Wenngleich Markus Meckel, der letzte prominente DDR-Oppositionelle im Bundestag, 1989 eher für Veränderungen vor Ort war, erkennt er doch klar an, dass die Flüchtlingswelle über Ungarn den positiven Verlauf der Ereignisse in der damaligen DDR deutlich befördert hatte. Gegenüber der Budapester Zeitung erinnert er sich an die damaligen Ereignisse.
Kamen die Grenzöffnungen für Sie überraschend?
Sie waren Teil eines längeren Prozesses, der unter anderem im Frühjahr mit dem Abbau der Grenzanlagen eine weitere Dynamik erfuhr. Ich hatte schon etliche Jahre vor der Wende Kontakt zu ungarischen Oppositionellen. Auf diese Weise war ich über die Veränderungen in Ungarn ganz gut im Bilde.
Welche Bedeutung hatten die Grenzöffnungen für die Wende in der DDR?
Die ungarischen Entscheidungen bezüglich der Grenzöffnungen waren für die SED natürlich ein Desaster. Ihre Macht wurde durch die massive Flüchtlingswelle deutlich destabilisiert. Unser Erfolg vom Herbst wurde durch die Entwicklungen in Ungarn wesentlich vorbereitet, der Wandlungsprozess der DDR insgesamt stark befördert – wenngleich wir von der DDR-Opposition überwiegend dafür waren, nicht einfach wegzugehen, sondern die DDR vor Ort zu verändern. Ich selber habe damals zu diesem Zweck beispielsweise die Sozialdemokratische Partei mitbegründet.
Wie haben Sie persönlich als DDR-Oppositioneller die Vorgänge in Ungarn wahrgenommen?
Für mich persönlich waren die gesellschaftlichen Veränderungen in Ungarn letztlich wichtiger als die Grenzöffnung. Die dortige Opposition wurde immer stärker, während es in der Kommunistischen Partei gärte. Es kam zur Gründung von neuen Parteien. Freie Wahlen standen vor der Tür. Im Juni fand die Beerdigung von Imre Nagy statt. Es begann eine intensive Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit. All das war für uns in der Opposition ungeheuer ermutigend mitzuverfolgen. Die Ungarn zeigten uns, welcher Spielraum unter Ostblockverhältnissen möglich war. Man wusste ja damals immer noch nicht genau, wie es weitergehen soll. Niemand wusste, wie lange sich Gorbatschow würde halten können. Uns allen war sehr wohl bewusst, dass es innerhalb der KPdSU auch deutliche Gegenkräfte gab. Insofern war das Risiko immer noch groß.
Welcher Platz sollte Ungarn im Rahmen der anstehenden Gedenkfeierlichen eingeräumt werden?
Wir sollten generell deutlich machen, dass der Sieg von Freiheit und Demokratie in Mitteleuropa ein gemeinsamer Prozess war. Der Mauerfall ist eingebettet in den Gesamtprozess der mitteleuropäischen Umbrüche. Deshalb werbe ich sehr dafür, dass wird den 9. November gemeinsam mit allen anderen daran beteiligten Ländern feiern. Solche Ereignisse sollten nicht mehr nur auf der nationalen Ebene gefeiert werden. Sehr gut fand ich diesbezüglich, wie international Ungarn kürzlich an den 27. Juni erinnert hat.
Wie beurteilen Sie das gegenwärtige Ungarn?
Das größte Problem, das ich heute in Ungarn sehe, ist die extreme Spaltung der Gesellschaft und eine politische Kultur, in der der politische Gegner nicht mehr als politischer Gegner innerhalb des demokratischen Spektrums verstanden wird, sondern als Feind. Es herrscht eine große Unversöhnlichkeit. Das halte ich gegenwärtig für das größte Entwicklungshemmnis Ungarns.