Auf vier Spuren in die Hauptstädte
Am vergangenen Mittwoch wurde die Autobahn M6 zwischen Dunaújváros und Bóly sowie ihre M60 genannte Fortsetzung bis nach Pécs dem Verkehr übergeben. Damit ist die Kulturhauptstadt Europas 2010 ein ganzes Stück näher an die Hauptstadt gerückt.
Durch die insgesamt 140 Kilometer lange Autobahnstrecke verkürzt sich die Fahrzeit zwischen Budapest und Pécs um etwa eine Stunde, obwohl die Entfernung länger ist: Während die bisherige Straßenverbindung zwischen Dunaújváros und Pécs, die Landstraße 6, durch das Mecsek-Gebirge führte, werden die Autofahrer nun gewissermaßen einen Umweg über Bóly nehmen, um dem Gebirge auszuweichen. Auf Tunnel müssen sie aber trotzdem nicht verzichten.
Dennoch schafften es die Planer, auf der nur leicht hügeligen Strecke vier Tunnel einzubauen. Es handelt sich um die bislang einzigen Autobahntunnel Ungarns, und der Betrachter unseres Bildes mag sich schon fragen, wo eigentlich der Berg über den beiden Röhren ist. Insider wie der Szekszárder Bauingenieur Zoltán Pósta vermuten den größten Korruptionsskandal seit der mutmaßlich überflüssigen Errichtung der gewaltigen Talbrücke Kőröshegy auf der Autobahn M 7. Pósta hatte eine alternative Route ohne Tunnel vorgeschlagen und hätte dem Staat so nach eigenen Angaben 50 Milliarden Forint gespart. Nach heftigem Widerstand quittierte Pósta im November 2007 entnervt seinen Dienst im Wirtschafts- und Verkehrsministerium. Die Tunnel wurden gebaut, doch beim ersten größeren Regenfall gab der weiche Lössboden nach, einer der Tunnel in der Nähe der Stadt Bátaszék stürzte ein. Die österreichische Baufirma, die bis dato nur mit Tunnelbauten in den Alpen Erfahrung hatte, wurde nach eigenen Angaben von den Eigenschaften des Löss „überrascht“. Kritiker vermuten, dass die Tunnel vor allem dazu gut sind, um diverse Parteikassen und private Taschen zu füllen. Beweise gibt es bisher keine.
Korruptionsfall
Szálka
Auch sonst scheint die Baustelle M 6/M 60 ein wahrer Hort der Korruption gewesen zu sein. Die Budapester Zeitung deckte im Mai 2008 einen Skandal im Dorf Szálka auf, wo der Bürgermeister mit dem gut getimten An- und anschließenden Verkauf zweier ausrangierter Weinberge an die Autobahnbauer beträchtliche Summen Geld anhäufte. Die Abtragung der an ein Naturschutgebiet angrenzenden Berge erfolgte ohne Genehmigung und unter schwerer Beschädigung der einzigen Zufahrtsstraße ins Dorf. Eine Bürgerinitiative unter Federführung des in Szálka ansässigen deutschen Unternehmers Horst Wessel blieb letztlich erfolglos.
Aufblühen totgeglaubter Gewohnheiten
Die Zeitungen der Region berichteten wiederum von zahlreichen Fällen des im Sozialismus weit verbreiteten Diebstahls am Arbeitsort. So verkauften angeblich beim Autobahnbau beschäftigte LKW-Fahrer das Diesel aus ihren Lastwagen zu günstigen Preisen an die Bevölkerung, bevor sie auf Staatskosten wieder auftankten. Vieles, was nicht niet- und nagelfest war, bekam Beine, Medienberichten zufolge sogar ein ganzer Kran.
Am Mittwoch war aber alles vergeben und vergessen, Ministerpräsident Gordon Bajnai bejubelte die Autobahn als ein „Symbol des Fortschritts und der Prosperität“. Gekostet hat das Ganze 385 Milliarden Forint, die der Staat in einem Zeitraum von 30 Jahren an die privaten Betreiber zahlen wird.