Mit starker
Überlegenheit im Rücken unternimmt die Rote Armee in Ungarn ihren Gegenschlag.
Damit bewirkt sie nicht nur erste militärische Erfolge, sondern auch eine
moralische Ernüchterung bei den ungarischen Soldaten.
Am 16. März lag
nördlich von Székesfehérvár undurchsichtiger Nebel, der sich erst in den
Mittagsstunden lichtete. Dieser Umstand verzögerte den geplanten sowjetischen
Doppel-Angriff um einige Stunden. Ursprünglich hätte die 2. Ukrainische Front
in Richtung Preßburg, die 3. Ukrainische Front in Richtung Wien angreifen
sollen – der Hauptschlag hätte bei der 2. Ukrainischen Front gelegen. Stalin
veränderte diese Pläne am 9. März, indem er die 9. Gardearmee der Front von
Marschall Tolbuchin zuwies. Dieser bekam damit auch die Lorbeeren für die
Eroberung Wiens zugesprochen, was ihn für das weitere Ausharren anspornen
sollte. Bei der Artillerie war die Überlegenheit der Angreifer indes
vernichtend: Auf einer Länge von 31 Kilometer wurden 5.425 Geschütze und
Granatenwerfer eingesetzt. Dem konnten die Verteidiger nur 14 Geschütze und
Granatenwerfer pro Kilometer entgegenstellen. Die Überlegenheit betrug also 1
zu 12,5.
Der Auftrag von
Malinowskijs 2. Ukrainischer Front war es, zwischen dem Vértes- und dem
Gerecse-Gebirge um Csákvár die Front zu durchbrechen und den Angriff bis nach
Komárom-Gy?r auszubreiten. Insgesamt verfügte die Angriffsgruppe der 3.
Ukrainischen Front über 745.600 Soldaten; die Truppenstärke der 2. Ukrainischen
Front, die nördlich der Donau vorgehen sollte, lag bei über 272.200 Mann.
Der sowjetische
Angriff zeigte nördlich von Székesfehérvár, wo nur schwache ungarische
Einheiten die Front hielten, schnell Erfolge. Dagegen konnte das IV.
SS-Panzerkorps seine Stellungen vorerst noch halten. Das Zentrum der
Armeegruppe Balck im Vértes-Gebirge war aber schon bis zum Abend auf einer
Breite von 30 Kilometern und in einer Tiefe von zehn Kilometern zertrümmert.
Die Stawka reagierte schnell: Stalin persönlich befahl Malinowskij, der seine
Bitterkeit über diese Entscheidung nicht verbergen konnte, die Übergabe seiner
6. Garde-Panzerarmee an Tolbuchin, um in dessen Abschnitt den Erfolg schnell
auszuweiten. Der Einsatz dieser Einheit war aber nicht vor dem 19. März zu
erwarten – und dieser Zeitverlust wurde der sowjetischen Operation zum
Verhängnis.
Auch
Generaloberst Heinz Guderian, Chef des Oberkommandos des Heeres, bemerkte
schnell die drohende Gefahr der sowjetischen Offensive und verordnete
vorausschauend fast zur selben Zeit „eine grundsätzliche Umschaltung aller
Pläne“. Hitler war aber noch nicht umzustimmen. Über alle taktischen Fragen ab
Bataillonsebene verlangte er eine ausführliche „fernschriftliche
Lagebeurteilung“ von der Heeresgruppe. Während diese Papierschlacht zwischen
Führerhauptquartier und Heeresgruppe Süd tobte, überschritten die sowjetischen
Angriffsspitzen die Kammlinie des Vértes-Gebirges.
Die Armeegruppe
Balck gab den Ungarn die Schuld daran, die sich angeblich „ohne Feinddruck“ in
das Vértes-Gebirge abgesetzt hatten. In Wahrheit wurden die Stellungen aber
durch einen Orkan von Artilleriegeschossen umgepflügt, in jede Lücke drangen
mehrere Armeekorps ein. Am 16. März begann auch der Angriff der 46. Armee.
Schon die ersten Bataillone brachen in der Enge zwischen dem Vértes- und dem
Gerecse-Gebirge um Tatabánya durch, sodass es bis am Abend gelang, bis zu zehn
Kilometer tief in die deutsch-ungarischen Stellungen einzudringen.
