Böse Zungen behaupten ja, Viktor Orbáns Staatsbesuch bei Wladimir Putin in der vergangenen Woche sei in Wirklichkeit eine Studienreise gewesen. Der zeitgleich eingereichte Strafenkatalog zum Mediengesetz spricht in der Tat eine Sprache, die einer westlichen Demokratie wie Ungarn unwürdig ist.
Viktor Orbán hat in der Vergangenheit mehrfach anklingen lassen, dass er ein großer Fan des „Ostens“ ist. Schade nur, dass er sich nicht Chinas Wirtschaftskraft, Indiens Kreativität oder die immer noch große Relevanz Russlands im globalen Machtpoker als Vorbild nimmt, sondern die kleinkarierte Pfuscharbeit von durchschnittlich begabten Parteibonzen in den genannten Ländern, gepaart mit der Arroganz, die solchen Leuten eigen ist.
Anders kann man sich den neuesten Angriff der Regierung auf die Presse nicht erklären. Da wird Medien mit existenzgefährdenden Bußgeldern gedroht, falls sie irgendwelche Gummiparagraphen nicht einhalten, Fidesz-Parteischallplatten wie Péter Szijjártó und Antal Rogán reden von einer Ausdehnung der Pressefreiheit und der Wahrnehmung der Interessen irgendeiner „Mehrheit“, und sogar László Kövér, der seine Rolle als Parlamentspräsident ansonsten sehr ernst nimmt, reiht sich ein und gibt den Journalisten die Mitschuld an der Wirtschaftskrise, unter höflichem Beifall der rührigen Adenauer-Stiftung, die offenbar immer noch glaubt, dass der Fidesz die Schwesterpartei der CDU sei.
Mangelnder Sachverstand
Die Bußgelder sollen übrigens von der allmächtigen Chefin der Medienbehörde und ehemaligen Chefredakteurin eines Erotik-Heftchens, Annamária Szalai, ausgesprochen werden, und dann ist man eigentlich sehr schnell wieder bei der haarsträubenden Unprofessionalität der Vorgängerregierungen unter Ferenc Gyurcsány – man erinnere sich nur an Gesundheitsministerin Ágnes Horváth, den Zoodirektor Miklós Persányi als Umweltminister und andere „Experten“. Anders als mit mangelndem Sachverstand kann man jedenfalls nicht erklären, wieso die Regierung tatsächlich glaubt, das Internet und darin sogar Blogs in irgendeiner Art und Weise zensieren zu können, oder wie bewerkstelligt werden soll, dass das ungarische Pressegesetz auch im Ausland gilt.
Immerhin versteht es der Fidesz ganz geschickt, den angestrebten, wenn auch weitgehend sinnlosen Umbau des Rechtsstaates, den – entgegen anderslautender Berichte – die meisten Ungarn ganz gut finden, in Winkeln voranzutreiben, denen der gemeine Wähler in seinem privaten Alltag möglicherweise keine so hohe Bedeutung beimisst, wie etwa beim Verfassungsgericht oder der freien Presse. Problematisch könnte es nur dann werden, wenn Frau Szalai trotz ihrer halbseidenen Vergangenheit einmal auf die Idee kommen sollte „Big Brother“ und Konsorten als jugendgefährdend einzustufen und die privaten Fernsehsender mit saftigen Geldstrafen zu belegen oder gar sperren zu lassen – immerhin könnten im Sinne der neuen Regelung ohne weiteres Szenen gefunden werden, die nicht so ganz förderlich sind für die Entwicklung von Minderjährigen. Vielleicht würde es dann auch endlich aus dieser Richtung zu den von der Rest-MSZP und der ausländischen Presse herbeigesehnten Massendemonstrationen gegen Orbán kommen.
Aber bis dahin muss sich die Regierung die Frage gefallen lassen, was das Ganze eigentlich soll. Wenn wenigstens eine erkennbare Richtung, ein Streben nach einem politischen Ziel welcher Couleur auch immer vorhanden wäre, könnte man ja gegen irgendetwas sein… Derzeit sieht die Politik der Regierung aber eher nach einem riesigen Brainstorming aus, bei der jeder Mal eine Idee einbringen darf und sich häufig genug sogar darüber freuen kann, sie wenig später ohne große Diskussion in Gesetzesform vorzufinden. Im Prinzip ist das ja auch eine Art Demokratie, für Beschwerden gibt es also vorerst keinen Grund. Es wäre nur gut, irgendwann einmal nicht mehr als Versuchskaninchen in einem gesamtgesellschaftlichen Experiment aufzuwachen.