Die Homo-Ehe war in den vergangenen Jahren ein häufig wiederkehrendes Thema der ungarischen Politik. Seit der Gay-Pride-Parade im Sommer steht die Ehe von Homosexuellen wieder im öffentlichen Diskurs. Als erste Partei griff der liberale Bund der Freien Demokraten (SZDSZ) das Thema auf. Die Partei will sich damit vom Seniorpartner in der Regierung, der Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP), abgrenzen. Sollte der SZDSZ eine Diskussion vom Zaun brechen können, hätte sie die Möglichkeit, ihr ideologisches Profil wieder zu schärfen. Allerdings machen die MSZP und die oppositionellen Jungdemokraten (Fidesz) keine Anstalten, sich dem Thema Homo-Ehe anzunehmen.
Die Liberalen haben praktisch seit den Parlamentswahlen mit dem Problem zu kämpfen, dass sie im Schatten des großen Koalitionspartners MSZP kaum imstande sind, in der Öffentlichkeit ihre eigene Politik und ihre eigenen Werte zu exponieren. Hinzu kommt, dass der SZDSZ auch zum Glaubensverlust des Regierungslagers beigetragen hat, indem er sein wichtigstes Wahlkampfthema, die Senkung der Steuern, angesichts der desolaten Lage des ungarischen Haushalts fallen lassen musste. Auch vermochte János Kóka, der im Frühjahr zum Vorsitzenden des SZDSZ gewählt worden war, der Partei keinen neuen Schwung zu verleihen. Die Politik der Liberalen beschränkte sich in den vergangenen Monaten mehr oder minder auf das Vorantreiben der Reformen – allerdings musste sie wegen der unnachgiebigen Haltung der MSZP auch hier erhebliche Kompromisse eingehen. Dies ist der Grund dafür, warum der SZDSZ bei Meinungsumfragen anhaltend unter der parlamentarischen 5%-Hürde dümpelt. Laut einer Erhebung, die kürzlich ans Tageslicht kam, sind auch die Stammwähler der Liberalen mit dem SZDSZ-Vorsitzenden und dem derzeitigen Stand der Reformen unzufrieden.
Vertretung der Minderheiten
Der seit 1998 ums nackte Überleben kämpfende SZDSZ bekam in den vergangenen Jahren immer dann Auftrieb, wenn er symbolische Themen aufs Tapet brachte und mit diversen Initiativen heftige politische Debatten auslöste. Das gute Abschneiden bei den Europawahlen 2004 (7,7%) und den Parlamentswahlen 2006 (6,5%) ist darauf zurückzuführen, dass die Partei infolge der Thematisierung von Minderheitenthemen (Liberalisierung weicher Drogen, Gleichberechtigung von Homosexuellen) wiederholt mit Politikern des rechten Lagers in Konflikt geriet. Dies veranlasste viele liberal gesinnte Wähler, für die Liberalen zu votieren. Der größte Gefallen wurde den Liberalen hierbei vom Vorsitzenden der Volkspartei der Christdemokraten (KDNP), Zsolt Semjén, getan, der mit seinen Ausfällen gegenüber Homosexuellen dem SZDSZ tatkräftig dabei half, sein ideologisches Profil zu schärfen. Die heftigsten Diskussionen über Homosexualität werden schon seit langem von der KDNP und dem SZDSZ geführt. Während die Christdemokraten die christlichen Werte und das traditionelle Familienmodell hervorheben, reden die Freidemokraten der Gleichberechtigung von Homosexuellen das Wort.
