Kein Einheitsbrei
Auf den Badestränden wird der Rasen gemäht, Zäune werden frisch gestrichen und Blumenrabatten bepflanzt – es ist wieder soweit: Am Balaton beginnt die Hochsaison.
Das „Ungarische Meer“ ist wieder in. Das zumindest zeigen die Zahlen des vergangenen Jahres: Zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren stieg die Zahl der Gäste im Vergleich zum Vorjahr. Vor allem aus dem Inland kamen viel mehr Touristen, eine Entwicklung, die den Abwärtstrend der Jahre zuvor deutlich konterkarierte. Die ungarischen Gäste schätzen vor allem die Atmosphäre des Nordufers und insbesondere Balatonfüreds.
Die größte Stadt des Nordufers wurde in den vergangenen zwei Jahren vorbildlich renoviert und auf dem Tourismusmarkt neu positioniert. Der Würstchenbuden- und Sonnenbrillenverkäufer-Charme früherer Zeiten ist Einrichtungen aus dem Top-Segment gewichen. Schöne Geschäfte, anspruchsvoll sanierte Altbauten und Übernachtungsmöglichkeiten der Oberklasse bestimmen das Bild der Altstadt. Dementsprechend ist die Uferpromenade an warmen Frühlings- und Sommerwochenenden von Inlandstouristen aller Einkommensschichten bevölkert; in den Lounge-Bars nippen anspruchsvolle Gäste an ihrem Aperol-Spritz, an der Promenade steigen wohlhabende Familien aus ihren Mittelklasse-Kombis.
Ein ganz anderes Bild bietet sich am Süd- und Westufer zwischen Keszthely und Siófok. Dort versuchen die Dienstleister nach wie vor, an Lángosbuden und in Quartieren von eher zweifelhafter Qualität den deutschen Touristen die harten Euros aus der Tasche zu ziehen. Selbstgemachte Schilder mit grammatisch mangelhaften deutschsprachigen Hinweisen auf freie Zimmer und hausgemachten Honig, überteuerte Paprikastände an der Landstraße und komplizierte Kellner, die den Satz „Das geht nicht“ viel zu oft gebrauchen, wirken seltsam anachronistisch. Und die Anbieter wundern sich, dass das alles nicht mehr so recht klappen will. „Es kommen einfach keine Leute mehr“, beklagt sich Ilona, die in Balatonlelle ein Zimmer ihres kleinen Hauses an Feriengäste untervermietet. „Früher“ wären immer so viele Deutsche gekommen. Dass das auch damit zu tun haben könnte, dass nicht nur Ilonas Zimmer, sondern die Mehrzahl der Einrichtungen in den Feriensiedlungen des Südufers seit „früher“ nicht mehr renoviert worden sind, scheinen bisher erst wenige Anbieter begriffen zu haben. Man wird sich dringend etwas ausdenken müssen, denn wer es billig und trotzdem einigermaßen ansprechend haben möchte, fährt schon lange nicht mehr nach Siófok, sondern an die Costa Brava oder nach Bulgarien.
Andere Probleme hat man in Hévíz. Der Kurort hat seinen Nimbus über die Jahre hinweg halten und ausbauen können, aber die Kundschaft wandelt sich dramatisch. In den Hotels und Cafés sieht man Flugblätter in russischer und tschechischer Sprache, und eine Pensionswirtin bestätigt: „Es kommen immer mehr Russen, Tschechen und Slowaken. Das ist eine gute Kundenschicht, die vor allem zum Wellness kommt und ziemlich viel Geld hat.“ Tatsächlich haben die beiden größten, auf russische Gäste spezialisierten Incoming-Agenturen Ungarns kürzlich Büros in Hévíz eröffnet. Auch das Personal lernt um. Die großen Hotels organisieren Sprachkurse für ihre Angestellten, denn die Gäste aus Russland und der Slowakei sprechen nur selten andere Sprachen als ihre eigene. „Hier in Hévíz hat ja jeder Deutsch gelernt“, erzählt die Pensionswirtin, „aber das zieht jetzt nicht mehr.“
Der Einheitsbrei vergangener Jahrzehnte ist also definitiv vorbei. In den kommenden Jahren werden sich die Ferienorte am Balaton ausdifferenzieren und spezialisieren müssen, wenn sie den Umsatz der 80er und 90er Jahre wieder erreichen wollen. Die blitzblanke Strandpromenade von Balatonfüred und die Russischkönner in Hévíz machen vor, wie es gehen könnte.