Die Kunst des
Drehens
Die Umrisse von
Mátyás Kutis Fingern verschwimmen, so flink kann er sie bewegen. Der
wuschelhaarige 14-Jährige sitzt zu Hause und dreht den Rubikwürfel mit einer
Geschwindigkeit, bei der selbst Speedy Gonzales nicht mehr folgen könnte. Er
legt das Spielzeug auf den Küchentisch, jede der neunteiligen Seiten des
Würfels zeigt dieselbe Oberflächenfarbe. Einige Sekunden zuvor waren sie noch
bunt gemischt.
Ich kann über 20
Bewegungen innerhalb von zwei Sekunden ausführen“, erklärt Mátyás, ein
zurückhaltendes Lächeln auf den Lippen. Währenddessen hantiert er mit einem
Rubikschlüsselanhänger, der an seinem Gürtel baumelt.
Mátyás ist
Weltrekordhalter und Gewinner von über 50 Medaillen. Bei der
Rubikwürfelweltmeisterschaft, die vor kurzem in Budapest stattfand, glänzte er
mit seinen Fähigkeiten, und holte fünf Medaillen. ,,Ich bin vollkommen
zufrieden mit dem Ergebnis“, erzählt Mátyás. ,,Natürlich könnte es theoretisch
immer noch ein wenig besser sein, aber das war schon ein großer Sieg.“
Die neue Cubing-Generation
Der Würfel von
Mátyás, ein kleines Plastikspielzeug, das in den 80er Jahren die Welt eroberte,
ist heute ein Sportgerät. 25 Jahre nach der ersten Weltmeisterschaft kehrte sie
dieses Jahr wieder nach Budapest zurück. Hunderte von Teilnehmern aus über 40
Ländern traten bei der vierten Weltmeisterschaft ,,Speed-Cubing“ an und rangen
um Medaillen in unterschiedlichen Disziplinen, darunter das Lösen des
Würfelrätsels mit verbundenen Augen oder mit den Füßen.
In der
Standardausführung sind die Oberflächen des Rubikwürfels in jeweils neun
Quadrate aufgeteilt. Durch richtige Drehungen haben am Ende alle Seiten
dieselbe Farbe. Erfunden wurde das Spielzeug 1974 von Ernő Rubik, einem Ungarn.
Der Standardwürfel weist über 43 Mrd. Kombinationen auf. Über 100 Mio. Würfel
gingen zwischen 1980 und 1982, als sich Kinder und Erwachsene aus aller Welt
für das Puzzelspiel begeisterten, über die Ladentheken.
Nun hat eine neue
Generation, von denen viele in der Boomzeit des Rubikwürfels noch nicht einmal
auf der Welt waren, das Spielzeug für sich entdeckt. Laut Rubik Studio, dem
ungarischen Hersteller des Würfels, ist der Verkauf von Rubikwürfeln sprunghaft
angestiegen. Die Firma rechnet damit, dass dieses Jahr über 10 Mio. Würfel
verkauft werden. Auch Ernő Rubik stattete dem Wettbewerb einen kurzen Besuch
ab. Er zeigte sich erfreut über die Wiedergeburt seiner Erfindung: ,,Es ist
schön für mich zu sehen, dass eine neue Generation den Würfel für sich entdeckt
hat. Es ist ein tolles Gefühl, begeisterten Jugendlichen beim Spielen zuzusehen.“
Das Internet hat
bei der Wiederentdeckung des Rubikwürfels eine große Rolle gespielt. Es bietet
der internationalen ,,Speed-Cubing“ Community die Möglichkeit, über Lösungswege
zu diskutieren. Auch Mátyas, der vor gerade achtzehn Monaten mit dem
außergewöhnlichen Sport angefangen hat, nutzt das Internet ausgiebig für sein
Hobby. Hier hat er seine allererste Lösung des Rätsels gefunden, und hier
bietet sich die Gelegenheit, mit Gleichgesinnten aus aller Welt
Lösungsmöglichkeiten auszutauschen. ,,Das Internet spielt eine wichtige Rolle,
es gibt sehr viele Foren“, bekräftigt er.
Die Spielvarianten
Auch wenn viele
die Weltmeisterschaft im ,,Speed-Cubing“ als einen Hort von Langweilern und
Computerfreaks abtun wollen, nehmen Mátyás und seine Konkurrenten die
Angelegenheit ernst. Jeder, der einmal am Wettbewerb teilgenommen hat, weiß,
dass das eine nervenaufreibende Angelegenheit ist. ,,Zeitweise war ich sehr
nervös. Mir haben sogar die Hände gezittert, denn die Konkurrenz war stark“,
erzählt Mátyás mit Blick auf die zurückliegende Weltmeisterschaft. ,,Aber zum
Glück habe ich es geschafft, in diesen Situationen die Nerven zu behalten.“
Der 14-Jährige
trainiert bis zu drei Stunden täglich – und zwar überall: im Bus, in der Metro
und sogar auf der Toilette. Wie jeder ernsthafte Sportler kümmert er sich um
seine Ausrüstung. Die ,,Speed-Cuber“ dürfen bei Wettkämpfen ihre eigenen Würfel
benutzen. Jedes Mal, wenn Mátyás einen neuen Würfel kauft, zerlegt er ihn in
alle Einzelteile und sprüht Silikon auf die Achsen, um die Drehgeschwindigkeit
zu erhöhen.
,,Speed-Cubing“
ist eine Angelegenheit für Logiker. Mátyas schafft es, mit der Weltspitze
mitzuhalten und gegen Teams von der Universität Berkeley und dem Californian
Institute of Technology (CaITech) anzutreten. Dabei ist er nach eigener Aussage
nicht besonders gut in Mathematik.
Blindes Verständnis
Seine Spezialität
ist das Lösen des Würfelrätsels mit verbundenen Augen, hier ist er die Nummer
Eins der Welt. Auch kürzlich in Budapest konnte er seinen Titel verteidigen.
Das Wunderkind kann sich die Oberfläche des Würfels in weniger als 13 Sekunden
einprägen, um diesen dann in weniger als einer Minute in die Ausgangsposition
zu bringen. ,,Ich merke mir das Muster dadurch, dass ich mir für jedes Quadrat
ein Wort merke und mir danach eine Geschichte dazu ausdenke“, erklärt Mátyás.
Den Preis wert
Die stolze Mutter
Andrea Glódi hilft bei der Finanzierung seiner Wettkampfreisen durch ganz
Europa und kämpft gegen das Streber-Image des Würfelsports. ,,Als ich meinen
Freunden von seinem Hobby erzählte, haben sie mich erst einmal blöd
angeschaut“, sagt sie. ,,Aber wenn ich es erkläre, bestätigen sie ihn darin.“
Trotz der Auswirkungen auf ihr Bankkonto ist Andrea dankbar für das Hobby ihres
Sohns: ,,Solange er bei den Cubing-Wettkämpfen antritt, weiß ich, dass er nicht
mit einer billigen Flasche Wein im Park sitzt.“