„Wie eine Schatzsuche“
Ein wenig Punk und Underground, buntes Neues gemischt mit Altem – das findet man im Retrock nahe Astoria. Besitzer Róbert Líbor bietet zusammen mit Dóra Gyöngyösi und Klára Erdelyi selbstgemachte Vintagekleidung zu fairen Preisen. Die Budapester Zeitung sprach mit ihnen über Anfänge, Kunden und Zukunftspläne des Ladens.
Dóra Gyöngyösy, Róbert Líbor und Klára Erdélyi im Retrock.
Wie entstand der Laden und das Modelabel Retrock?
Líbor: Oh, da müsste ich jetzt ganz weit ausholen. In Kürze würde ich sagen, dass ich schon immer von Second Hand fasziniert war. Ich mag Psychedelic Rock, Underground und das ganze Drumherum. Deswegen habe ich als Jugendlicher viele Läden auf der Suche nach passender Kleidung durchforstet. Am Ende habe ich dann nicht nur für mich selbst, sondern auch für meine Freunde Klamotten gesucht und gefunden. Daraus entstand die Idee, einen ganz besonderen Second Hand Laden zu eröffnen, was ich dann in Szeged tat. Trotz der vielen Studenten dort wurde mir die Stadt nach drei Jahren zu klein und ich ging nach Budapest, wo ich 2001 Retrock in einem Hinterhof ganz in der Nähe vom jetzigen Standort eröffnete. Damals war die Retrowelle gerade in Ungarn angekommen und es gab nur wenige Läden die diesen Stil anboten. Nach ungefähr einem halben Jahr fing ich dann an, Kleidung selber zu gestalten.
Kreationen von Retrock.
Wann kamen die anderen beiden dazu?
Líbor: Dóra geht mir seit 2002 zur Hand, und Klára hilft seit anderthalb Jahren aus. Ihre eigenes Label, Acid&Zorro, das früher mal Lollipop hieß, ist seit acht Jahren ebenfalls in unserem Laden vertreten. Insgesamt arbeiten wir ständig mit etwa drei anderen ungarischen Designern zusammen, deren Kleidung wir im Retrock verkaufen. Ungefähr zehn weitere fertigen außerdem Ohrringe, Taschen, Buttons oder andere Accessoires an.
Gyöngyösi: Wir schauen auch immer im Ausland nach neuen Designern, die innovative, neue Linien haben und zu uns passen. Manche sind dann nur mit ein, zwei Teilen im Laden vertreten, vielleicht auch nur ein einziges Mal.
Wie würden Sie den Laden beschreiben?
Gyöngyösi: Retrock ist kein gewöhnlicher Second Hand Shop, sondern in Wirklichkeit ein Vintage-Geschäft. Wir haben zwar auch heute noch etwa 30 Prozent gebrauchte Kleidung, der Rest ist jedoch neu designt, von uns oder eben den Labeln. Gebrauchte Kleidung ist geändert und umkreiert. Es entsteht daraus etwas ganz Neues. Das hat nicht mehr viel mit Second Hand im ursprünglichen Sinne zu tun. Sondern ist Old-School, Vintage oder Underground. Ein einzigartiger, neuer Stil.
Líbor: Gebraucht ist auch nicht gleich gebraucht. (lacht) Wir haben spezielle, alte Kleidung aus den 60-er bis 80-er Jahren, die wir auf Flohmärkten oder in anderen Läden finden. Die meisten davon sind Einzelstücke. Wir suchen immer besondere Teile und verändern sie dann. Dabei stehen uns einige Schneider zur Seite, die unsere Ideen verwirklichen und auch die Kleidung individuell an den Käufer anpassen. Das gilt sowohl für die Vintage-Einzelstücke als auch für unsere eigenen Sachen. Letztere gibt es nicht immer in allen Größen, da wir meistens nur in kleinen Auflagen produzieren. Manchmal muss dann eben für einen Käufer ganz schnell aus einem XL T-Shirt eines in Größe M gemacht werden.
Wie oft erhalten Sie neue Ware?
Erdelyi: Nicht täglich, wir sind ja keine Fabrik. Die Sachen brauchen Zeit, um zu entstehen. Jede Woche kommt eher hin, ich würde sagen, im Durchschnitt sind es drei bis vier neue Teile pro Woche. Manche sind Einzelstücke, wie eine Tasche, die aus einer spontanen Idee entstanden ist. Andere Sachen, wie zum Beispiel Frühlingsjacken, sind geplant, die kommen in einem bestimmten Monat, saisonal in den Laden.
