Ausgehebelt
Am Ende könnten die Kritiker womöglich doch Recht behalten. Diejenigen, die schon lange vor der Abschaffung des Rechtsstaates durch den Fidesz gewarnt und Viktor Orbán in unzähligen Artikeln und Reden als machtbesessenen Polithai dargestellt haben.
Dabei hatte bei der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch den Fidesz eigentlich alles noch recht harmlos ausgesehen. Die ersten symbolischen Maßnahmen wie die Erleichterung der Einbürgerung für ethnische Ungarn aus den Nachbarländern wurden allenfalls von schlecht unterrichteten „westlichen“ Kommentatoren, die relativ wenig Verständnis für die komplizierte ethnische Situation in Mitteleuropa haben, kritisiert. Auch die Änderung des Kommunalwahlgesetzes, die dem Fidesz die Mehrheit in den Stadträten sichern sollte, wurde zunächst mit einem Schulterzucken quittiert. Und selbst die Wahl des wenig geeignet scheinenden Pál Schmitt zum Staatspräsidenten wurde von den Bürgern ohne weiteres hingenommen – immerhin ist die Amtszeit des Präsidenten begrenzt, und viele dachten sich wohl, dass man nach den Osmanen, den Habsburgern und den Sowjets auch den überforderten Degenfechter im höchsten Staatsamt noch überstehen werde.
Aber seit vergangener Woche ist die Situation eine andere. Mit der Verabschiedung einer Verfassungsänderung, die die auf fünf Jahre rückwirkende Besteuerung von staatlichen Leistungen erlaubt, und der gleichzeitigen Streichung der Möglichkeit, derlei offensichtlich verfassungswidrige Regelungen durch das Verfassungsgericht überprüfen zu lassen, wird der Rechtsstaat in Ungarn auf eine harte Probe gestellt.
Es geht hierbei nicht um die exorbitant hohen Abfindungen, die sich einige Mitglieder der Entourage des ehemaligen MSZP-Politikers und derzeitigen U-Haft-Insassen Miklós Hagyó haben auszahlen lassen. Die Verfassungsänderung ermöglicht zwar auch die rückwirkende Besteuerung dieser – offensichtlich sittenwidrigen – Gelder, erstreckt sich aber auch auf alle (!) anderen Auszahlungen, die der Staat vornimmt: Beamtengehälter, Renten, Kindergeld und ähnliches.
Zusammen mit der bereits früher eingeführten Maßnahme, nach der Beamte jederzeit fristlos und ohne Begründung gekündigt werden können, schafft der Fidesz eine ganz neue Situation in der öffentlichen Verwaltung: Ab jetzt wird wie in früheren Zeiten Angst und Untertanengeist Vorschub geleistet, statt autonom denkender Staatsdiener schafft sich die Regierung willfährige Vasallen. Der öffentliche Sektor, der so dringend in Richtung Bürgernähe reformiert werden müsste und dafür nicht zuletzt selbstständig denkende und handelnde Staatsdiener braucht, wird um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurückgeworfen. Denn eines ist klar: Sobald diese Regierung einen Teil des öffentlichen Sektors über das Portemonnaie der dort Beschäf-tigten bestrafen möchte, kann sie das tun. Zumal durch die Beschneidung der Kompetenzen des Verfassungsgerichtes eine gewichtige Institution kaltgestellt wurde, die dem Einhalt gebieten könnte.
Ohnehin eröffnet die Einschränkung der Verfassungsgerichts-Kompetenzen ein Füllhorn an Möglichkeiten, die Bürger in ständiger Angst vor möglichen Retorsionen zu halten. Die Neuregelung der Befugnisse untersagt dem Verfassungsgericht nämlich die Kontrolle sämtlicher Gesetze, die Steuern und Abgaben betreffen. Ab jetzt wird also niemand dem Parlament Einhalt gebieten können, wenn es etwa das System der rückwirkenden Strafsteuern auch auf Teile der Privatwirtschaft ausdehnen möchte.
Beispiel gefällig? Sollte der Regierung ein Artikel dieser Zeitung nicht gefallen oder sollte sich der BZ-Verlag durch große Profite auffällig machen (wenig wahrscheinlich!), könnte sie beispielsweise auf die Idee kommen, eine beliebig hohe Steuer auf Einnahmen von Verlagshäusern zu erheben, die zwei verschiedene fremdsprachige Zeitungen herausgeben, von denen eine in englischer Sprache erscheint. Damit wäre der Verlag der Budapester Zeitung, der einzige, auf den die Maßgaben zutreffen. Als Begründung könnte etwa der Schutz der ungarischen Sprache vor zu viel global-englischem Einfluss herhalten. Klingt absurd, wäre aber ganz legal machbar.
Die Steuerzahler in diesem Land – ob nun einfache Bürger oder Unternehmen – sollten keine Illusionen mehr haben: Ab jetzt sind sie in Steuerfragen dem Wohlwollen und den Interessen des Fidesz ausgeliefert. Die Verfassung ist in dieser Hinsicht ausgehebelt, der staatlich garantierte Schutz des Eigentums existiert auf diesem Gebiet nicht mehr.