“Ungarische Erde unterm Brandenburger Tor”
„Die Erde unter dem Brandenburger Tor ist ungarische Erde.“ Mit diesen Worten zitierte der Vorsitzende der Konrad Adenauer Stiftung (KAS) Budapest, Hans Kaiser, den „Einheitskanzler“ Helmut Kohl vergangenen Donnerstag im Terrormuseum an der Andrássy út 60. Anlässlich des 20. Jahrestags der Deutschen Einheit übergab er dort feierlich ein Originalstück der Mauer an das ungarische Museum unter der Leitung von Mária Schmidt. Laut Kohl war es Ungarn, das den ersten Stein aus der Mauer gebrochen hat.
„Die Dynamik, die in Ungarn eingeleitet wurde, war unaufhaltsam“, erklärte auch Eberhard Diepgen, von 1984 bis 1989 und von 1991 bis 2001 Regierender Bürgermeister von Berlin. So seien für ihn persönlich nächtlich im Radio gesendete Hilferufe aus Ungarn während des Volksaufstands 1956 erster Auslöser dafür gewesen, eine politische Karriere einzuschlagen. Obwohl die Mauer „kalt und brutal“ gewesen sei, habe sie sich aber doch auch zum Symbol dafür entwickelt, dass die „Angst vor ‚denen da oben’ zur Angst ‚derjenigen da oben’ wurde“. Diepgen ist heute stellvertretender Vorsitzender der Initiative „Gegen Vergessen – Für Demokratie“.
Gegen ein Vergessen nicht nur der schlimmen Diktaturen sondern auch der eigenen Leistungen im Kampf gegen diese sprach sich ein anderer Redner aus: „Wenn wir nicht lernen, uns selbst zu schätzen und erhobenen Hauptes stolz zu sein, dann bleibt alles über den nationalen Zusammenschluss hinaus nur leeres Gerede“, sagte der Mann, der die Öffnung der Grenze nach Österreich im Sommer 1989 selbst veranlasst hatte: der damalige ungarische Ministerpräsident Miklós Németh. Bei den Feierlichkeiten zu 20 Jahren Mauerfall 2009 in Berlin, zu denen unter anderen er und Lech Walesa geladen waren, sei die große Wertschätzung und Dankbarkeit Deutschlands gegenüber Ungarn offenbar geworden. Diese hätten jedoch die hiesigen Medien nur sehr schwammig wiedergegeben. Németh bedankte sich für die Ehre, die ihm bei der Veranstaltung im Terrorhaus zuteil geworden sei.
Solidarität unter den Völkern
Die ehemalige Ministerpräsidentin Thüringens und Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Dagmar Schipanski, erklärte, sie habe als „Teil des Volkes“ staunend und teils aktiv, teils passiv den damaligen Geschehnissen beigewohnt; mit 800 Kilometer Länge sei auch die Mauer als allgegenwärtiges, sichtbares „Zeichen des Hasses auf den Klassenfeind“ in ihrer Heimat in Thüringen besonders zu spüren gewesen. Doch hätten die Bewohner Osteuropas „ihre Würde zurückerhalten in dem Moment, in dem sie die Angst vor den Machthabern verloren haben“. Ohne die Solidarität der Völker untereinander sei dies nicht möglich gewesen, betonte Schipanski, und hob auch die heutige Rolle eines friedlichen und gemeinsamen Europas hervor. „Jedoch kennen viele junge Leute in Deutschland und Ungarn heute nicht mehr den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur“, sagte sie. Gerade deshalb seien Gedenkstätten wie das Terrorhaus so wichtig. Denn „Deutungshoheit im kollektiven Gedächtnis gehört den Opfern und nicht den Tätern“, betonte Schipanski.
Tyrannen gibt es immer noch
„Die Zeiten ändern sich. Was wir nicht vergessen dürfen: Sie ändern sich nicht von selbst“, meinte auch Helmuth Frauendorfer, der stellvertretende Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, einem Erinnerungsort für Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft. Auch dafür solle „das monströse Stück Mauer“ Symbol sein. Immer noch gebe es Tyrannen, erklärte der aus dem rumänischen Banat stammende Schriftsteller, der in den 1980er Jahren vor der Diktatur Nicolae Ceausescus geflohen war.
Damit der Fall der Mauer möglich war, brauchte es Menschen, die in ihren „Köpfen stets die Einheit bewahrten“, erklärte der ungarische Staatssekretär Zoltán Balog. Schmunzelnd erzählte er eine Anekdote aus seiner Studienzeit, im Zuge derer er sich in Ost- und manchmal auch in Westberlin aufgehalten habe: „Provoziere nicht diese Ostdeutschen.
Originalstück der Berliner Mauer in Budapest
Die sind noch nicht soweit wie wir“ habe man ihm dort von ungarischer Seite und aus gegebenem Anlass einmal mitgeteilt. Auch heute müssen soziale, kulturelle und politische Mauern, die Zusammengehörigkeit behindern, ausgrenzen und Hass erzeugen, eingerissen – oder zumindest „mit Türen“ versehen werden, so der Politiker. Dennoch, betonte er, gebe es Mauern, die nötig seien, denn Grenzenlosigkeit erzeuge Angstgefühle. Diese müssten jedoch gemeinsam errichtet werden, dann würden sie auch verbinden. „Die Basis guter Nachbarschaft ist ein Zaun“, besage schon ein ungarisches Sprichwort. Darin braucht man natürlich auch ein Tor, so Balog.
Trotz Schießbefehl nicht geschossen
Von Zäunen sprach auch Parteikollege Miklós Csómos, der Budapester Bürgermeister István Tárlos vertrat. Aus eigener Erfahrung habe er selbst, in einer ungarischen Kleinstadt nahe der Grenze aufgewachsen, erlebt, dass „ein Gartenzaun ganz schnell zur Landesgrenze“ werden kann; eine Folge des Vertrags von Trianon. Wegen diesem seien die Ungarn auch in der Lage, die Teilung Deutschlands mitzufühlen, meinte er. „Wenn eine Nation die eigene Tragödie begreift, begreift sie auch andere“, erklärte er. Schuld am Mauerbau seien die beiden Diktaturen, die „Kralle des 20. Jahrhunderts“, gewesen. Explizit dankte Csómos dem ehemaligen Ministerpräsidenten dafür, dass die ungarischen Soldaten im Sommer 1989 nicht geschossen hätten, „trotz Schießbefehl“.
Nie wieder Mauern
Dass die Mauer nie mehr gebaut werden dürfe, darin waren sich alle Anwesenden einig. Stellvertretend für ihr Regime hatte sie fast 30 Jahre lang Menschen in Ostdeutschland und ganz Osteuropa den westlichen Teil der Welt versperrt und dabei Menschenleben gefordert. Und doch war es vielen irgendwann wie eine unabänderliche Tatsache erschienen. Erst durch den Mut der Menschen in der Revolution von 1989 wurde sie zu Fall gebracht und dadurch die lang ersehnte Freiheit ermöglicht. Das Ergebnis ist bekannt; mit der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 wurde das Ende des Ostblocks besiegelt und die Einheit Europas wieder hergestellt. Als Mahnmal und Zeugnis zweier Diktaturen wird vor dem Haus des Terrors nun auch dieser Abschnitt der Geschichte erinnert.