Die Minderheitsregierung blieb lange Zeit eine Antwort auf die globale Krise schuldig. Nun ist sie da. Am vergangenen Montag legte Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány (MSZP) ein Konjunktur- und Reformpaket vor. Gyurcsány betonte dabei, dass Ungarn in einer besonders prekären Situation sei. Während viele europäische Länder eine so genannte antizyklische Wirtschaftspolitik verfolgten, das heißt die Wirtschaft auf Kosten eines höheren Budgetdefizits ankurbeln, sei Ungarn einem doppelten Zwang ausgesetzt. Einerseits müsse die Regierung das Haushaltsdefizit senken, andererseits müsse sie Schritte einleiten, um die Wirtschaft zu beleben. Mithin hat das Land keinerlei budgetäre Reserven, um den Wirtschaftsmotor auf Touren zu bringen.
In den vergangenen Monaten ist nicht nur die Industrieproduktion dramatisch gefallen (Im Dezember 2008 fiel sie um 23,3% zum Vergleichszeitraum des Jahres zuvor). Auch die Parameter für Auslandsinvestitionen und den Binnenkonsum weisen steil nach unten. Premier Gyurcsány erklärte, dass bei einem anhaltenden Abfall des Inlandkonsums die wirtschaftliche Rezession dieses Jahr mehr als 3% des BIP betragen könnte.
Das von Gyurcsány vorgelegte Paket sieht neben wirtschaftspolitischen Maßnahmen als unmittelbare Antwort auf die Krise auch langfristige Reformen vor. Zu den wichtigsten Zielen des Regierungspakets gehören die Aufrechterhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Als Folge der Krise haben in den vergangenen Monaten bereits Zehntausende Ungarn ihren Arbeitsplatz verloren. Diesen Negativtrend will die Regierung nun so gut es geht aufhalten.
Zu diesem Zweck will sie die enorme Steuerlast für die Arbeitgeber und -nehmer senken. Zwar soll ab 1. Juli dieses Jahres der untere der beiden Einkommensteuersätze von 18 auf 19% erhöht werden, allerdings wird parallel dazu auch die Bemessungsgrundlage von 1,7 Mio. auf 2,2 Mio. Ft angehoben. Anfang 2010 soll die Bemessungsgrundlage schließlich auf 3 Mio. Ft erhöht werden. Dies bedeutet, dass etwa 83% der ungarischen Steuerzahler gemäß diesem unteren Einkommensteuersatz zahlen werden.
Eine Entlastung wird es aber auch für die Unternehmen geben. So wird ab 1. Juli 2009 die Sozialversicherungsabgabe auf Basis des zweifachen Mindestlohns (143.000 Ft) von 32 auf 27% sinken. Überdies soll die so genannte „Sondersteuer“ in Höhe von 4% wegfallen.
Den budgetären Einnahmeausfall will die Regierung einerseits durch die 3%ige Erhöhung der Mehrwertsteuer (von 20 auf 23%) und der Körperschaftssteuer (von 16 auf 19%), andererseits durch die Anhebung des oberen Einkommensteuersatzes von 36 auf 38% ausgleichen. Außerdem will sie die Sozialleistungen an das Prinzip der „Bedürftigkeit“ binden, sprich, vermögende Familien sollen künftig weniger Geld vom Staat erhalten. Eine weitere Maßnahme zum budgetären Ausgleich der Einkommenssteuersenkung und der Reduzierung der Sozialversicherungsabgabe ist die Erhöhung der Steuern auf Treibstoff, Tabakwaren und Alkoholika um drei bis sieben Prozent sowie die Besteuerung der zuvor um den unteren Einkommensteuersatz erhöhten Familienbeihilfe.
Die von der Regierung Gyurcsány geplanten Reformen werden fünf Bereiche umfassen: Zum einen sollen das Steuer-, Sozial- und Rentensystem umgestaltet werden. Zum anderen will die Regierung das staatliche Fördersystem für die Wirtschaft sowie das staatsrechtliche System reformieren. Mit Blick auf die Reform des Rentensystems sagte Gyurcsány auch schon Konkretes: Die umstrittene 13. Monatsrente soll in die so genannte Ruheversorgung integriert werden. Jene Personen, die ab 2010 in Rente gehen, werden die 13. Monatsrente überhaupt nicht mehr beziehen. Zudem wird zwischen 2016 und 2025 das Rentenantrittsalter von 62 auf 65 Jahre erhöht.
In ihren Reaktionen ging die Opposition mit der Regierung hart ins Gericht. Der Tenor ihrer Kritik: Die Maßnahmen des Kabinetts Gyurcsány griffen nicht nur zu kurz, sondern kämen auch viel zu spät. Der Fidesz-Vorsitzende Viktor Orbán sagte gegenüber der Zeitung Népszabadság, dass das Gyurcsány-Paket schlicht und einfach wegen der Person des Ministerpräsidenten „nicht ernst zu nehmen“ sei. Und weiter: An geraden Tagen sage Gyurcsány, dass die Steuern nicht gesenkt werden können, an ungeraden, dass sie doch reduziert werden können. Fidesz-Fraktionschef Tibor Navracsics wiederum meinte, dass das Gyurcsány-Paket nichts anderes sei als ein „drastisches Sparpaket“. Darüber hinaus kritisierte Navracsics den Premier und dessen Regierung, vier Monate lang nichts getan zu haben.
Ministerpräsident Gyurcsány seinerseits richtete sich am Montagabend in einer Fernsehansprache an die ungarische Bevölkerung. Gyurcsány sagte, dass Ungarn ein langer, steiniger Weg bevorstehe. Die Früchte der heutigen Maßnahmen werde das Land erst in einigen Jahren ernten. Der Premier rief seine Landsleute auf, inmitten ihrer Alltagswidrigkeiten auch an das „Land als Ganzes zu denken“. Denn: „Wir sitzen doch alle in einem Boot.“