Rasanter Spurt
durch die Probleme Deutschlands
Mit
Höchstgeschwindigkeit warfen die drei Distel-Kabarettisten am Sonntag und
Montag vergangener Woche ihrem Publikum im Merlin-Theater einen bissfesten
Brocken nach dem anderen vor die Füße. Das klingt nach schwerer Kost, fühlte
sich aber trotzdem sehr leichtfüßig an.
Manch einer kam
gar nicht hinterher bei all den Faustschlägen, Seitenhieben und Sticheleien,
die hintereinanderweg auf ihn niederprasselten und ihn konfrontieren sollten
mit den Problemen, die dieser Tage in Deutschland aktuell und akut sind. Vor
Klischees schreckte das Kabarett Distel in seinem Stück "Hotel Heimat“ nicht
zurück, dafür wurden die Schablonen aber umgehend wieder aufgelöst oder gar ins
Gegenteil umgekehrt.
Geschicktes Spielen mit Klischees
Dass die Putzfrau
des Hotels beispielsweise eine ausschließlich türkisch sprechende Frau mit
Kopftuch, Jogginghosen und gebückter Haltung war, entspricht dem allgemein
verbreiteten Vorurteil. Am Ende der Szene trug sie zur Vervollständigung des
Klischees auch noch einen verdächtig nach Selbstmordattentat aussehenden
Gürtel, der aber lediglich Putzmittel enthielt.
Amok lief dafür
in einer anderen Szene ein diplomierter Philosoph, der sich als Taxifahrer
verdingte und seine Gäste aus der Reserve zu locken versuchte: ,,Wussten Sie,
dass Darwin mehr und mehr aus den US-amerikanischen Lehrbüchern gestrichen
wird? Erstaunlich – angesichts der Tatsache, dass er hierzulande immer mehr die
Grundlage der Sozialgesetzgebung bildet.“ Schlag, Treffer, Schnitt, nächster
Schlag.
Ossi-Wessi-Humor nur noch am Rande
Viel Zeit zum
Nachdenken blieb dem Publikum also nicht, dabei ist genau das das Anliegen von
Frank Lüdecke, dem neuen Künstlerischen Leiter des Distel-Kabaretts und Autor
von ,,Hotel Heimat“. Auf dem Empfang der Budapester Zeitung nach der
Kabarettaufführung im Kempi Brauhaus erklärte Lüdecke frei heraus: ,,Natürlich
will ich mit meinen Stücken etwas verändern.“
Nicht nur, aber
auch, weil Lüdecke aus Westberlin stammt, enthielt sein Stück weniger
Ost-West-Empfindlichkeiten, als man das bis dato vom Kabarett Distel gewöhnt
war. Natürlich stöckelte zu Beginn eine überpflegte westdeutsche Konsumentin
durchs Hotelzimmer und erklärte dem stumm nickenden ostdeutschen Pagen die
Welt, aber das war auch weitestgehend alles zum Thema.
Schade nur, dass
den Kabarettisten offensichtlich die Vorbereitungszeit gefehlt hat, um die
ersten, dem Gastland gewidmeten Minuten des Abends auf Distelniveau zu bringen. Die Behauptung, dass es in
Deutschland Leute gibt, die Gyurcsány für ein Männerparfüm halten, ist weder
besonders witzig noch originell. Und ob sich ,,die Ungarn“ wirklich in erster
Linie für die deutsche Geschichte zwischen 1933 und 1945 interessieren, mag
dahingestellt bleiben. Aber egal, das hervorragende kabarettistische Können der
drei Schauspieler verwandelte selbst diese humoristischen Rohrkrepierer in
schallende Lachsalven von Seiten des Publikums.
Mehr Fotos von der Kabarettvorstellung und dem
anschließenden, gemeinsamen Empfang von Distel und Bdapester Zeitung finden Sie
in der Galerie auf