Der Weg ist das Ziel
„Wie kommt es, dass neulich in einem Dokumentarfilm auf arte so negativ über die Kulturhauptstadt berichtet wurde?“ Die Besucherin aus Deutschland steht auf dem Széchenyi tér in Pécs und versteht die Welt nicht mehr. Denn die Stimmung auf dem Pécser Hauptplatz ist toll, Einheimische und Gäste sitzen in Straßencafés, die zahlreichen Veranstaltungen sorgen für Abwechslung.
Die Antwort auf die Frage der Besucherin ist vielschichtig, wobei zwei Dinge im Vordergrund stehen: Die grundsätzlich zunächst negative Berichterstattung in den ungarischen Medien über die Kulturhauptstadt – was zum Teil mit dem parteipolitisch nicht einzuordnenden Gegenstand, der Kulturhauptstadt selbst, zu tun hat – sowie die schlechte Öffentlichkeitsarbeit der Kulturhauptstadtorganisation. Diese hat sich in der noch immer lebendigen sozialistischen Tradition des „Bau auf!“ über Jahre und Monate hinweg ausschließlich darauf konzentriert, über die grandiosen Bauprojekte zu reden, und dabei die Öffentlichkeit mit auf einen Trip genommen, der nur böse enden konnte. Es ist zwar absolut richtig, dass die EU als oberste Initiatorin des Kulturhauptstadtprojekts von den Städten verlangt, kein „Event-Jahr“ zu machen, sondern nachhaltige Projekte zu initiieren – aber es ist eine ganz andere Frage, was man in der Öffentlichkeitsarbeit mit einer solchen Vorgabe macht.
Denn es war von vornherein klar, dass eine relativ kleine Kulturhauptstadt wie Pécs die ambitiösen Großprojekte nur in dem außerordentlich glücklichen Fall, dass alles reibungslos klappt, plangemäß durchführen kann. Und dass dieser Idealfall nicht eintreten würde, war ebenso klar. Ab hier ist es eine Frage der Öffentlichkeitsarbeit, was man aus einer solchen Situation macht. Das Ruhrgebiet zeigt vor, wie es gehen kann. Denn auch dort ist vom Dortmunder U, das in den kommenden Monaten an den Start gehen soll, über den Essener Hauptbahnhof, der noch immer eine Baustelle ist, bis hin zum „Schuhkarton“ von Herzog & de Meuron auf dem Duisburger Museum Küppersmühle, den es vielleicht überhaupt gar nicht geben wird, eine ganze Menge „nicht fertig“. Und dann kommt der künstlerische Direktor von RUHR.2010, Karl-Heinz Petzinka, im vergangenen September nach Budapest und erklärt bei einem Vortrag, dass das alles genauso, als work in progress gedacht sei und dass es ihm völlig egal sei, ob die Dinge „fertig“ sind oder nicht, immerhin entstünden die Bauprojekte für die Einheimischen und nicht für das Kulturhauptstadtjahr. Diesen Kunstgriff beherrschen die Pécser Verantwortlichen bis heute nicht.
Nur gut, dass sich die Pécser und ihre Gäste von derlei Unwägbarkeiten nicht beeindrucken lassen. An den warmen Spätsommertagen genießen sie die sehr geschmackvoll neugestalteten Plätze der Stadt, freuen sich über Veranstaltungen wie „Pécs Cantat“, bei dem während einer ganzen Augustwoche 1.200 Chorsänger aus 24 Nationen in der Innenstadt (in den meisten Fällen) spontan oder (seltener) auch organisiert einfach sangen, und sind stolz auf Ausstellungen wie etwa dem kürzlich eröffneten „Von Kunst zu leben“, die die Arbeit der ungarischen und insbesondere der Pécser Bauhaus-Mitglieder repräsentativ vorstellt. In der intimen Atmosphäre eines barocken Hauses wird gezeigt, was Marcell Breuer, Farkas Molnár und andere Pécser zum Bauhaus beigetragen haben und ganz nebenbei die allgemeine Geschichte des Bauhauses nachvollzogen. Wer Klassiker wie die Rohrmöbel neben Raritäten wie frühen Gemälden Breuers, Aktzeichnungen von Molnár und privaten Fotos der Bauhäusler sehen möchte, kann dies noch bis zum 24. Oktober tun. Danach kommt die Ausstellung ins Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung in Berlin – noch so eine Stadt, die nie fertig wird.
N-OST-Journalistentagung
In der ungarischen Kulturhauptstadt Pécs findet vom 6. bis 10. Oktober 2010 die sechste internationale N-Ost-Journalistentagung statt. Unter dem Titel „Grenzöffner oder Ausgrenzer? Ungarn nach der Wahl und vor der EU-Ratspräsidentschaft“ richtet das internationale Treffen für Journalisten und Osteuropaexperten den Blick auf ein Land, das einen entscheidenden Wandel erlebt. Weitere Informationen gibt es unter www.n-ost.de.
„Von der Kunst zu leben“
Die Ungarn am Bauhaus
Pécs, Káptalan utca 4
Tel. +36-72 / 514- 040
http://bauhaus.jpm.hu/de
geöffnet
Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr