Der diesjährigen Rede von Ministerpräsident Ferenc
Gyurcsány zum Start der Parlamentssaison waren zwei Entscheidungen
vorangegangen: Einerseits wurde die Rede mit einer Woche Verspätung gehalten –
die Woche zuvor war nämlich das umstrittene Krankenversicherungsgesetz
verabschiedet worden. Andererseits war Justiz- und Polizeiminister Albert
Takács von Tibor Draskovics abgelöst worden. Die beiden Entscheidungen haben
zweifelsohne damit zu tun, dass Premier Gyurcsány sowohl in organisatorischer
als auch personeller Hinsicht eine neue Phase der Regierungsarbeit angekündigt
hatte.
Dies könnte ihm und seiner Regierung allerdings zum
Nachteil gereichen. Eines der größten Probleme der Regierung Gyurcsány liegt
nämlich darin, dass sie seit ihrem Antritt laufend organisatorische und personelle Änderungen erfahren hat. Als
Folge davon wurden im Zusammenhang mit der Regierung häufig deren Stabilität und
das Verhältnis zwischen der Partei (MSZP) und dem Ministerpräsidenten zum
bestimmenden Thema, wodurch für die Regierung schlechthin keine Zeit mehr
blieb, die Wähler anzusprechen und die Maßnahmen der breiten Öffentlichkeit zu
erklären. Was die Regierungsstruktur angeht, gab es in den vergangenen
anderthalb Jahren allein auf Ministerebene acht Wechsel.
Arbeit, Wissen, Eigentum
Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter verwunderlich,
dass die jüngste Regierungsumbildung vom Fidesz als Fortsetzung des heillosen
Durcheinanders bezeichnet wurde. Fidesz-Chef Viktor Orbán verglich die
Regierung sogar mit einer Katze, die ihrem eigenen Schwanz nachjagt.
Die Rede von Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány zum Start
der Parlamentssaison barg weder Überraschungen noch Neuigkeiten in sich. Seit
seinem ersten Amtsantritt im Jahr 2004 hatte Gyurcsány wiederholt versucht, die
Regierungspolitik in Phasen aufzugliedern. Im vergangenen Jahr beispielsweise
markierten drei Ereignisse die Grenzen zwischen den einzelnen Phasen: das
Erscheinen seines Aufsatzes ,,Szembenézés“ (29. Januar 2007), die Ankündigung
des so genannten Flaggschiff-Programms (12. Februar 2007) und zu Beginn der
herbstlichen Parlamentssaison die Zusammenfassung der Aufgaben der Regierung
(10. September 2007).
Während frühere Programme (23 Punkte, 48 Punkte usw.)
unüberschaubar waren, fasste Gyurcsány die Zukunftspläne seiner Regierung
diesmal kurz und bündig mit dem Begriff ,,linke Verbürgerlichung“ zusammen. Der
Premier offerierte den Wählern eine aus drei Hauptelementen bestehende Zukunft:
Arbeit, Wissen und Eigentum.
Der Fidesz verhielt sich taktisch unklug, als er dem
Ministerpräsidenten ,,Begriffsfledderei“ vorwarf, um im selben Atemzug auf die
Regierung Orbán (1998 bis 2002) zu verweisen, die einst ein ,,bürgerliches
Ungarn“ in Aussicht gestellt hatte. Dadurch eröffnete die Oppositionspartei
Gyurcsány die Möglichkeit, seine Vorstellungen und die Botschaften der
Regierung eingehend vorzubringen. Dem Ministerpräsidenten gelang es damit auch,
die Aufmerksamkeit von der drohenden Niederlage beim Referendum am 9. März auf
die Regierungsarbeit zu lenken.
In seiner Parlamentsrede vermied es der Ministerpräsident
ganz offensichtlich, auf die Referendumskampagne einzugehen. Die
Volksabstimmung tat er als marginales Ereignis ab, das nur für den Fidesz
wichtig sei. Für die Oppositionspartei kommt es freilich ungelegen, dass
Regierung und Sozialisten (MSZP) keine Bereitschaft zeigen, über das Referendum
zu diskutieren. Dies ist auch eine Erklärung dafür, warum der Fidesz krampfhaft
danach trachtet, die Regierung in Diskussionen zu verwickeln, häufig mit dem
Hinweis auf die ,,Regierungskampagne“.
Das politische Schicksal jener zwei Elemente, die das
meiste Aufsehen in der Gyurcsány-Rede erregten – Reduzierung der Steuer- und
Abgabenlast sowie das ,,Neue Eigentümerprogramm“ –, wird davon abhängen, ob es
in den kommenden Wochen gelingen wird, diese zu bestimmenden Themen zu erhöhen.
Hierzu wird allerdings ein größerer Kommunikationsaufwand und das
Miteinbeziehen von externen Akteuren vonnöten sein. Die Stabilität der neuen
politischen Phase, ja, der Regierung selbst wird in nächster Zukunft nicht
zuletzt hiervon abhängen.