser Zeit nur größer geworden. Wir haben daher keine andere Wahl, als uns endlich der Lösung der Probleme anzunehmen.“
Der Autor ist Universitätsprofessor und Forschungsdirektor des Wirtschaftsforschungsinstituts Századvég Gazdaságkutató. Der hier in Auszügen abgedruckte Text erschien am 5. März 2011 in der Tageszeitung Magyar Nemzet.