Im Schutzkorridor: „Nicht fröhlicher, aber freier“
Zum 15. Mal veranstaltet ein breites Bündnis die Budapest Pride, das lesbisch-schwule-bisexuelle-transgender Film- und Kulturfestival. Zwischen dem 4. und 11. Juli gibt es zahlreiche Programme, die sich in erster Linie mit dem Stand der Homosexualität in der Gesellschaft beschäftigen.
Zentral ist dabei vor allem die Frage nach Anerkennung und Gleichberechtigung von Homosexuellen in der Öffentlichkeit, die sich dem Festival auch ganz praktisch stellt: Seit 2006 ist insbesondere die Abschlusskundgebung Zielscheibe für gewalttätige Angriffe auf Szene und Sympathisanten. Insgesamt leuchten im Kontext des Festivals viele Fragen auf, die aktuell das Land und vor allem die ungarische Politik prägen, wie etwa die Wertschätzung einer pluralen Öffentlichkeit.
Zum 15. Geburtstag hofft das Festival wieder auf die Teilnahme der gesamten Szene. Die scharfen Angriffe Gewalttätiger in den Vorjahren – vor allem auf die Demonstration – haben Angst zum festen Bestandteil werden lassen. So waren im letzten Jahr beispielsweise keine Transvestiten mehr zur Demonstration gekommen. Angst steht dem programmatischen Anspruch und Wunsch nach Ausdruck und Anerkennung diametral entgegen. Wie Sándor Steigler, einer der Organisatoren, betont, versteht sich der diesjährige Slogan „You are free“ als Antwort sowohl gegenüber den gewalttätigen Entgleisungen als auch gegenüber dem politischen Klima, in dem Gleichberechtigung und Anerkennung Homosexueller einen Rückschritt erfahren. Konkret meint er damit beispielsweise Modifizierungen der registrierten Partnerschaft, die die Regierung aktuell beratschlagt. So sollen Hochzeit und Eintragung der Partnerschaft zeremoniell schärfer abgegrenzt werden. Regierungssprecherin Anna Nagy dementiert: „Das Thema steht für die Regierung noch nicht auf der Agenda.“
Vorgänge wie diese werten die Organisatoren und die Szene als zunehmende Marginalisierung, sie wollen mit Sichtbarkeit antworten. Die Aktivistin Anna Györgyi wird das Festival eröffnen, für die Eröffnungsrede ist eine ranghohe ausländische Budapesterin angefragt, ihre Zusage steht allerdings noch aus. In der Struktur hat das Festival hohen Wiedererkennungswert: Jeden Tag sind mindestens fünf Filme im Kino M?vész zu sehen. Die Demonstration am Samstag führt wieder auf der Andrássy út vom Heldenplatz zum Erzsébet tér. Im Vorfeld loben die Veranstalter die hilfsbereite Einstellung der Polizei: Vor allem durch weitflächig abgrenzende Zäune soll die Veranstaltung denselben Schutz erfahren wie im Vorjahr. Damals gab es zum ersten Mal seit 2006 wieder weniger gewalttätige Übergriffe. „Durch den Schutz ergibt sich die Möglichkeit, dass sich die Szene möglichst zahlreich und bunt vertritt“, so Steigler. Im Schutzkorridor sei es „nicht fröhlicher, aber freier“, sagt er.
Unterdessen ist die Solidarisierung außerhalb der Szene sehr breit. András Léderer, der 2006 die Eröffnungsrede hielt, machte im vergangenen Jahr gleich viele Szenemitglieder und Sympathisanten aus. Ein Zustand, der langjähriger Kampagnen-Arbeit geschuldet ist, denn in den ersten Jahren war die Szene auf sich gestellt, an dem Aufzug nahmen fast ausschließlich Homosexuelle teil.
Unter dem Namen des Organisators Rainbow Mission Foundation versammeln sich Vertreter verschiedener Organisationen und Gruppen als breites Bündnis. Parteien sind durch den zivilgesellschaftlichen Charakter ausgeschlossen, auch wenn einzelne Politiker an Gesprächsrunden beteiligt sein werden. So etwa Klára Ungár, die sich im März 2005 als erste ungarische Politikerin öffentlich outete. Sie wird mit Bence Tordai von der grünen Patei LMP diskutieren. Die eher unpolitisch angelegte Veranstaltung ist im gegenwärtigen Kontext stark politisiert. Problematisch sei beispielsweise die Kandidatur von István Tarlós als Oberbürgermeister in Fidesz-Farben, erklärt Klára Ungár der Budapester Zeitung. „Er hatte bereits als Bürgermeister des dritten Bezirks versucht, auf dem Sziget Festival das Queer-Zelt Magic Mirror zu verhindern.“ Ungár wertet solche Vorgänge wie auch die Position des Fidesz im Allgemeinen als „verdeckte Schritte, die das erreichte Level an Gleichberechtigung und Anerkennung in Frage stellen“. Demgegenüber betont Regierungssprecherin Nagy: „Der Regierung geht es darum das alle notwendigen Formalitäten erfüllt sind, jenseits davon gibt es keine Positionierung.“ Trotzdem besteht bei den Aktivisten die Sorge, dass nach einem Bürgermeisterwechsel die Abschlussdemonstration zukünftig aus dem Zentrum an den Rand der Stadt verlegt werden könne: Derartige Versuche hatte es 2008 im Vorfeld des Festivals gegeben, damals wollte die Polizei die Parade verlegen, weil sie in der Innenstadt den Verkehr behindern würde.
Unterdessen ist für den 4. September eine „Hetero Pride“ angemeldet worden. Die Organisatoren der Rainbow Mission Foundation stehen dem grundsätzlich nicht entgegen:„Sie können für ihre Rechte kämpfen, aber nicht gegen die Rechte anderer“, findet Organisator Sándor Steigler. Angesichts des Rechtsrucks, von dem auch andere Minderheiten wie etwa Roma benachteiligt seien, könne man die Notwendigkeit einer „Hetero Pride“ als ironisch beurteilen. Für das eigene Festival wünscht sich die Szene mehr ,Pride’ als ,Prison’.