Effekt heischende Kritik an Privatisierung
Mit ihrer Forderung, die Privatisierungsverträge der vergangenen 17 Jahre zu überprüfen, hegte Parlamentspräsidentin Katalin Szili offenbar die Absicht, die rechten Wähler anzusprechen. Szilis Ansinnen hat mit der politischen Realität freilich wenig zu tun. Es ist vielmehr der Effekt heischende Versuch, aus der ,,Veräußerung des Staatsvermögens“ politisches Kapital zu schlagen. Aktualität hat das Thema nicht zuletzt durch die kürzliche Verabschiedung des Gesetzes über das Staatsvermögen bekommen.
Parlamentspräsidentin Katalin Szili sorgte vergangene Woche mit einer Aussage für Schlagzeilen, wonach die Regierung alle Privatisierungsverträge seit der politischen Wende unter die Lupe nehmen sollte. Szili forderte allerdings keine Rückverstaatlichung. Sie verlangte nur, dass der Staat überprüfen sollte, ob die privatisierten Unternehmen jene verbindlichen Bedingungen (sei es in der Beschäftigungspolitik oder bei der Preisbildung) einhalten, die in den Privatisierungsverträgen enthalten sind. Sofern dies nicht der Fall ist, müssten diese Unternehmen dazu verpflichtet werden, den vertraglichen Bedingungen Genüge zu tun, so Szili.
In den Medien wurde Szilis Vorstoß einhellig als ,,privatisierungsfeindlich“ bezeichnet – vermutlich nicht unabhängig von den Absichten der Parlamentspräsidentin. Szili, die in den Reihen der Sozialisten (MSZP) als prononcierte Kritikerin von Premier Ferenc Gyurcsány gilt, ruft die Aufmerksamkeit immer wieder dadurch auf sich, dass sie Signale an die rechten Wähler aussendet. Der Stopp des Privatisierungsprozesses, der in Ungarn und in der Region häufig als Synonym für Korruption steht, ist schon seit Jahren ein wichtiger Bestandteil der Politik der oppositionellen Jungdemokraten (Fidesz). In diesem Zusammenhang ging Fidesz-Chef Viktor Orbán sogar so weit, dass er 2005 die Rückverstaatlichung einzelner Unternehmen in Aussicht stellte. 2006 sagte er nach der Privatisierung der Budapest Airport Zrt. folgendes: ,,Wenn sich auch nur eine minimale Chance zum Rückkauf von Ferihegy ergeben sollte, werden wir versuchen, diese zu nutzen.“
Parlamentspräsidentin Szili, die einst stellvertretende Vorsitzende der MSZP war, ist schon seit Jahren bestrebt, sich als überparteiliche Politikerin zu gebärden und sich aus den parteipolitischen Grabenkämpfen herauszuhalten. So übt sie immer wieder Kritik an der linksliberalen Regierung wegen ihrer Politik, die der ,,Logik des Großkapitals“ folge, wegen der Vernachlässigung der hiesigen Kleinunternehmen, wegen der Sparmaßnahmen und Reformen, die jedwede soziale Sensibilität vermissen ließen sowie wegen der Untergrabung der Parteidemokratie.
Szili zählt seit Jahren zu den populärsten Politikern in Ungarn. Dies ist zum einen dem Umstand zu verdanken, dass die MSZP-Sympathisanten immer schon jene ,,Mutigen“ mochten, die ihrer Partei die Leviten lesen. Zum anderen ist ihre Popularität darauf zurückzuführen, dass in ihren politischen Aussagen häufig das dem Fidesz nahe stehende Gedankengut der so genannten ,,Volkslinken“ mitschwingt. Oft thematisiert sie die Religion, die Öffnung in Richtung Kirche und die politische Unterstützung der im Ausland lebenden Ungarn. In ihren jüngsten Interviews griff sie sogar das Steckenpferd der gemäßigten und radikalen Rechten auf: Infolge des Neudenkens der Grundlagen der Verfassung müsse der Systemwechsel in Ungarn neu justiert werden, sagte sie. Ihr überparteiliches Gebaren – in einem Interview bezeichnete sie sich als ,,quasi-präsidentenhaft“ – hat ihr während ihres politischen Manövrierens allerdings nicht immer geholfen. Bei der Wahl des Staatschefs im Jahr 2005 wurde sie vom Juniorpartner in der Regierung, den Freien Demokraten (SZDSZ), gerade wegen ihrer einstigen parteipolitischen Aktivität abgelehnt. In letzter Zeit scheint sich Szili mit ihrer Kritik auch innerhalb ihrer eigenen Partei zu isolieren.
Eier zur Rettung des Staatsvermögens
Szilis Aussagen spiegeln keineswegs die Politik der Regierung wider. Vielmehr sind sie ein Beleg dafür, dass die Parlamentspräsidentin in Opposition zum Regierungschef ihr persönliches politisches Programm definiert. Entgegen den Forderungen von Szili hat die Regierung zuletzt eine Annäherung an die Finanzsphäre gesucht, um das Vertrauen in die ungarische Wirtschaft zurückzugewinnen. Unlängst hat sie auch ein Gesetz verabschiedet, das die Möglichkeiten künftiger Privatisierungen ausweitet. So wird eine neue Institution ins Leben gerufen, die unter der Aufsicht der Regierung über das Staatsvermögen entscheiden wird. Auf Grundlage des neuen Gesetzes können nun auch staatliche Vermögenswerte (Szerencsejáték Zrt., Magyar Posta, Magyar Villamos Művek) privatisiert werden, die früher geschützt waren. Das Gesetz rief nicht nur den Protest der Opposition hervor. Auch Staatschef László Sólyom lehnte es anfangs ab. Überdies organisierten diverse zivile Organisationen eine Reihe von Demonstrationen dagegen. Nach der Verabschiedung des neuen Vermögensgesetzes bewarfen rechtsradikale Demonstranten etliche Regierungsabgeordnete sogar mit Eiern. Szili ihrerseits verurteilte als Parlamentspräsidentin die Übergriffe gegen die Abgeordneten des Regierungslagers.
Obwohl von Regierungsvertretern mehrfach bestritten wurde, dass der Privatisierungsprozess wieder vorangetrieben wird, kam die Verabschiedung des Gesetzes über das Staatsvermögen der Opposition wie gelegen, um neue Angriffe gegen die Regierung zu reiten, die das ,,Land veräußert“. Die Geißelung der Privatisierung ist allerdings eher für die breite Öffentlichkeit bestimmt. Sollte der Fidesz wieder ans Ruder gelangen, ist kaum vorstellbar, dass die Partei daran ginge, die privatisierten Unternehmen rückzuverstaatlichen. Auch das Beispiel des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico zeigt, dass Anti-Privatisierungskampagnen nicht unbedingt zu Rückverstaatlichungen führen müssen. Fico verglich Globalisierung, Liberalisierung und Privatisierung kürzlich mit dem Holocaust. Die Politik des slowakischen Premiers wird von den Investoren dennoch als marktfreundlich angesehen. Und entgegen seines Versprechens ging er auch nicht daran, frühere Privatisierungsverträge zu annullieren.