„Ich habe mir meinen Traum erfüllt“
Man könnte ihr stundenlang zuhören, diesem aufgeweckten Mädchen mit dem blonden Kurzhaarschnitt. Während sie erzählt, nestelt sie an ihren Buntstiften herum, lacht viel, macht ausladende Gebärden. Und man wünschte, man hätte selbst den Mut, von Sibirien nach Budapest zu trampen. Doch Anna Zaboeva scheut sich nicht, Ängste und Unsicherheiten zuzugeben. Sie ist kein unreifer Teenager mit irrealen Ideen und Flausen im Kopf, nicht mehr. Denn jetzt ist sie eine der gefragtesten Schuhdesignerinnen in Budapest – und mit ihrem Laden aus der Wesselényi Utca nicht mehr wegzudenken.

Anna mit ihrem Hund Roger und ihren Schuhkreationen.
Wie und warum bist du nach Budapest gekommen?
Ich hatte in meiner Heimat Film studiert, aber naja, wer macht schon Filme in Russland? Ich hatte Angst, mich mit meiner Arbeit nicht identifizieren zu können, deshalb wollte ich einfach nur weg, allem entfliehen. Mit 20 reiste ich zunächst ein Jahr lang in Russland herum. Schließlich entschloss ich mich dazu, im Ausland zu leben. Als ich aufbrach, hatte ich nur einen Euro in meiner Tasche, aber ich war jung, ich dachte mir, wen interessiert’s? Die Reise selbst war dann auch ziemlich abenteuerlich: Ich reiste völlig ohne Plan, mit dem Zug, mit dem Auto, per Anhalter. Zu dem Zeitpunkt war Budapest der einzige Ort, an dem ich mir vorstellen konnte zu leben. Außerdem hatte ich die Stadt vorher schon einmal wegen eines Filmfestivals besucht, kannte mich also bereits etwas aus. Tja, und nun ist es schon mein viertes Jahr in Budapest.

Annas Schuhe: Qualität zu einem fairen Preis.
Wie ging es nach deiner Ankunft in Budapest weiter?
Ich erhielt die Möglichkeit, an einem Postgraduiertenprogramm für russische Studenten teilzunehmen und an der Moholy-Nagy Universität Textildesign zu studieren. Einfach war das allerdings nicht, weil ich damals noch kein Ungarisch sprach. Ich arbeitete also eher für mich allein und machte mein Ding. Meine Diplomarbeit bestand dann aus neun paar Schuhen. Meine Freunde fanden sie toll, aber die Lehrer konnten absolut nichts damit anfangen. Kein einziger kam zur Vorstellung meiner Diplomarbeit! Meine Freunde meinten, ich solle doch versuchen, die Schuhe über’s Internet zu verkaufen. Und die Leute kauften wie wild, die Nachfrage war riesengroß. Ich hatte damals allerdings kein Werkzeug zur Herstellung von Schuhen. Also versuchte ich, diese nach und nach zu besorgen, was nötig war, um den vielen Bestellungen gerecht zu werden. Ich knüpfte dann auch Kontakt zu ein paar Schuhmachern, von denen ich mir Rat einholte. Und plötzlich – ich wusste gar nicht wie mir geschah – gewann ich den ersten Platz bei einem Design-Wettbewerb. Das brachte mir Publicity und vor allem neue Kunden. Und da merkte ich dann auch, dass meine Küche nicht mehr der ideale Arbeitsplatz für die Herstellung meiner Schuhe war.

Und so hast du dann den Laden eröffnet?
Noch nicht ganz. Erst eröffnete ich mit einer guten Freundin eine kleine Schuhmanufaktur. Die eignete sich jedoch nicht als Laden, da sie eine schlechte Lage hatte und keine Laufkundschaft anlockte. Es war dann ein Riesenglück, dass wir vor einigen Monaten den Laden in der Wesselényi Utca gefunden haben. Allerdings bedeutete das auch, dass ich plötzlich verdammt viele Dinge auf einmal tun musste: Ich war für das Schuhdesign verantwortlich, war Ladenführerin, war Produktionsmanagerin, meine Freundin erledigte die ganze Papierarbeit. Bevor wir den Laden eröffneten, sagten mir alle, dass ich nicht enttäuscht sein soll, wenn wir im ersten Jahr nur Verlust machen. Doch schon im ersten Monat hielten sich Ausgaben und Einnahmen die Waage, das war toll! Vor allem, weil ich nie in Werbung investiert hatte. Doch natürlich ist es als Schuhdesignerin auch so, dass ich kein festes Gehalt habe. Wieviel mir am Monatsende bleibt, kann mir keiner genau sagen. Dafür habe ich mir aber meinen Traum erfüllt!

Was genau verkaufst du in deinem Laden?
Hauptsächlich Schuhe meiner Marke „Pleasemachine“. Der Name kommt von dem Fakt , dass man bei mir über den Webshop auch Schuhe nach Wunsch in verschiedenen Farben und Größen bestellen und anfertigen lassen kann, nach einer von mir vorgegebenen Form. Mir ist allerdings wichtig, dass die Schuhe bezahlbar bleiben: In meinem Laden liegt der Durchschnittspreis bei etwa 100 Euro. Für Designerschuhe, die per Hand hergestellt werden, ist das, denke ich, ganz fair. Und man bekommt dafür ein individuelles Design – egal ob Sneaker, Boots, Sandalen, Ballerinas oder Oxfords. Ansonsten verkaufe ich in meinem Laden, der übrigens „Siberia“ heißt – und ich glaube, die Herkunft des Namens muss ich nicht erklären – auch Sachen einiger meiner Freunde, zum Beispiel Schmuck, Geldbörsen und Krawatten.

Woher nimmst du deine Ideen?
Eigentlich von überall her. Oft lasse ich mich von ganz einfachen Dingen inspirieren, beispielsweise von weggeworfener Kleidung auf dem Sperrmüll. Ich mag die Idee, diese Textilien auf meinen Schuhen weiterleben zu lassen. In der Slowakei habe ich neulich zum Beispiel einen wunderschönen Stoff auf der Straße gefunden. Er stammt von einem alten Hausmantel aus den Siebzigern, und ich werde ihn in einer ganzen Schuhserie verarbeiten. Es ist schon lustig, weil die meisten wahrscheinlich nicht ahnen, dass sie gerade Stoff vom Sperrmüll tragen. Aber ich recycle eben gern. Auch das Ledermaterial der Schuhe nehme ich, wenn möglich, von alten Lederjacken. Allerdings ist mir Qualität sehr wichtig: sowohl in den verarbeiteten Stoffen als auch in der Schuhherstellung selbst – Qualität zu einem fairen Preis.

Siberia
Wesselényi utca 19
1077 Budapest
Webshop: www.erayo.com/Pleasemachine
Zur Person
Anna Zaboeva, 26, und stammt aus Russland. Geboren wurde sie nach eigenen Worten im „tiefsten Sibirien“. In Novosibirsk hatte sie zunächst Textilingenieurwesen und anschließend Filmregie studiert, ehe es sie im Jahr 2007 nach Budapest verschlug. Hier studierte sie Lederdesign an der Moholy-Nagy Universität für Kunst und Design. 2010 eröffnete sie ihren Laden „Siberia“. Über ihren Webshop, www.erayo.com/Pleasemachine, verkauft sie außerdem Schuhkreationen nach den Wünschen der Kunden.
