In letzter Minute
Hochspannung herrschte am vergangenen Freitag nachmittag vor Eingang Nr. 301 des Budapester Rathauses: In dem entlegenen Trakt hinter der Tür befinden sich die Räumlichkeiten des Städtischen Wahlamtes, das bis 16 Uhr Wahlempfehlungszettel von Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters annahm.
Gleich drei Kandidaten nutzten die Frist fast komplett aus und gaben ihre Zettel erst in der letzten Stunde ab. Den Anfang machte Gábor Staudt. Der Jobbik-Kandidat gab gegen 13 Uhr über 33.000 Empfehlungszettel ab. Erforderlich waren 28.150. Staudt nutzte die Abgabe im Wahlamt für eine kleine politische Performance. Seine Zettel hatte er in einem Reisekoffer, unter dem Arm trug er einen Vogelkäfig mit einer Elster darin. Im Rahmen einer Pressekonferenz erläuterte er seine Requisiten. Demnach würde die Elster die „Politkriminellen der vergangenen 20 Jahre“ symbolisieren, die künftig alle hinter Gitter kämen. Der Koffer sei für die selben mutmaßlichen Verbrecher gedacht, denn sie könnten „Budapest und das Land, zumindest aber die Politik verlassen.“ Gábor Staudt und seine Partei hatten bis zuletzt gezittert, ob die erforderliche Anzahl von Wahlempfehlungszetteln zusammenkommen würde; die rechtsradikale Partei, wie rechtsradikale Parteien überhaupt, hat es in Budapest seit jeher schwer.
Beim Verlassen des Wahlamtes kam Staudt Benedek Jávor entgegen. Auch der Kandidat von Lehet Más a Politika hatte massive Schwierigkeiten, noch drei Tage vor Abgabeschluss fehlte nach eigenen Angaben rund die Hälfte der erforderlichen Wahlempfehlungen. Nur durch dramatische Appelle in den Medien konnten die Grünen ihre Anhänger dazu bringen, die Zettel abzugeben. „Das Wunder ist geschafft“, atmete ein sichtlich erleichterter Jávor auf, bevor er gegen 15.30 Uhr etwa 30.500 Zettel abgab. Im Anschluss spielten sich im Rathaus Szenen wie im Finish eines Marathonlaufs ab: Alle paar Minuten betraten völlig erschöpfte, nassgeschwitzte LMP-Aktivisten den langen Flur, um noch Zettel nachzureichen – manche eine Handvoll, andere nur einen einzigen, manche auch einige Hundert. Die letzte vom Wahlamt angenommene Empfehlung trudelte um 15.58 Uhr ein, der Zähler stoppte schließlich bei 31.267.
Karton und Schubkarre
Unterdessen, etwa zehn Minuten vor 16 Uhr, war auch Zsolt Victora eingetroffen. Der Oberbürgermeisterkandidat der Spaßpartei „Ungarische Partei des zweischwänzigen Hundes“ (MKKP) hatte einen Aktivisten, der seinen Fahrradhelm im Rathaus vorsichtshalber anbehielt, und einen kleinen Karton dabei. Darin: 2.692 Wahlempfehlungen. „Wir hatten eigentlich 102.692 Zettel“, sagte Victora in die Kamera des öffentlich-rechtlichen Fernsehens MTV, „und wollten die mit einer Schubkarre ins Rathaus bringen. Aber jemand hat die vorbereitete Schubkarre mit 100.000 Zetteln gestohlen.“
Ein Seitenhieb auf Fidesz-Spitzenkandidat István Tarlós, der am Dienstag zuvor über 96.000 Zettel mit einer Schubkarre ins Rathaus bugsierte. Tarlós, dem die größten Wahlchancen eingeräumt werden, wollte damit zeigen, dass die Politiker künftig nicht das Geld „mit der Schubkarre“ aus dem Rathaus hinaus-, sondern hineintragen werden.
4 Kandidaten mit viermal mehr Unterstützung
Erster in dem Rennen um die Wahlempfehlungszettel war übrigens MSZP-Kandidat Csaba Horváth gewesen, der bereits am vorvergangenen Freitag 39.181 Zettel abgab, von denen 36.674 angenommen wurden. Damit ist die Kandidatur von ihm sowie von István Tarlós bereits offiziell, über Gábor Stauds und Benedek Jávors Kandidaturen entscheidet der Städtische Wahlaussschuss bis Montag.
Aller Voraussicht nach werden am 3. Oktober also vier Namen auf dem Wahlzettel für den Oberbürgermeister stehen. Das bedeutet, dass die Rechnung des Fidesz nicht aufgegangen ist. Die Regierungspartei hatte noch im Juni das Kommunalwahlgesetz dergestalt geändert, dass – abhängig von der Größe einer Gemeinde – deutlich mehr Empfehlungszettel gesammelt werden müssen als bisher, und das in lediglich 15 Tagen, einer halb so langen Zeit wie noch vor vier Jahren. In Budapest bedeutete das, dass ein Politiker mindestens 2 Prozent der Wahlberechtigten davon überzeugen musste, ihn mit Namen und Anschrift zu unterstützen – vier Mal so viele, wie bisher.
Fidesz ist nicht überall allein
Absicht des Fidesz war es, mithilfe der neuen Regelung die kleineren Parteien von den Kommunalwahlen fernzuhalten und insbesondere in Budapest die Wahl zu einem Showdown zwischen einer korrupten MSZP und der „sauberen“ Regierungspartei zu machen. Das ist in Budapest in letzter Minute verhindert worden, aber in mehreren kleineren Gemeinden könnte es dazu kommen, dass nur der Fidesz auf dem Wahlzettel steht.