Viktor Orbán verstehen
Die Autorität eines Politikers kann sich aus vielen Quellen speisen. Sie kann von den erreichten Erfolgen, den gewonnen Schlachten und in die Zukunft projizierten Hoffnungen herrühren. Sie kann auch auf seine machtpolitische Lage, die Kraft seines Willens und die Unwiderstehlichkeit seiner Worte zurückzuführen sein. Sie kann aber auch seinen persönlichen Fähigkeiten, seiner Popularität, seiner geistigen Potenz oder anderen außergewöhnlichen Talenten geschuldet sein.
In Hinblick auf seine Akzeptanz innerhalb der Regierungspartei Fidesz spielen bei Viktor Orbán zweifelsfrei der bislang erreichte politische Erfolg und die Hoffnung auf zukünftige Triumphe eine große Rolle. Viele folgen und vertrauen ihm, weil sie in ihm einen Garanten für dauerhaften Machtbesitz sehen. Darüber hinaus können sie keinen anderen Politiker ausmachen, der imstande wäre, dermaßen viele Wähler in seinen Bann zu ziehen und bei der Stange zu halten. Die Tatsache allerdings, dass er nach der Wende der einzige ungarische Politiker war, der sich trotz zweier aufeinanderfolgender Wahlniederlagen an der Spitze seiner Partei behaupten konnte, erfordert eine Erklärung, die weiter ausholt. Es ist zwar richtig, dass seine Politik sowohl 2002 als auch 2006 auch innerhalb des Fidesz heftig kritisiert wurde, gleichwohl gelang es ihm während der acht Jahre in Opposition (2002-2010), sein großes und heterogenes politisches Lager beisammen zu halten. Ernsthafte parteiinterne Herausforderer gab es nie. Selbst dann nicht, als der Erfolg seiner Politik zumindest fragwürdig erschien.
Aufbau der Partei zentralistisch
Zweifelsohne hat der Regierungschef in den vergangenen zwei Jahrzehnten alles dafür getan, um die Machtverhältnisse innerhalb seiner Partei zu seinen Gunsten zu verschieben. Er hat stets darauf geachtet, mögliche Kontrahenten innerhalb des Fidesz kleinzuhalten, seine Rivalen rechtzeitig auszuschalten und die Jungtürken der Partei gegeneinander auszuspielen. Neben der Kamarilla-Politik, die ständige Wachsamkeit verlangt, ging er daran, die Entscheidungsmechanismen und die Verwaltung der Gelder in seiner Partei zu zentralisieren. Er ließ es zu keinem Zeitpunkt zu, dass sich in der Partei andere Machtzentren bilden konnten. Bei diesem Bestreben fungierte der ebenfalls zentral kontrollierte und gelenkte wirtschaftliche Dunstkreis des Fidesz bisher als elementarer Faktor. Dieses wirtschaftliche Hinterland gibt dem Regierungschef nicht nur einen wichtigen Rückhalt, sondern ist auch ein integraler Bestandteil Orbánscher Machtausübung. Potentielle Rivalen können nicht umhin, sich diesen Machtverhältnissen anzupassen. Jede Änderung dieser Rahmenbedingungen würde eine direkte Bedrohung für das politische und wirtschaftliche Gefüge des Fidesz darstellen. Gegen den Willen Viktor Orbáns kann mithin nichts verändert oder umgekrempelt werden.
Personenkult als Machtbasis
Schließlich ist da noch der Personenkult um Orbán, der insbesondere auf seine politischen Gegner äußerst irritierend wirkt. Viktor Orbán ist ein Politiker, der auf seine Umgebung eine große Anziehungskraft ausübt – dies wird aus Gesprächen mit leitenden Vertretern aus Wirtschaft und Politik immer wieder manifest. Selbst jene Unternehmenschefs, oder andere einflussreiche Personen, die sonst in keinerlei Weise von Orbán abhängen oder an einem Erfolg des Fidesz interessiert sind, sprechen von persönlichen Treffen mit dem Regierungschef mit bisweilen kaum nachvollziehbarer Begeisterung und Leidenschaft. Obwohl ich davon ausgehe, dass meine Worte missverstanden und im politischen Kontext falsch interpretiert werden, schreibe ich Folgendes dennoch nieder – wohlgemerkt mit deskriptiver Absicht: Viktor Orbán ist ein Politiker, der auf die Menschen große Wirkung ausübt. Überraschenderweise gelingt ihm dies abseits des Scheinwerferlichts der Öffentlichkeit noch mehr. All jene, die ihm nahe stehen, beschreiben ihn ohne Ausnahme als charismatisch, fachlich kompetent, gescheit und zielstrebig. Dies sagen sogar diejenigen, die mit seiner Politik nicht einverstanden sind.
Anhänger folgen der Macht
Ich erachte es insofern für wichtig, über diesen besonderen Kult zu sprechen, als ich davon überzeugt bin, dass nur das Verblassen oder Verlöschen dieses Kultes zu einer endgültigen und unumkehrbaren Erosion der politischen Macht Viktor Orbáns führen würde. Denn: Wenn seine Anhänger nicht mehr daran glauben, dass sie mit ihm erfolgreich sein können, kann er an der Spitze eines noch so zentralistischen Systems stehen, parteiinterne Rivalen wird er dann nicht mehr aufhalten können.
Gábor Török ist Politikwissenschaftler.
Er lehrt an der Corvinus Universität.