Kritik am Auswärtigen Amt erneuert
Rund 150 Gäste versammelten sich im Spiegelsaal der Andrássy Universität, um einen Vortrag des Historikers Hans Mommsen zu hören. Mommsen besuchte die Universität zum ersten Mal, wobei er zum Thema „Die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Bundesrepublik Deutschland. Last und Verpflichtung“ referierte. Die Veranstaltung, welche von Donau-Institut und Konrad-Adenauer-Stiftung organisiert wurde, sollte auch für die ungarische Bevölkerung eine Hilfe sein, die postkommunistische Vergangenheit aufzuarbeiten.
Nahm bei seiner Rede kein Blatt vor den Mund: Hans Mommsen.
Sichtlich erfreut zeigte sich Ellen Bos, Leiterin der Professur für Politikwissenschaft an der Andrássy Universität, über den Besuch von Hans Mommsen: „Es ist ein schon lange geplantes Vorhaben gewesen, das nach Jahren nun endlich geklappt hat.“ Sie lobte die ehrliche und schonungslose Aufarbeitung der Vergangenheit in Deutschland und wies zugleich auf die Bedeutung für Ungarn hin. „Im Rahmen der Donaustrategie steht eine Aufarbeitung der Geschichte hier noch aus.“
„Es ist eine Legende, dass die Bevölkerung damals neutral war“
Hans Mommsen stellte in seiner 60-minütigen Ansprache gleich zu Beginn fest, dass es für ihn selbst ein Wagnis sei, bloß eine Stunde über dieses Thema zu referieren. Doch die Anspannung hatte er nach einer kurzen Anlaufphase abgelegt. Beginnend bei der Orientierungsphase in der Nachkriegszeit, in der die Deutschen ein neues Nationalgefühl entwickelt hätten, erklärte Mommsen die verschiedenen Dimensionen der Aufarbeitung. Er wies darauf hin, dass die deutsche Bevölkerung sich eine Zeitlang als passives Mitglied der nationalsozialistischen Vergangenheit angesehen habe. Mommsen erläuterte, dass die Schuld auf die Repräsentanten der Nazi-Zeit projiziert worden sei. „Es ist eine Legende, dass die Bevölkerung damals neutral gewesen sei“, so der 80-jährige. Er verwies hierbei auf den Adolf Eichmann-Prozess, der mit der Forderung einher ging, einen Schlussstrich zu ziehen. Ab jenem Zeitpunkt sollten keine Straftäter mehr verfolgt werden.
Historikerstreit 1986
Als einen Meilenstein bei der Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit, definierte Mommsen den Historikerstreit 1986, als Ernst Nolte den Nationalsozialismus als Gegenreaktion zum Bolschewismus bezeichnet hatte. In Anbetracht dieser unmöglichen Gleichsetzung nahmen Institutionen das Thema auf und das Interesse war wieder geweckt. Was folgte, war eine umfangreiche Aufklärung an den Schulen. „Dabei ist es immer wichtig zu erklären, nicht zu verurteilen“, fügte der in Marburg geborene Mommsen hinzu.
Kritik am Auswärtigen Amt
Gegen Ende seines Vortrages hob Mommsen, dessen Urgroßvater Theodor 1902 der erste deutsche Literaturnobelpreisträger war, den Zeigefinger: „Die moralisierende Interpretation dieser Zeit durch die Medien ist ein Rückfall in die 50er Jahre.“ Dabei kritisierte er die Fokussierung auf Hitler. Auch erneuerte er seine Kritik am Auswärtigen Amt und an dessen in Auftrag gegebenem Buch „Das Amt und die Vergangenheit“: „Es ist ein Versuch, Geschichte auszulöschen. Ein Rückschlag in der Aufarbeitung der NS-Zeit“. Dabei verwies er auf die ausschließliche Untersuchung des Holocausts in der Zeit zwischen 1933 bis 1945 in dem Buch. Zudem sei Vorsicht geboten, dass sich die Regierung nicht zu sehr einmische. Dies betreffe vor allem auch den Drittmitteleinfluss. „Anscheinend hat die neue Generation der Historiker vergessen, was die Generation vor ihnen gemacht hat.“ Dieser Seitenhieb richtete sich gegen die Verfasser des Buches, die es unterließen, die vorangegangenen Studien in ihrer Arbeit zu erwähnen. Dass nun wieder bei null angefangen werde, erklärte sich Mommsen damit, dass die staatliche Finanzierung ja irgendwie gerechtfertigt werden müsse.
Am Ende seines Vortrags hatte der Historiker noch einen Rat parat: „Regierungsnahe Institutionen beauftragen gezielt Historiker. Ich würde diese Initiative besser der freien Forschung überlassen“.