Staatsminister, Außenminister und Bundeskanzler
Im Auftrag des österreichischen Kulturforums hielt Oliver Rathkolb, Leiter des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Wien, einen Vortrag an der Andrássy Universität zum Thema „Bruno Kreisky und seine Zeit“. Der Begründer des Kreisky-Archivs legte dabei seinen Schwerpunkt auf die internationalen Beziehungen des ehemaligen österreichischen Bundeskanzlers, der im Januar seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Rathkolb lobte Kreisky als modernen Botschafter und medial geschickten Politiker. „Kreisky war zugleich Pionier und Außenseiter, was die Nahostfrage anging“, so Rathkolb.
„Kreisky war Pionier und Außenseiter“, so Rathkolb.
Vor einem überwiegend älteren Publikum ging der Historiker und Jurist auf den politischen Aufstieg Kreiskys ein. Dabei bezeichnete Rahtkolb den 1911 Geborenen als untypischen österreichischen Politiker: „Erstens aufgrund seiner jüdischen Herkunft und zweitens, da er unfreiwillig von September 1938 bis Anfang des Jahres 1951 Zeit im Exil in Schweden verbrachte.“ Trotz seiner Emigration konnte er in Österreich wieder politisch Fuß fassen. Dieses Bild des „untypischen Politikers“ rundete Rathkolb ab, indem er auch darauf verwies, dass Kreisky 1936 mehr als ein Jahr in Haft verbringen musste und Zeit seines Politikerlebens in einer Mietvilla wohnte.
„Aufpasser“ für Theodor Körner
Der rasante Aufstieg Kreiskys bis hin zum Bundeskanzler begann 1951. Die Parteispitze der SPÖ um Vizekanzler Adolf Schärf verpasste dem neugewählten Bundespräsidenten Theodor Körner einen „Aufpasser“. „Mit Kreisky als außenpolitischem Berater hatte man jemanden, der dem als eigenwillig und wenig diplomatisch bekannten Körner auf die Finger schaute“, plauderte Rathkolb aus dem Nähkästchen. Kreisky nutzte seine Chance und betrieb eine sehr aktive Rolle als Staatsminister, ohne jedoch die Position von Außenminister Leopold Figl (ÖVP) in Frage zu stellen.
Moskauer Memorandum
Bis zu diesem Zeitpunkt galt Kreisky als „Mann der zweiten Reihe“. Doch er profitierte vom Erfolg der Moskauer Verhandlungen. Im „Moskauer Memorandum“ war er maßgeblich daran beteiligt, dass die Sowjetunion die Neutralität Österreichs anerkannte und somit der Aufnahme in die NATO nichts mehr im Wege stand. Den Tag der Rückkehr aus der Sowjetunion, mit dem unterschriebenen Staatsvertrag in der Tasche, bezeichnete Kreisky selbst „als den größten Tag seines politischen Lebens“. Jedoch war das erst der Anfang. Er war es, der das Außenministerium als eigenes Ressort durchsetzte und die Errichtung einer „diplomatischen Akademie“ möglich machte. „Somit hatte Kreisky über Nacht das ganze diplomatische konservative Korps hinter sich“, erklärte Rathkolb. Und erzählte ferner von einem medial geschickten Außenpolitiker, der sich auch innenpolitischer Themen wie dem Minderheitsrecht in Südtirol annahm.
In der Ostpolitik war Kreisky Pionier. Er versuchte, Willy Brandt in die Nahostfragen zu integrieren, wurde jedoch oft als Außenseiter wahrgenommen. Ihm war es schließlich zu verdanken, dass ein Gespräch mit Schimon Peres zustande kam. Hier halfen ihm die Beziehungen zu Ägyptens Präsident Anwar al Sadat. Die Lösung des Palästinenser-Konfliktes endete mit dem „Camp-David-Abkommen“. Großen Anteil daran hatte zweifelsohne der Vermittler Kreisky. „Er war stets versucht, eine Politik aus anderen Rahmenbedingungen zu setzen, die ganz Europa betrifft. Leider ist er an den Amerikanern und an den Europäern gescheitert“, fasste Rathkolb Kreiskys Wirken zusammen. Auch als Bundeskanzler setzte er nicht nur auf bilaterale Beziehungen, sondern auf internationales Denken. Wie kein anderer verinnerlichte Kreisky die Rolle eines österreichischen Bundeskanzlers. „Er suchte immer Partner und versuchte, diese dann zusammenzubringen. Ihm gelang die Schaffung eines Netzwerks der internationalen antikommunistischen Länder“, so Rathkolb. Dabei sah er sich jedoch immer als Repräsentant eines neutralen Kleinstaates.
Kritik an der EU
Kritik gab es seitens des Redners in Richtung der Europäischen Union: „Die Bedeutung für den Nahen Osten hat die EU leider nur punktuell erkannt.“ Angesprochen auf die Frage, ob ein Mann wie Kreisky in der heutigen Zeit fehle, erwiderte Rathkolb: „Es fehlt ein Akteur, der ein inneres Netzwerk von Entscheidungsträgern bilden kann. Hierzu bedarf es nicht eines Mannes, sondern einer ganzen Gruppe. Momentan ist hier leider nichts in Sicht.“