"In keinem
einzigen Fall wird gegen Siemens ermittelt"
Seit gut einem
Monat hat die Siemens Zrt. in der Person von László Szentkuti einen neuen
Vorstandsvorsitzenden. Als eine seiner wichtigsten Aufgaben sieht er an, den
angekratzten Ruf von Siemens in Ungarn wieder zu verbessern.
Wie steht es momentan um die Themen, mit denen
Siemens in den vergangenen Monaten für negative Schlagzeilen gesorgt hat?
Wesentlich für
uns ist, dass in keinem einzigen Fall gegen Siemens ermittelt wird.
Gehen wir die Sachen doch kurz einmal durch.
Fangen wir bei den Bestechungsvorwürfen bezüglich eines Auftrages des
Verteidigungsministeriums an.
Aus meiner Sicht
ist hier keinerlei Bestechung erfolgt. Es geht darum, dass Siemens ganz
offiziell der über die Ausschreibung entscheidenden Behörde technische
Gegenstände zur Verfügung gestellt hat. Konkret geht es um ein Telefon und zwei
Monitore. Aus diesem Sachverhalt hat ein anonymer Zeuge eine große
Bestechungsstory aufgebauscht. Es soll unter anderem viel Geld geflossen sein.
Wir sind uns so gut wie sicher, dass es sich bei dem anonymen Zeugen um einen
ehemaligen Mitarbeiter von uns handelt, der nicht im Frieden von uns gegangen
ist und meint, er müsse uns jetzt richtig eins auswischen. Das ist nichts
Besonderes. Alle Unternehmen leben heute mit dem Risiko, Opfer der Rache von
gekündigten Mitarbeitern zu werden. Ich bin überzeugt, dass hier nichts
Unkorrektes passiert ist. Die Vorwürfe halte ich für hochgradig unglaubwürdig.
Zumal es in dem vorliegenden Fall gar nicht mehr darum gehen konnte, dass sich
Siemens mit gewissen Handlungen einen Vorteil verschafft. Zu dem Zeitpunkt, als
die Vorfälle passiert sein sollen, stand unsere Firma längst als Lieferant
fest. Siemens ist weltweit ein Exklusiv-Lieferant der NATO.
Nächster Fall: Satelit TV.
Ich glaube, dass
in diesem Fall ein findiger ungarischer Geschäftsmann versucht, sich auf Kosten
eines multinationalen Unternehmens Publizität und möglicherweise finanzielle
Mittel zu verschaffen. Der Sender Satelit TV wurde von Siemens mit nicht wenig
Geld unterstützt. Siemens durfte im Gegenzug die Buchhaltung dieses Senders
überprüfen. Das haben wir auch gemacht. Das Geld, das wir der Firma gegeben hatten,
wurde zu einem großen Teil ganz regulär für Marketingkampagnen und für sonstige
anfallende Kosten verwendet. Dafür liegen in der Buchhaltung des Senders
entsprechende Belege vor. Trotzdem behauptet der Geschäftsmann, dass er mehr
als die Hälfte des erhaltenen Geldes wieder an uns zurückgeben musste. Ein
entsprechendes Verfahren, das diese Behauptung zum Inhalt hatte, wurde übrigens
bereits eingestellt. Trotzdem versucht der Geschäftsmann weiterhin Druck auf
uns auszuüben. Dazu muss man wissen, dass der Sender mittlerweile Pleite
gegangen ist und dass sich das Finanzamt sehr für den Verbleib der nachweislich
eingegangenen, nicht unbeträchtlichen Sponsorengelder interessiert.
Drittes Thema: Die Zahlung von Geldern an Firmen,
die Obdachlosen gehören.
Das ist kein
schönes Thema. Aber auch hier wird nicht gegen Siemens ermittelt. Tatsache ist
aber, dass Siemens mit Firmen Beraterverträge abgeschlossen hat, die auf den
Namen von Obdachlosen laufen. Wir kannten die Obdachlosen nicht. Für uns war
ein gewisser Herr Schrödl, der seit Auffliegen des Falls auf der Flucht ist,
der Ansprechpartner. Er war unser direkter Vertragspartner. Nur er ist als
Vertreter seiner Firmen bei uns aufgetreten. Dass jemand nicht mit einer,
sondern mit mehreren Firmen für uns tätig ist, muss kein Grund zum Argwohn
sein. Das kann einfach steuerliche oder sonstige Gründe haben. Erst in dem
Moment, als die Ermittlungen gegen Herrn Schrödl und wenig später gegen die
Obdachlosen begannen, haben wir davon erfahren, dass die Firmen inaktiv sind.