Gyöngyösi: Wir haben keine Kollektionen, dass würde uns die Spontaneität nehmen, wir produzieren in dem Sinne das ganze Jahr über Neues. Wir sind Autodidakten, haben uns das Designen selber oder gegenseitig beigebracht. Deswegen haben wir eine ganz andere Herangehensweise. Aber es gibt sehr wohl auch Stücke, die wir nachproduzieren lassen, sobald sie alle verkauft sind. Dazu gehören die Männer-T-Shirts mit Siebdruck. Aber einander exakt gleich sind sie natürlich nicht.
Líbor: Es ist wie eine Schatzsuche. Wir sind immer auf der Suche nach Inspiration, die vielleicht von einem schönen Stoff oder einem T-Shirt rühren kann. So bleibt es für uns immer ein spontaner Prozess des Kleidermachens, hier können wir uns kreativ entfalten.
Gibt es einen bestimmten Kundentyp, der in Retrock einkauft?
Líbor: Wir verdanken zwar in erster Linie ungarischen Käufern unseren Erfolg und die schnelle Entwicklung des Ladens und Labels, aber inzwischen kaufen auch unglaublich viele Ausländer bei uns ein. Dabei sind Alter und soziale Schicht eigentlich egal und sehr gemischt.
Gyöngyösi: Das stimmt. Wie der typische Käufer aussieht könnte ich nicht sagen. Außerdem haben wir neben Retrock auch seit fünf Jahren den Laden Retrock Deluxe, der nur eine Straße weiter am Károlyi Kert ist. Die Kleidung dort ist etwas klarer, reifer und eleganter. Frisch und neu ist die Mode trotzdem. Zwar haben wir dort keine Designer für Herrenmode, aber die importieren wir. Somit bieten wir allen etwas, egal ob sie Einzelstücke, Vintage oder Modernes mögen.
Was ist das Geheimnis Ihres Erfolges?
Gyöngyösi: Retrock war damals seiner Zeit voraus und wurde dadurch bekannt. Jetzt haben wir das Glück, dass viele Ausländer, wie Holländer, Franzosen, Deutsche und Skandinavier zu uns kommen, auch unser Stand auf dem Sziget Festival ist jedes Jahr gut besucht. Die Leute lieben unsere Sachen und wollen mehr davon.
Líbor: Wir hatten damals und haben bis heute eine Auswahl, die in nur sehr wenigen Läden in Budapest zu finden ist. Unser Erfolg hat vielen jungen Designern Mut gemacht, sich im selben Viertel anzusiedeln und Mode zu machen.
Was planen Sie für die Zukunft?
Gyöngyösi: Wir sind seit kurzem bei Facebook, wo wir immer die neuesten Teile einstellen, und haben angefangen, einen Webshop aufzubauen. Das ist insbesondere für die ausländischen Kunden von Vorteil, die so auch später noch bei uns einkaufen können. Viele Käufer fragen uns ja auch, ob wir vielleicht in Paris, Mailand oder Amsterdam vertreten sind. Natürlich wäre es schön, einen eigenen Laden im Ausland zu eröffnen.
Líbor: Wir haben vor kurzem schon einmal versucht, in Berlin Fuß zu fassen, dass hat leider wegen der Wirtschaftskrise nicht geklappt. Wir werden es aber bestimmt nicht aus den Augen verlieren. Die steuerlichen Konditionen in Wien und Berlin sind im Gegensatz zu Ungarn nämlich unglaublich gut.
Im Retrock findet man nicht nur Kleidung sondern auch viele bunte Accessoires.
Retrock
Ferenczy István utca 28
Retrock Deluxe
Henszlmann Imre utca 3, 2. Stock
www.retrock.com
Tel.: +36 30 678 8430
Email: retrorocker@gmail.com
Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag von 10.30 bis 19.30 Uhr, Samstag von 10.30 bis 15:30 Uhr, Sonntag geschlossen
Zur Person
Róbert Líbor kehrte seinem Beruf als Konditor 1997 endgültig den Rücken als er seinen ersten Laden in Szeged eröffnete. Ab 2002 half ihm dann Dora Gyöngyösi tatkräftig, das Label Retrock zu erweitern und bekannter zu machen. Das Ergebnis ihrer gemeinsamen Anstrengungen war die Eröffnung von Retrock Deluxe. Die weitere Entwicklung verdankt die Marke Klára Erdélyis Wissen, das sie seit anderthalb Jahren beisteuert.