Die Party ist
vorbei. Jetzt muss bezahlt werden. Nicht mit irgendwelchen Sprüchen vom ,,Sieg
der Demokratie“, einer ,,neuen Ära“ oder dem ,,Ende der Lügenpolitik“, sondern
in barer Münze. Schließlich hat alles seinen Preis.
Diese Botschaft
ist so nüchtern und unspektakulär, dass es der Fidesz aus taktischem Kalkül bis
einschließlich zum Wahlabend unterlassen hat, die euphorische Stimmung seines
Lagers mit derartigen Überlegungen zu trüben. Über weite Strecken wurde
stattdessen der Anschein vermittelt, als sei das Wegstimmen der Gebühren mit
keinerlei Nachteilen verbunden und als wurden sie von der ,,Lügenregierung“
eigentlich nur aus purer Bosheit gegenüber dem eigenen Volk erlassen. Etwa weil
sie dem Fidesz bis zu den kommenden Wahlen in Sachen Popularität ein wenig
Vorsprung geben wollte. Warum auch immer. Auf jeden Fall hat ihnen jetzt das
Volk den gesenkten Daumen gezeigt. Sowohl den Kosten als auch nebenbei mal der
Regierung.
Wer soll jetzt die Zeche zahlen?
Die Regierung ist
freilich immer noch da. Weg sind – neben den gewaltigen Kosten für das
Volksgaudium – aber auch ein nicht unerheblicher Teil der für dieses Jahr
sicher geglaubten Einnahmen von niedergelassenen Ärzten, Krankenhäusern und
Bildungseinrichtungen. Und was jetzt? Wer soll für die Zeche zahlen? Für den
Fidesz gibt es da nichts nachzudenken: Natürlich der Staat! Angesichts des
Weltbildes dieser Partei, in dem die Eigenverantwortung des Individuums zum
Auslaufmodell gehört und immer mehr die Vision des starken, paternalistischen
Staates triumphiert, überrascht diese Lösung keinesfalls. Wie praktikabel sie
allerdings in der Wirklichkeit ist, steht auf einem anderen Blatt. Immerhin
durfte das Referendum nur unter der Voraussetzung stattfinden, dass das Budget
von dessen Ausgang unberührt bleibt. Der Staat muss also gar nichts, es sei
denn er wollte. Aber warum sollte er?
Da hilft auch
nicht, wenn der oberste Referendumsmotor Viktor Orbán die Höhe der soeben
vereitelten Einnahmen herunterspielt. In einem Fernsehinterview rechnete er
letzte Woche vor, wie gering die zu kompensierenden Gelder im Vergleich zum
Staatsbudget seien. ,,Wenn die Regierung nicht in der Lage ist, diese Gelder
durch Umgruppierungen innerhalb des Budgets zusammenzubekommen, dann zweifle
ich an ihrer Kompetenz“, raunzte der Fidesz-Chef in der ihm eigenen Direktheit.
Damit unterminiert er mit einem Schlag die Grundprämisse, unter der das
Referendum überhaupt genehmigt wurde. Zugleich lässt Orbán aber auch klar
durchblicken, dass er sich vorab nur recht vage mit den Folgen seines sicheren
Referendumssiegs und möglichen Folgeschachzügen der Regierung beschäftigt haben
muss. MSZP-Fraktionschefin Ildikó Lendvai war dies schon mal den Vorwurf der
,,Fahrerflucht“ wert.
Nachhilfe in Sachen Staatsfinanzen
Zur vollen
Wahrheit gehört aber auch, dass es letztlich die Regierung war, die die
Finanzdecke der betroffenen Institutionen endgültig durchlöchert hat.
Unmittelbar nach dem Schließen der Wahllokale präsentierte sie eine mehrere
Seiten lange fertig ausformulierte Gesetzesänderung, wonach die Gebühren
bereits mit Wirkung vom 1. April gestrichen würden. Die Eile überrascht,
immerhin hätte die Regierung im Sinne des Referendums durchaus noch bis zum 1.
Januar 2009 Zeit gehabt, sich eine andere Finanzierungsform zu überlegen und
diese budgetär abzusichern. Vielleicht wäre sogar noch mal so etwas wie ein
Dialog über die in vielfacher Hinsicht verhängnisvolle Volksentscheidung
möglich gewesen. Oder – wenn das Volk schon mal so viel Gefallen an der neuen
Freizeitbeschäftigung gefunden hat: ein weiteres Referendum. Kernfrage: Woher
sollen die notwendigen Kompensationsgelder kommen? Die Bürger hätten sich dann
überlegen können, ob sie ihr Kreuzchen etwa bei Steuererhöhungen, Kürzung von
Agrarsubventionen oder – sagen wir – einer Null-Runde für Beamte macht. Das
wäre fürs Volk doch mal eine nette Nachhilfestunde in Sachen Staatsfinanzen
gewesen!
Doch weit
gefehlt. Die Regierung scheint für derlei Demokratiespielchen keine Geduld mehr
gehabt zu haben. Beim näheren Hinsehen ist ihre Eile aber mehr als nur eine
infantile Trotzreaktion. Zu klar ist die Absicht dahinter zu erkennen, dem
Fidesz den schwarzen Peter zuzuschieben. Mögen sich die Ärzte und Lehrkräfte
doch beim Fidesz ausweinen, wenn Ihnen in diesem Jahr das Geld knapp wird.
Postwendend kann die Regierung jetzt die Verantwortung für jede aus
Kostengründen entlassene Praxishilfe und jede aufgeschobene Reparatur oder
Investition mit Unschuldsmiene an den Fidesz weiterleiten. Und das Gejammere
geht schon los: Anfang letzter Woche machte der Vorsitzende der Ärztekammer
István Éger den Anfang. Der als Fidesz-Sympathisant bekannte Arzt beklagte sich
bitterlich darüber, dass durch den Wegfall der Praxisgebühr jetzt eine Großzahl
der Praxen vom Bankrott bedroht sei. ,,Tja, zu späte Einsicht!“, mögen sich
Vertreter der Regierungsparteien, angesichts dieses Lamentos jetzt mit
schadenfrohen Gesichtern zuraunen. Doch sie sollten vorsichtig sein! Nur all zu
schnell könnte der schwarze Peter wieder bei ihnen landen.
Kernfrage: Kommunikation
Es ist alles nur
eine Frage der richtigen Kommunikation. Und auf diesem Gebiet sind die
Koalitionäre trotz gewaltiger Budgets wahrlich keine Großmeister. Sie haben es
vor dem Referendum nicht vermocht, ihren Standpunkt einem größeren Teil der
Bevölkerung nahezubringen. Ja, sie konnten nicht einmal aus dem oben genannten
Manko der Fidesz-Kampagne politisches Kapital schlagen und zur Abwechslung mal
die Risiken und Nebenwirkungen eines Siegs der Ja-Fraktion thematisieren. Dabei
kann die beste Reform scheitern, wenn sie nicht von der Mehrheit des Volks
verstanden und mitgetragen wird. Abschätziges Herabblicken auf das inzwischen
erschreckend geringe Niveau der öffentlichen Diskussion hilft da nicht weiter.
Immerhin gibt es nur ein ungarisches Volk und nur eine ungarische Regierung.
Wollen sie wieder miteinander klarkommen, müssen sie lernen miteinander zu
reden und einander Gehör zu schenken.