Während Premier Ferenc Gyurcsány rhetorisch leider nur
hinter verschlossenen Türen zur Höchstform aufläuft, konnten wir Fidesz-Chef
Viktor Orbán am vergangenen Mittwoch wieder öffentlich dabei beobachten. Es war
eine großartige Rede – zumindest für Freunde politischer Propaganda.
Hier stimmten die Zutaten. Hier war alles beieinander,
was zu einer guten Rede gehört: große Worte und gekonnte Gesten, eine
ansteckende Leidenschaft und ein glaubwürdig vorgetragenes Pathos. Die Rede war
aber einfach zu schön, um nicht der Versuchung anheim zu fallen, auch noch
letzte kleine Kratzer aufzudecken und darüber nachzudenken, ihre
Durchschlagskraft beim Publikum durch geringfügige Änderungen noch weiter zu
erhöhen. Möge Orbáns nächste Rede in einem noch perfekteren Glanze erstrahlen!
Logische
Zusammenhänge beachten!
Obwohl die Vernunft sicher nicht der Hauptadressat seiner
Ansprache war, hätte sie dennoch nicht vollständig ignoriert werden dürfen.
Schließlich sollten aufgezeigte Zusammenhänge auch bei nüchternem Nachdenken
logisch nachvollziehbar sein. Diesem Anspruch wurde Orbán leider nicht immer
gerecht. So schrieb er etwa einem für ihn negativen Ausgang des Referendums
folgende Konsequenz zu: ,,Die Regierung würde grünes Licht bekommen für endlose
Preiserhöhungen, Steuererhöhungen, neue Steuern und Entlassungen (…)“. Nicht
schlecht! Wenn das nicht auch dem letzten Nein-Wähler unter die Haut geht!
Doch aufgepasst! Vom Aspekt der formalen Logik her
betrachtet wirkt dieses angeblich grüne Licht eher farblos. Denn eigentlich
gibt es zwischen einem wie auch immer ausgehenden Votum beim Referendum und der
Preis- und Steuerpolitik der Regierung kaum einen wahrnehmbaren Zusammenhang.
Schließlich werden die finanzpolitischen Schritte der Regierung eher von den
makroökonomischen Erfordernissen diktiert. Gemeinhin ist anzunehmen, dass eine
Regierung, die die Steuern erhöht, dies tut, weil sie es muss und nicht, weil
sie es kann. Will man aber partout einen Zusammenhang zwischen beiden
Ereignissen konstruieren, wäre er eher kontraproduktiv im Sinne der Initiatoren
des Referendums. Denn sicher ist, dass durch ein positives Votum die Einnahmen
des Staates geschmälert werden. Daraus könnte sich wiederum für den Staat die
Notwendigkeit ergeben, auf der Einnahmenseite für eine Kompensation zu sorgen –
also beispielsweise die Steuern zu erhöhen.
Im Sinne der berühmten Risiken und Nebenwirkungen hätte
ein verantwortungsvoller Orbán also folgendermaßen formulieren müssen: ,,Jeder,
der gegen die drei Gebühren stimmt, muss sich darüber im Klaren sein, dass ihr
Wegfall Löcher ins Staatsbudget reißt. Das könnte den Staat wiederum dazu
veranlassen, seine Einnahmesituation – womöglich auch über Steuererhöhungen –
wieder auszugleichen.“ Das kann so natürlich nicht gesagt werden. Daher sollten
unpopuläre Folgen lieber überhaupt nicht genannt werden. Selbst sie in einem
unlogischen Zusammenhang zu erwähnen, ist zu riskant. Schließlich muss immer
damit gerechnet werden, dass die Rede auch nüchternen Zuhörern zu Ohren kommt.
Humor nicht
vergessen!
Ob Humor dem Pathos schadet oder nicht, der Erhöhung der
Aufmerksamkeit dient er allemal. Warum also nicht die eigenen Vorlagen
bestmöglich nutzen? Hier nur ein Beispiel: An einer Stelle seiner Rede, als es
um die Studiengebühren geht, erinnert Orbán in Anspielung auf sein, noch vor
der Wende begonnenes Jurastudium: ,,Hätte es damals Studiengebühren gegeben,
würde ich heute nicht hier stehen.“ Nur einige Gedanken später befindet er:
,,Wenn sich die Dinge auf dem Gebiet der Bildung und des Gesundheitswesens
weiter so entwickeln, dann könnte in Ungarn die falsche Meinung entstehen, dass
die Diktatur den Menschen mehr geben konnte als die Freiheit.“ Hier hätte Orbán
nun einwerfen können: ,,Haben Sie mir eben genau zugehört? Sogar ich, der
bürgerliche Politiker kann mich zuweilen nicht gegen die Schönfärbung des
Kádár-Regimes wehren.“ Dieses persönliche Beispiel hätte nicht nur die vitale
Verführungskraft des alten Regimes gut illustriert, sondern wäre sicher auch
mit einigen Lachern honoriert worden.
Personalisieren
und illustrieren!
