„Budapest war einfach mal dran“
So sehr lag Ungarns Hauptstadt für die Präsentation von Gegenwartsliteratur aus Deutschland auf der Hand, dass sie schon wieder in den Hintergrund rückte. Unter dem Titel „Vom neuen und vom alten Leben“ wurde vergangene Woche nach achtjährigem Bestehen das Programm „Verlagsmetropolen“ des Literarischen Colloquium Berlin (LCB) endlich auch in Budapest abgehalten. Mitorganisator der Veranstaltung war das hiesige Goethe-Institut.
Im Zuge der mehrtägigen Veranstaltung lasen die deutschsprachigen Autoren Judith Kuckart, Marcel Beyer Léda Forgó, Katharina Hacker, Lutz Seiler und Jan Wagner am 3. und 4. November aus ihren Werken und wurden dabei simultan auf Ungarisch übersetzt. Die gelesenen Textausschnitte waren zuvor in der Oktoberausgabe der ungarischen Literaturzeitschrift Kalligramm veröffentlicht worden. Gäste des Podiumsgesprächs der Autoren am Donnerstag konnten interessante Zusatzinformationen erfahren, unter anderem, dass die Romane Marcel Beyers eigentlich immer auf zwei Gedichte zurückzuführen und Léda Forgós Antrieb zum Schreiben unangenehme, beunruhigende Erlebnisse seien, die sie „wenigstens verwirtschaften will“, Jan Wagner wiederum am liebsten über Gewöhnliches wie zum Beispiel „Esswaren“ schreibe und Katharina Hacker gar am interessantesten die Themen finde, „die man ausschlägt“. Der Programmdirektor des LCB, Thomas Geiger, moderierte das Gespräch. Am Tag darauf folgte eine finale Diskussion von deutschen und ungarischen Verlagsangestellten über die effektive Förderung von Literatur durch Marketingmittel. Die Veranstaltungen fanden unter anderem in Eger und an unterschiedlichen Orten in Budapest statt.
Vielfalt qualitativ hochwertiger deutscher Gegemwartsliteratur
Ziel der Reihe ist es, im jeweiligen Land bisher dort unbekannte deutsche Autoren ausländischen Verlegern, Lektoren, Übersetzern, Zeitschriftenredakteuren, Autoren und Interessierten vorzustellen. Das bedeute aber nicht, dass diese Autoren im Anschluss sofort auf Ungarisch verlegt werden, weiß Geiger, auch wenn das schon mal vorkomme. „Man drückt nicht vorne auf einen Knopf und hinten fällt ein Buch raus“. Dies sei auch gar nicht das Ziel der Veranstaltung. Die Veranstaltungsreihe sei vielmehr ein Versuch, Brücken in andere Sprachen zu bauen und die Vielfalt qualitativ hochwertiger deutscher Gegenwartsliteratur aufzuzeigen. Dazu sei in der Regel ein sehr langer Anlauf nötig, „manchmal dauert es Jahrzehnte“; notwendige Netzwerke würden häufig durch Übersetzer entstehen.
„Vom neuen und vom alten Leben“
Ein Kriterium bei der Auswahl der Kandidaten ist laut Geiger, dass die Autoren keine Debütanten mehr sind, sondern sich bereits im Heimatland einen Namen gemacht haben. „Natürlich ist aber auch wichtig, dass die behandelten Themen für das jeweilige Zielland inhaltlich interessant sind“, betont er. Der Arbeitstitel der Veranstaltung in Budapest „Vom neuen und vom alten Leben“ sei eine Referenz zum Buch „Neue Leben“ von Ingo Schulze, das sich mit der Wendezeit von 1989 als geschichtlichem Bruch auseinandersetzt. Ein Datum, das „wir ja auch mit vielen osteuropäischen Ländern teilen“.
Dafür, dass „der literarische Bezug zwischen Ungarn und Deutschland ausgezeichnet“ ist, kam Budapest als „Verlagsmetropole“ nach Städten wie Tokio, Kiew, New York oder Buenos Aires erst spät an die Reihe. Geiger erklärt das durch die Tatsache, dass hier eben auch die Notwendigkeit, mittels des Programms zeitgenössische deutsche Literatur vorzustellen, nicht so groß war wie in Rumänien, Bulgarien oder den USA. Viele ungarische Autoren sind ja auch in Berlin bekannt, wie zum Beispiel Péter Esterházy oder László Márton, der die Lesung von Judith Kuckart und Marcel Beyer im Pet?fi Literaturmuseum moderierte und im selben Flugzeug angereist war.
Bedeutende Rolle des Literarischen Colloquiums
Das LCB ist eines der wichtigsten Zentren literarischen Lebens in Deutschland und verfügt über ein vielfältiges internationales Netzwerk. Während des Kalten Krieges war die inzwischen 50-jährige Institution Zufluchtsort der Literatur in Westberlin. Unter ihrem Dach wurden Lesungen organisiert, Lehrer wie Günter Grass gaben „creative writing“-Kurse, deren Schüler zum Beispiel Peter Bichsel war. Außerdem war das Colloquium verlegerisch tätig. Zunehmend wurde literarisches Übersetzen zum Schwerpunkt, seit dem Fall der Mauer steht vor allem der Austausch mit den nun viel leichter erreichbaren Staaten Mittel- und Osteuropas im Vordergrund, dem durch das Projekt „Verlagsmetropolen“ Tribut gezollt wird.