Die politische
Herbstsaison wurde mit viel Verve begonnen. Sowohl Staatschef László Sólyom als
auch Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány und Oppositionschef Viktor Orbán
meldeten sich in der ersten parlamentarischen Sitzung zu Wort. Als Thema stand
dabei die ,,Ungarische Garde“ im Vordergrund. Während Gyurcsány ein
ganzjähriges Arbeitsprogramm ankündigte, bereitet sich die Öffentlichkeit schon
auf die Demonstrationen am Jahrestag der Rede von Balatonőszöd vor.
Die mit dem
Beginn der parlamentarischen Herbstsaison zusammenfallenden Demonstrationen
haben deutlich gezeigt, dass die Politik wieder zum bestimmenden Thema in der
Öffentlichkeit geworden ist. Die Parlamentsparteien scheinen jedenfalls auf die
kommenden Monate vorbereitet zu sein: Sowohl die regierenden Sozialisten (MSZP)
als auch die Jungdemokraten (Fidesz) hielten richtungsweisende Veranstaltungen
ab, in denen die Schlagworte für die kommenden Monate bereits artikuliert
wurden.
Viktor Orbán
schwor das rechte Lager einmal mehr auf den Zusammenhalt ein. Angesichts der
bisherigen Strategie des Fidesz bezog sich der Aufruf Orbáns freilich nicht nur
auf die gemäßigten, sondern auch auf die radikalen Wähler. Das Kokettieren mit
der radikalen Rechten war nicht zuletzt der Grund dafür, dass der Fidesz die
Parlamentwahlen 2002 und 2006 verlor. Parallel dazu will sich der Fidesz in der
Öffentlichkeit als regierungsfähige politische Kraft präsentieren, die über ein
fertiges und kohärentes Regierungsprogramm verfügt. Zu diesem Zweck wird unter
der Federführung von Fraktionschef Tibor Navracsics derzeit fieberhaft an einem
Programm gearbeitet. Dieses soll bis Jahresende fertig gestellt werden.
Premier Gyurcsány
brachte bei einer jüngst abgehaltenen zweitägigen Fraktionssitzung der MSZP das
Schlagwort ,,Neue Ordnung“ aufs Tapet. Die Fraktionssitzung war auch ein
willkommener Anlass, um die internen Frustrationen bei den Sozialisten
abzulassen. Obwohl in den Meinungsumfragen der Abstand zwischen Fidesz und den
Sozialisten in den vergangenen Monaten nicht weiter gewachsen ist (einige
Erhebungen haben sogar ein leichtes Erstarken der MSZP konstatiert), gab es in
der MSZP-Fraktion immer wieder Misstöne, sei es über die Immobiliensteuer oder
das vom liberalen Koalitionspartner (SZDSZ) propagierten
Mehrversicherungsmodell.
Die vom
Ministerpräsidenten viel beschworene Losung ,,Neue Ordnung“ dient strategisch
mehreren Zielen: Das Versprechen der Schaffung von Ordnung richtet sich zum
einen an die eigene Partei, die von der Regierung Berechenbarkeit und mehr
Mitsprache erwartet. Zum anderen ist sie an die Wähler adressiert, die im
vergangenen Jahr immer wieder mit chaotischen Bedingungen konfrontiert wurden.
Der Lockruf
,,Neue Ordnung“ dient aber auch dazu, die Handlungsfähigkeit der Regierung zu
unterstreichen. In den vergangenen Monaten wirkte die Regierungspolitik nicht
zuletzt wegen der Reformen vielfach unüberschaubar. Das öffentliche Vertrauen
in die Handlungsfähigkeit der Regierung wurde vor allem bei der Stürmung des
MTV-Gebäudes im Herbst des Vorjahres erschüttert. Die Polizei vermochte die
Randalierer damals nicht aufzuhalten. Die Losung ,,Neue Ordnung“ will auch eine
vorgezogene Antwort auf kommende Demonstrationen sein.
Staatschef im Parlament
Bei seiner
Parlamentsrede sprach Präsident László Sólyom in erster Linie von der
Ungarischen Garde und der rot-weiß gestreiften Árpádflagge. Letztere war in den
vergangenen Monaten immer wieder Thema von heftigen Diskussionen. Aus der Rede
Sólyoms und den darauf folgenden Debatten geht eindeutig hervor, dass die
überparteiliche und schulmeisterliche Haltung des Präsidenten unweigerlich
parteipolitische Verstrickungen nach sich zieht. Ergreift der Staatschef zu
einem bestimmten Thema energisch das Wort, wird er von den Parteien umgehend
instrumentalisiert.
Dies geschah auch
bei seiner jüngsten Rede im Parlament: Während Fidesz, SZDSZ und das Ungarische
Demokratische Forum (MDF) mit dem Staatschef übereinstimmten, gingen die
Sozialisten auf Konfrontationskurs mit Sólyom. Der Präsident hatte sich in
seiner Rede zu den Vorwürfen der MSZP geäußert, wonach er nicht klar und
eindeutig zur Ungarischen Garde Stellung bezogen habe. Sólyom kritisierte nicht
nur die Panikmache, sondern auch deren politische Manipulation. Dies war ein
Seitenhieb auf die Sozialisten, die in den vergangenen Wochen lautstark vor der
Bedrohung durch die radikale Rechte gewarnt hatten.
Zugleich machte
Sólyom deutlich, dass er die Partei Jobbik als eine politische Kraft
betrachtet, die jenseits des Wertesystems der parlamentarischen Demokratie
steht. Zugleich kritisierte er aber auch die formellen und informellen
Beschränkungen, welche die zu erwartenden Demonstrationen im Zaum halten
sollen.
Auf lange Sicht
kann die Regierung ihre Position nur konsolidieren, indem sie
Handlungsfähigkeit demonstriert. Aus diesem Grund stellte Premier Gyurcsány
sein aus 48 Punkten bestehendes ganzjähriges Arbeitsprogramm vor.
Die wichtigsten Fragen
in den kommenden Wochen werden aber sein, ob die Demonstrationen in
gewalttätige Ausschreitungen münden werden, ob die Ungarische Garde bei diesen
eine Rolle spielen wird und ob die Regierung daran gehindert werden kann, ihre
Reformpolitik zu verfolgen.