Politiker auf Politikentzug schicken
Die politische Palette ist um einen lebendigen Farbtupfer reicher: Lehet Más a Politika (LMP). Die Partei hat gute Aussichten, bei den Wahlen im April den Sprung ins Parlament zu schaffen. In der vergangenen Woche stellte die LMP ihr Programm vor.
Bei den Europaparlamentswahlen im vergangenen Jahr gab die Partei bereits ein deutliches Lebenszeichen von sich. Sie erreichte auf Anhieb 2,61 Prozent der Wählerstimmen, was für eine Anfang 2009 gegründete Partei ein beachtliches Ergebnis war. Wie schon der Name der Partei sagt, hat sich die LMP zum Ziel gesetzt, in Ungarn einer neuen politischen Kultur den Boden zu bereiten.
Mögliche Lösungswege
Am vergangenen Mittwoch stellte die Partei ihr Wahlprogramm vor. Das Werk gleicht eher einer wissenschaftlichen Analyse: Auf 228 Seiten werden die Probleme des Landes präzise formuliert, anhand der Werte der Partei mögliche Lösungswege aufgezeigt: Mehr Teilhabe der Bürger an der Gesetzgebung, eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftspolitik, die Neufassung der staatlichen Wirtschaftsförderung, Entwicklung des ländlichen Raums, Kampf gegen die Korruption und die Integration der Roma.
Am vergangenen Freitag wurde die Landesliste der Partei vorgestellt, die wie zuvor bereits mitgeteilt von den Parteisprechern András Schiffer und Benedek Jávor angeführt wird. Als praktisch einzige Partei konnte LMP auch Prominente aus Wissenschaft und Kultur für einige der symbolischen hinteren Listenplätze gewinnen. Die Schauspieler György Cserhalmi und Veronika Juga sind ebenso dabei wie die Gesundheitsökonomin Eszter Sinkó und der zuweilen auch in der Budapester Zeitung publizierende Historiker Krisztián Ungváry.
Der Dichter und Schriftsteller Endre Kukorelly ging sogar noch einen Schritt weiter und tritt als Direktkandidat der Partei in Szentendre bei der Wahl an. Kukorelly umschreibt gegenüber der Budapester Zeitung die politische Mission von LMP so: „Wir sprechen jene Bürger an, die von einer Politik die Nase voll haben, wo statt eines fairen Wettbewerbs ein von Gehässigkeit und Zynismus geprägter Kampf herrscht, bei dem fast jeder Schlag unter die Gürtellinie geht.“ Laut Kukorelly gebricht es den ungarischen Politikern heute vor allem an „Selbstironie, dem Vermögen, mit politischen Niederlagen und Siegen richtig umzugehen sowie Mitgefühl und Solidarität“.
Dem renommierten Politologen Péter Tölgyessy sticht die für das politische Leben ungewohnte Aufrichtigkeit der Partei ins Auge: „Bisweilen hat es den Anschein, dass die LMP nicht einmal das Einmaleins der professionellen Politik beherrscht. Sie übertreibt nämlich nie.“
Sympathiewerte steigen
Gerade diese Aufrichtigkeit scheint einer wachsenden Zahl von Wählern zu imponieren. Laut Meinungsumfragen zeigen die Sympathiewerte der LMP seit einigen Wochen klar nach oben.
Literat Kukorelly will die politische Elite gar auf „Entziehungskur“ schicken. Er erklärt, warum: „All jene, die schon seit vielen Jahren Vollzeitpolitiker sind, hängen an der Politik wie an einer Droge.“ Ihnen fehle jeglicher Bezug zur Wirklichkeit und deshalb auch jede Glaubwürdigkeit, sagt Kukorelly. Der Schriftsteller fordert daher: Die Zivilgesellschaft müsse den von den Parteien dominierten öffentlichen Diskurs über die Zukunft des Landes wieder an sich reißen.