Die optimistische
und realitätsfremde Haltung Balcks drückte sich in mehreren irrealen
Haltebefehlen aus. Selbst am 17. März noch meldete er, den „Feinddurchbruch bis
jetzt verhindert“ zu haben. Sein Vorgesetzter, Generaloberst Wöhler, vermerkte
in seinen Notizen „Für das K.T.B. [Kriegstagebuch]“ schon am 15. März:
„Gen.d.Pz.Tr. [General der Panzertruppe] Balck zeigt in der Beurteilung der
Lage den bekannten Optimismus auch dort, wo er nicht am Platze ist.“
Am 18. März gab
Hitler endlich die Erlaubnis für das Herausziehen des II. SS-Panzerkorps und
für die Umgruppierung in Richtung Székesfehérvár. Er entschied auch, dass die
Frontlinie der Armeegruppe Balck mit der 6. Panzerarmee zu tauschen sei. Diese
Rochade der Kommandostellen wirkte sich auf die Führung der in tiefer Krise
befindlichen Heeresgruppe jedoch nachteilig aus. Dadurch wurde der sowjetische
Vormarsch weiter beschleunigt und die Front brach wie ein Kartenhaus zusammen.
Auch der am 19. März eingeleitete Angriff der sowjetischen 6. Garde-Panzerarmee
zeigte sofortige Wirkung: Sie stieß nach Westen, bedrohte Várpalota und
schnürte damit den Hals des „Sackes“ um die deutschen Truppen auf einer Breite
von zehn Kilometer ein. Wäre die sowjetische Armee schon am ersten Angriffstag
eingesetzt worden, dann wäre das Vorhaben Tolbuchins in Anbetracht seiner
materiellen Überlegenheit mit Sicherheit aufgegangen. Bei Gelingen des Planes
wäre die Front mit einer bisher unbekannten Geschwindigkeit eingestürzt, und
die Truppen Tolbuchins hätten noch schneller die Reichsgrenze erreicht.{mospagebreak}
Dabei half sogar
anfangs die deutsche Führung mit, denn erst am kommenden Tag begann die
vorsichtige Räumung des Sackes, dessen „Zuschnürung“ nur wegen schwerer
Führungsfehler der 6. Garde-Panzerarmee und der 9. Gardearmee unterblieb. Die
46. Armee kesselte unterdessen die 3. ungarische Armee um Gran
(Esztergom)-Komárom ein. Hier kam es auch zu einem Landungsunternehmen der sowjetischen
Flottille, das jedoch abgeriegelt werden konnte. Mit Mühe und Not konnten sich
die über 20.000 deutsch-ungarischen Soldaten in den kommenden Tagen auf das
Nordufer zurückziehen. Die Soldaten der 96. Infanteriedivision wechselten dabei
innerhalb von drei Monaten zum vierten Mal das Donauufer.
Im von den
Deutschen und Pfeilkreuzlern kontrollierten Ungarn bemühten sich in diesen
Tagen noch viele unterzutauchen. Die verlockenden Angebote der Waffen-SS,
wonach jeder Freiwilliger sechs Monate lang ausgebildet, bestens versorgt und
bewaffnet werde, hatten schon im November 1944 eine Massenmeldung unter den
Wehrpflichtigen bewirkt. Wie auch die SS-Offiziere bemerkten, stand dahinter
die Hoffnung, dass man das Kriegsende lieber in einem Ausbildungslager als in
einer improvisierten, schlecht ausgerüsteten ungarischen Einheit erleben
wollte. Neben den Freiwilligen der Waffen-SS wurden auch die Ersatzeinheiten
der Honvéd-Armee nach Deutschland ausgesiedelt. Einige Truppenteile kamen nach
Ostpreußen, Westpreußen und Schlesien, wo sie in diesen Februartagen
untergingen.
Das deutsche
Vorgehen war in Ungarn nicht populär. Viele ungarische Soldaten, die ihrer
Stäbe entrissen und deutschen Einheiten unterstellt waren, konnten sich des
Eindrucks nicht erwehren, dass sie sinnlos „verheizt“ würden – sie begannen die
Wehrmacht regelrecht zu hassen.
Generaloberst
Károly Beregfy, der Chef des ungarischen Generalstabes, sagte bei der
Besprechung mit dem Bevollmächtigten Deutschen General in Ungarn Hans
Greiffenberg: „[…] die untere Führung und die Bevölkerung empört sich über den
Verkauf der Magyaren nach Deutschland zu Hiwizwecken und es ist fraglich, ob
die nicht allzu starke neue [Pfeilkreuzler-] Regierung sich weiter behaupten
kann. Zum Schluss muss ich sagen, dass in Ungarn die allgemein verbreitete
Ansicht herrscht, der Bolschewismus könne nicht schlechter sein als eine Flucht
nach Deutschland, im ersten Fall könne man jedoch mindestens im eigenen Land
bleiben.“