Das Einbringen der eigenen Persönlichkeit sollte aber
nicht nur auf das Ausschöpfen derartiger Situationskomikpotenziale beschränkt
werden. Es ist auch ein wirkungsvolles Mittel, um abstrakte Tatsachen zu
illustrieren. Hier nur ein mögliches Beispiel. O-Ton Orbán: ,,Wir haben nie der
Versuchung nachgegeben, nicht dem Menschen, sondern einer politischen Theorie
oder einem Dogma zu dienen.“ Bei genauem Nachdenken könnte dieser nette Satz
eine ethische Rechtfertigung des politischen Opportunismus und Populismus des
Fidesz sein.
Um ganz sicher zu gehen, hätte Orbán diesen Satz
vielleicht aber etwas illustrieren sollen. Zur Veranschaulichung der enormen
Wandlungsfähigkeit seiner Partei hätte er beispielsweise auf seine vorbildhafte
politische Karriere verweisen können: ,,Schauen Sie mich an! Unter Kádár war
ich ein strammer Jungkommunist. Mit der Wende wurde ich dann zum
Antikommunisten. Danach war ich eine Zeit lang eher liberal. Nachdem ich dann
den Konservatismus für mich entdeckt hatte, erwärmte ich mich für das Attribut
,,bürgerlich“ – in allen Zusammenhängen. Heute habe ich mir antikapitalistische
und sozialromantische Positionen zueigen gemacht – in einem Umfang, dass selbst
Lafontaine und Gysi stolz auf mich wären.“ Nach diesen Worten wäre wohl niemandem
mehr der Sinn der zuvor genannten abstrakten Bemerkung verborgen geblieben –
wenn er denn so gemeint war.
Niemanden
ausgrenzen!
Propagandareden haben die Aufgabe, die Zuhörer -teils
unter Umgehung ihres Verstandes – für die Ziele des Redners zu begeistern. Je
einfacher und emotionaler die Ansprache erfolgt, umso besser. Von daher Hut ab
vor Orbáns Formulierungen wie ,,Wer am 9. März mit ,Ja’ stimmt, ist für
Gesundheit und Bildung.“ oder ,,Wer ,Ja’ sagt, der sagt ,Ja‘ zu einer
erfolgreichen Zukunft.“ Großartig! Wer kann da noch ,,Nein“ sagen! Die in
Aussicht gestellte Prämie ist so klar und für jeden so erstrebenswert wie die
,,strahlend weißen Zähne“ oder die ,,porentiefe Reinheit“ in der
Fernsehwerbung. Denn genauso funktioniert auch das politische Marketing: Ich
verbinde – ohne Rücksicht auf wirkliche logische Zusammenhänge – einfach ein
persönliches Ziel mit einer für die meisten Menschen erstrebenswerten Vision.
Und fertig. Ethisch nicht ganz sauber, aber dennoch sehr wirkungsvoll.
Die Wirkung meiner Botschaft verringert sich jedoch, wenn
ich von vorn herein nicht alle potenzielle Käufer meiner Vision anspreche und
gewisse Gruppen bewusst ausklammere. O-Ton Orbán: ,,Wer mit ,Nein’ stimmt,
findet sich damit ab, dass wir nicht gesund werden können.“ Das ist zwar etwas
simplifiziert, im Prinzip aber nur ein Umkehrschluss der obigen positiven
Vision. Doch weiter: ,,Wer mit ,Nein’ stimmt, verschlechtert die heutige Lage.“
Das ist nun wirklich ungeschickt. Hier hat Orbán in seiner Siegereuphorie
einfach übergangen, dass es durchaus auch Leute gibt, die es gut finden, dass
sich die Wartezeiten bei Arztbesuchen inzwischen deutlich verringert haben und
die wissen, dass Studiengebühren in Marktwirtschaften durchaus nichts
Ungewöhnliches sind.
Orbán verdrängt, dass es in Ungarn 19 Jahre nach der
Wende sicher etliche nachdenkliche Bürger gibt, die der Meinung sind, dass die
Steuerzahler für staatliche Dienstleistungen, die nicht von allen gleichmäßig
in Anspruch genommen werden, auch unterschiedlich zur Kasse gebeten werden
sollten. Diese Bürger einfach vor den Kopf zu stoßen, ist ungeschickt. Ihnen
vorzuwerfen, sie würden mit ihrem Wunsch nach mehr Marktwirtschaft, nur die
Lage des Landes verschlechtern, ist taktisch sogar sehr unklug. Damit nimmt
Orbán eine unnötige Eingrenzung der Breitenwirkung seiner Ziele vor. etwa so
als würden Waschmittelproduzenten die Käufer von Konkurrenzprodukten
beschimpfen und sie damit als potenzielle Kunden für immer verprellen.
Aber egal: Es war wieder eine großartige Rede! Kein
Etikettenschwindel: Wo Orbán draufstand, war auch Orbán drin. Und hätte ich es
mir angetan, sie vollständig zu hören und zu sehen, statt sie nur zu lesen,
wären mir sicher auch die kleinen Kratzer nicht weiter aufgefallen.