Béla Tarr: „Die Regierung hasst die Intellektuellen“
Der namhafte ungarische Regisseur Béla Tarr sorgte am Rande des 61. Berliner Filmfestivals „Berlinale“ für einen Eklat. Nachdem Tarr für seinen Film „The Turin Horse“ den Großen Preis der Jury und den FIPRESCI-Preis erhalten hatte, machte er in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel seinem Unmut über die rechtskonservative Regierung von Viktor Orbán Luft.
Distanziert sich von seinen Aussagen: Béla Tarr.
Auf die Frage, wie sich das kulturelle Klima in Ungarn verändert habe, sagte Tarr: „Bei uns passiert gerade, was man in Deutschland “Kulturkampf“ nennt.
Staatliche Förderzusage „Klopapier“
Die Regierung hasst die Intellektuellen, weil sie liberal und oppositionell sind, sie beschimpft uns als Vaterlandsverräter.“ Gefragt danach, ob er als Filmemacher konkret behindert werde, antwortete der Regisseur: „Die Regierung hat jede Unterstützung für uns gestoppt. Die Hälfte der Produzenten ist schon pleite, Kinos schließen, auch drei meiner eigenen Produktionsprojekte liegen auf Eis. (…) Aber die von staatlicher Seite unterschriebene Förderzusage ist jetzt bloß noch Klopapier.“ Die Frage schließlich, ob er mit dem Gedanken spiele, ganz ins Ausland zu gehen, beantwortete Tarr folgendermaßen: „Ich bin Ungar. Diese Regierung ändert gerade die Verfassung und stellt sich auf 20 Jahre Amtszeit ein. Aber sie muss weg. Nicht ich.“
Schaden für Filmlandschaft
In Ungarn sorgte das Tagesspiegel-Interview Tarrs für Empörungsstürme, zumal im Regierungslager. Der Chef des staatlichen Filmverleihs Mokép, Balász Gulyás, richtete sogar einen offenen Brief an den Regisseur. Er schreibt darin wie folgt: „Statt uns selbstvergessen über diesen Preis zu freuen und stolz darauf zu sein, sind wir dazu gezwungen, die leichtfertigen Äußerungen zu analysieren, die der Regisseur siegestrunken getätigt hat.“ Gulyás unterstellte Tarr, dass das Interview „schlicht und einfach Unwahrheiten“ beinhalte. Es schade deshalb nicht nur Tarr selbst, sondern der gesamten ungarischen Filmindustrie. Der ungarische Filmproduzentenverband wiederum rief Tarr dazu auf, er solle „auf allen internationalen Foren“ klarstellen, dass er „ausschließlich seine Privatmeinung gesagt“ habe. Dies sei umso bedauerlicher, als Tarr vom ungarischen Staat „bedeutende Unterstützung zur Verwirklichung seiner Filme“ erhalten habe.
„Erfolg des Films“ beschmutzt
Als Reaktion auf die heftige Kritik, sagte Tarr gegenüber der Nachrichtenagentur MTI, er sehe sich gezwungen, sich von dem Interview zu distanzieren. Dessen Stil sei nicht sein Stil: „Ich pflege auf diese Art weder zu kämpfen noch zu diskutieren oder zu argumentieren. Ich halte es für sehr erniedrigend, dass dies alles die Aufnahme und den Erfolg des Films beschmutzt und ihn auf das Niveau der Tagespolitik heruntersetzt.“ Tagesspiegel-Journalist Jan Schulz-Ojala, der das Interview mit Tarr geführt hatte, sagte im Namen seines Blattes gegenüber der Budapester Zeitung, dass „wir keinen Anlass haben, uns von der Aufzeichnung zu distanzieren“.
Tarr gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen ungarischen Regisseure. Filme wie Satanstango und Werckmeister Harmonien sind schon jetzt Klassiker. Die Drehbücher zu den meisten Tarr-Filmen schrieb der namhafte Schriftsteller László Krasznahorkai.