Nachdem im Verlauf des Sommers die politischen Kräfteverhältnisse unverändert geblieben sind, wird die Regierung zu Beginn der parlamentarischen Herbstsaison daran gehen, ihre Position durch die Propagierung der Reformen und die Verteilung der EU-Fördergelder zu stärken. Um ihre Wählerbasis bei der Stange zu halten, wird sie auch versuchen, symbolische Themen wie die Gefahr des Rechtsradikalismus aufs Tapet zu bringen. Aus einer allfälligen Aktivierung der rechtsradikalen Gruppierungen zöge aber vermutlich keine der Parlamentsparteien Nutzen.
In den vergangenen Wochen wurde in der Öffentlichkeit immer häufiger die Befürchtung geäußert, dass sich die Anti-Regierungsdemonstrationen und Straßenunruhen des vergangenen Herbstes sowie diesen Frühjahrs wiederholen könnten. Grund hiefür gibt es allemal: Am 18. September wird sich die Veröffentlichung von Premier Ferenc Gyurcsánys Rede in Balatonőszöd jähren, am 23. Oktober wiederum wollen viele nicht nur des Volksaufstandes von 1956, sondern auch der blutigen Straßenschlachten des Vorjahres gedenken. Darüber hinaus will die radikale Rechte, die nach der Gründung der ,,Ungarischen Garde“ an Selbstbewusstsein gewonnen hat, zahlreiche Anti-Regierungsdemonstrationen organisieren. Auch plant sie, an den Demos diverser Interessenvertretungen teilzunehmen. So werden sich radikale Gruppierungen nicht nur den Protesten der unterschiedlichen Gewerkschaften anschließen, sondern auch den Demonstrationen der Studenten gegen die Einführung von Studiengebühren. Dies könnte zweierlei Folgen haben: Zum einen könnte die Präsenz der Radikalen den Demonstrationen der Interessenvertretungen den Wind aus den Segeln nehmen. Zum anderen könnte sich die nicht enden wollende Debatte über das Bedrohungspotenzial der radikalen Rechten weiter hinziehen.
Vor diesem Hintergrund hat sich in der Öffentlichkeit erneut die Meinung verbreitet, wonach es im Interesse der Regierung liegt, den Diskussionen über den Rechtsradikalismus immer wieder neues Leben einzuhauchen. Dadurch könnte sie nämlich von ihrer unpopulären Reformpolitik ablenken. Dies ist allerdings bei weitem nicht so einfach. Für Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány birgt der Beginn der parlamentarischen Herbstsaison fürwahr die Möglichkeit einer Erneuerung in sich. Um aber am eigenen Image und an der Zustimmung für die Regierung nachhaltig etwas zu verbessern, reicht es nicht aus, bloß das Schreckbild der radikalen Rechten an die Wand zu malen. Aus heutiger Sicht scheint für die Regierung der einzig gangbare Weg darin zu liegen, die vielfältigen Infrastrukturentwicklungen im Zusammenhang mit den üppig fließenden EU-Fördergeldern zu präsentieren sowie Ziel und Inhalt der Reformen zu erklären, was bis heute nicht geschehen ist. Will die Regierung aus ihrer bedrängten Lage herauskommen, muss sie endlich handfeste Ergebnisse aufzeigen. Die radikale Rechte wird allerdings alles unternehmen, um ihr hierbei im Weg zu stehen. Sollte die Regierung eine mediale Kommunikationsoffensive zur Verbesserung ihres Images starten, wird die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit dennoch auf die gewalttätigen Aktionen der Radikalen gerichtet sein.
Auch im Herbst 2006 hatte die Meinung vorgeherrscht, dass die Straßenunruhen nicht zuletzt der Regierung zugute kämen. Die katastrophale Niederlage der Regierungsparteien bei den Kommunalwahlen widerlegte jedoch diese Ansicht. Obwohl in nächster Zeit keine Wahlen anstehen, liegt es dennoch im elementaren Interesse des Regierungslagers, seinen Ruf aufzupolieren. Der Jahrestag der Rede von Balatonőszöd könnte ihm dabei jedoch einen Strich durch die Rechnung machen. So ist es nicht auszuschließen, dass erneut die ,,Lügen“ des Ministerpräsidenten und die damit einher gehenden Forderungen nach seinem Rücktritt in den Vordergrund des öffentlichen Diskurses rücken werden.
Auch für den Fidesz von Nachteil
Ein ,,heißer Herbst“ würde aber auch dem Fidesz zum Nachteil gereichen. Die Neuformierung der radikalen Rechten könnte nämlich auf lange Sicht zu Umwälzungen im rechten Lager führen. Der Vorwurf der Kooperation mit der radikalen Rechten hat schon bisher immer wieder zu Meinungsdifferenzen und widersprüchlichen Reaktionen beim Fidesz geführt. Wegen ihrer Grundstrategie, die gesamte Rechte unter einem Dach zu vereinen, muss die Partei aber weiterhin um die rechtsradikalen Wähler buhlen. Die Gründung der ,,Ungarischen Garde" durch die rechtsradikale Partei Jobbik hat aber unversehens zu einer neuen Situation geführt. Angesichts des politischen wie gesellschaftlichen Drucks kann der Fidesz nicht umhin, sich von der ,,Garde“ zu distanzieren. Dies wiederum löste helle Empörung im Lager der radikalen Rechten aus. Sollte sich der Fidesz in Sachen Rechtsradikalismus künftig aber weiterhin in Duckmäuserei üben, kann es leicht passieren, dass der Partei die gemäßigten Wähler davon laufen. Die Partei ist daher angehalten, glaubhaft zu beweisen, dass sie mit der radikalen Rechten nicht gemeinsame Sache macht. In diesem Zusammenhang stellt sich freilich auch die Frage, ob Jobbik imstande sein wird, den radikalen Wählern des Fidesz eine politische Heimat zu bieten. Hierzu müsste sie nämlich auf Konfrontation mit dem Fidesz gehen. Zusammenfassend wäre es also auch für den Fidesz von Nachteil, wenn der Herbst im Zeichen gewalttätiger Ausschreitungen rechtsradikaler Gruppierungen stehen würde. In diesem Fall müsste die Partei ihr Verhältnis zur radikalen Rechten wieder neu deklarieren. Und dies würde sie an Zustimmung sowohl bei den Radikalen als auch bei den gemäßigten Wählern kosten.