Der Vorstoß des SZDSZ, die Homo-Ehe in Ungarn zu legalisieren, ist keineswegs ein isoliertes Phänomen, sondern Teil der breiten Antidiskriminierungskampagne der Liberalen – allerdings findet diese in letzter Zeit nur wenig Aufmerksamkeit. Die Fraktion der Liberalen regte unlängst sogar die Modifizierung des Wahlgesetzes an, um den Anteil von Politikerinnen im Parlament zu erhöhen. Aktualität hat das Thema der Homo-Ehe auch deshalb, weil im Hinblick auf das Zusammenleben von Homosexuellen gerade eine Gesetzesänderung im Gange ist: Im Regierungsentwurf zum neuen Bürgerlichen Gesetzbuch ist die Anerkennung der Lebenspartnerschaft von Homosexuellen sowie die Regelung von deren Erbschaftsrecht beinhaltet. Für den SZDSZ geht dies jedoch nicht weit genug. Die Partei will auch die Homo-Ehe gesetzlich verankern. So forderten die Liberalen vom neuen Ombudsmann in erster Linie das Eintreten für die Gleichberechtigung von Homosexuellen.
Die MSZP hält sich beim Thema Homosexualität sichtbar zurück. Die Vorsicht der Partei ist aus politischer Sicht durchaus nachvollziehbar, denn nur ein Viertel der ungarischen Gesellschaft befürwortet die Homo-Ehe. Als Volkspartei ist es für die MSZP weit riskanter, das Thema aufzugreifen, als für den SZDSZ, der im Ruf steht, der ,,Interessenvertreter der Minderheiten“ zu sein. Es steht freilich auf einem anderen Blatt, dass es in diesem Zusammenhang auch positive Beispiele gibt. Der sozialistische Ministerpräsident von Spanien, José Zapatero, etwa setzte gegen den erbitterten Widerstand der spanischen Rechten und der Kirche die Homo-Ehe und das Adoptionsrecht von Homosexuellen durch. Zapatero vermochte damit auch die öffentliche Meinung zur Homosexualität zu ändern.
Politische Zurückhaltung der Volksparteien
Was den Fidesz angeht, ist vorläufig noch zu beobachten, dass er sich aus kontroversen, ideologischen Themen heraushalten will. Im Zuge der Kampagne zur Volksabstimmung will die Oppositionspartei in erster Linie die Leistung sowie die Maßnahmen der Regierung unter Beschuss nehmen. Überdies wird der Fidesz darauf abzielen, die Glaubwürdigkeit der Regierung zu untergraben, indem er diese mit dem Vorwurf der ,,Lüge“ moralisch zu diskreditieren versucht. Hinsichtlich der in Handgreiflichkeiten mündenden Gay-Pride-Parade im Sommer und den damit einher gehenden Diskussionen hielt sich die Oppositionspartei übrigens ebenso zurück wie die MSZP. Da weder der Fidesz noch die MSZP großes Interesse daran zeigen, sich in die Debatten über die Gleichberechtigung von Homosexuellen zu verstricken, werden voraussichtlich sowohl die Homo-Ehe als auch das Adoptionsrecht von Homosexuellen Tabuthemen bleiben.
Obwohl die ungarische Öffentlichkeit in der Frage nicht gerade als freiheitlich bezeichnet werden kann, ist es – nicht zuletzt dank der toleranten Haltung der Medien, zumal der Boulevardmedien – dennoch kaum vorstellbar, dass in Ungarn eine erfolgreiche politische Kampagne erfolgen könnte, die von Homophobie geleitet wird. Aus diesem Grund vertritt der Fidesz auch keinen markanten Standpunkt zu diesem Thema. Negative Äußerungen gegenüber Homosexuellen werden in der ungarischen Öffentlichkeit in der Regel scharf verurteilt. Deshalb sind Ausfälligkeiten im Zusammenhang mit dem Thema Homosexualität mehr oder minder auszuschließen. Anders in Rumänien: Der Vorsitzende der Neuen Generationspartei, Gigi Becali – nebenbei der zweitpopulärste Politiker im Land –, sagte kürzlich, sollte er die Präsidentschaftswahlen 2009 gewinnen, wolle er ,,Schwule und Lesben in Ghettos sperren“.