Ein hochriskantes Spiel
Ermutigt durch seinen zweiten Wahlsieg scheint Premier Orbán jetzt keine Aufgabe mehr zu groß zu sein. Trotz der äußerst angespannten Budgetlage will er sowohl seine Defizitzusagen gegenüber der EU erfüllen als auch seine Bürger hinsichtlich der in Aussicht gestellten spürbaren Steuererleichterungen nicht enttäuschen. Und natürlich möchte er auch seinen Namen sauber halten und ihn nicht wie die Namen von Bokros, Gyurcsány und Bajnai mit hässlichen Sparpaketen in einem Atemzug erwähnt hören.
Möglich werden soll die gleichzeitige Erfüllung dieser drei Wünsche mittels des jüngsten Aktionsplans seiner Regierung, der vorgeblich nur drei spezielle Sektoren sowie die privaten Rentenkassen zur Kasse bittet. Geld solle außerdem noch über die Revision von PPP-Konstruktionen in die Staatskasse fließen. Nachdem zuvor schon die Banken für die Gesundheit des Staates bluten mussten, sind nun also vier weitere Sektoren an der Reihe. Und ähnlich wie zuvor bei den Banken hält sich natürlich auch deren Begeisterung in Grenzen. Einige Unternehmen der betroffenen Sektoren meldeten sich bereits unmittelbar nach Bekanntwerden des Plans mit lauten Protesten zu Wort.
Ihre Kritik ist völlig nachvollziehbar. Immerhin lässt sich kein Unternehmen gerne seine Geschäftspläne durchkreuzen. Erst recht nicht – wie zuvor schon die Banken – aus heiterem Himmel. Denn auch diesmal gab es keinerlei Konsultationen mit den Betroffenen. Kein feiner Stil, wenn man um die hohe Bedeutung von ausländischen Investoren für die ungarische Wirtschaft weiß. Und Orbán sollte es wissen! Zumindest deuten seine Erklärungen im Zuge der jüngsten Opel- und Audi-Investitionen darauf hin.
Kein Investor – egal ob nun aus- oder inländischer Herkunft – mag unsichere Rahmenbedingungen. Niemanden, der privates Geld in die Hand nimmt, um es zu investieren und sich damit auch der Gunst seiner Gastregion auszuliefern, wird die Vorstellung beglücken, eines Tages, wenn er nach einer schweren und vor allem kostenintensiven Aufbauzeit endlich in den schwarzen Zahlen ist, plötzlich zur Kasse gebeten zu werden, um einen Teil oder wie bei einigen Banken gleich seinen ganzen Gewinn abzuliefern.
Wenn es in internationalen Investorenkreisen ruchbar wird, dass es in Ungarn durchaus an der Tagesordnung ist, profitable Branchen mit Sondersteuern zu belegen und aus dem erst einmaligen und nun schon zweimaligen Sündenfall eine gängige Praxis wird, hat der Wirtschaftsstandort Ungarn verloren. Woher wollen dann selbst noch die bisher umworbenen Automobilinvestoren die Sicherheit nehmen, dass nicht auch sie eines Tages zur Kasse gebeten werden?
Bei aller Nachvollziehbarkeit dieser jüngsten Unmutsbekundungen sollte aber auch nicht vergessen werden, wie alternativlos die vorgenommen Einschnitte des Staates sind. Eine Erhöhung des Defizitziels ist im Sommer am eisernen Willen Brüssels gescheitert. Die Schmerzgrenze der einfachen Bürger ist schon längst überschritten. Seit den sogenannten sozialistischen Regierungen ist hier auch beim besten Willen nichts mehr zu holen. Die noch immer auf eine höchstmögliche Popularität erpichte Regierung Orbán hat es sich hingegen von Anfang an auf die Fahnen geschrieben, die einfachen Steuerzahler möglichst ungeschoren zu lassen. Jeden Forint, der von den Unternehmen der inzwischen betroffenen fünf Sektoren auf Grund des Wettbewerbs nicht an die Endverbraucher weitergereicht wird, kann sie deshalb durchaus als Gewinn verbuchen.
Ein hochriskantes Spiel, aber es könnte aufgehen. Damit dabei jedoch nicht mehr Porzellan zerschlagen wird als unbedingt nötig, sollte sich der Staat jedoch an einige elementare Regeln halten. Vor allem sollte er mit offenen Karten spielen und mit einer einheitlichen, klaren und überzeugenden Stimme sprechen. Ein allgemeiner Vertrauensverlust von Seiten ausländischer Investoren ist schließlich das letzte, was Ungarn in seiner gegenwärtigen, äußerst verwundbaren Verfassung braucht!