Das ist eine hochgradig unangenehme Geschichte für uns. Wir müssen zugeben:
Einige Dinge sind auch von unserer Seite nicht gut gelaufen. Hausinterne Regeln
über den Vertragsabschluss mit Subunternehmern wurden nicht beachtet. Ich sehe
hier kein strafrechtlich relevantes Verhalten unsererseits.
Auch bei der Erfüllung des Combino-Auftrages für
die Budapester Verkehrsbetriebe hagelte es für Siemens negative Schlagzeilen.
In diesem Fall
entbehrt die negative Berichterstattung über Siemens nun wirklich jeglicher
Grundlage. Wir haben vertragsgemäß unsere Leistung erbracht. Dann begann das
große Gezeter. Es gehört zu unserer Firmenpolitik, dass wir uns mit Blick auf
unsere guten Beziehungen zu unseren Geschäftspartnern aus solchen Debatten
heraushalten. In der heißen Phase der Combino-Diskussion haben wir daher nur
auf unseren eigenen Verantwortungsbereich bezogen, als technologischer Partner
kommuniziert. Inzwischen haben sich die Wogen wieder geglättet. Die Combinos
fahren einwandfrei. Sie sind eine Bereicherung für das moderne Stadtbild
Budapests. Die Leute fahren gern mit ihnen. Die nachfolgenden Combinos wurden
planmäßig ausgeliefert. Oberbürgermeister Gábor Demszky, der Siemens zeitweise
unter heftigen verbalen Beschuss genommen hatte, hat sich inzwischen bei den
Budapester Einwohnern entschuldigt und nachdrücklich eingeräumt, dass die
Combinos aus Kostengründen ohne Klimaanlage bestellt wurden. Von uns lag
ursprünglich auch ein Angebot mit Klimaanlage vor.
Und was war mit den zahlreichen technischen Schwierigkeiten
am Anfang?
Die gibt es immer
in der Einführungsphase eines Fahrzeuges. Besonders wenn es sich um ein neu
entwickeltes Produkt handelt. Zumal die Combino in einer speziellen
Ausfertigung für Ungarn produziert wurde. Alle Nachbesserungsarbeiten erfolgten
voll im vertraglich dafür vorgesehenen Rahmen. Bei der öffentlichen Wahrnehmung
des Themas spielte aber die Psychologie eine große Rolle. Wenn mit einem Mal
durch einen kleinen technischen Defekt sechs Combinos hintereinander auf dem
Großen Ring stehen – was auf der Strecke mit der höchsten Taktfrequenz Europas
rasch passieren kann –, dann ist das natürlich kein schönes Bild. Plötzlich
fühlt sich aber jeder Passant als Technikexperte und berufen, Siemens ,,schwere
Fehler“ zu unterstellen. Und schon schießen die Spekulationen ins Kraut. Dazu
kommt, dass vor den Kommunalwahlen im vergangenen Herbst die Gemüter sowieso
schon etwas aufgeheizt waren.
Es kursierte auch eine Behauptung, wonach viele
technische Probleme zu umgehen gewesen wären, wenn die Straßenbahnen wegen des
nahen Wahltermins nicht verfrüht und in einem nicht endgültig ausgereiften
Zustand auf die Budapester Schienen gelassen worden wären.
Diesen Vorwurf
kann ich nicht bestätigen. Wir haben die Bahnen im besten technischen Zustand,
entsprechend unseres Zeitplanes, der lange Zeit vor den Wahlen vertraglich
festgelegt worden war, geliefert. Die Bahnen waren zuvor vorschriftsgemäß
getestet worden. Der spezielle Ablauf einer Einführungsphase konnte vielleicht
wegen des erhöhten Publikumsinteresses nicht richtig eingeschätzt werden.
Obwohl von Ihrer Warte aus Siemens in allen vier
Fällen nichts Gravierendes vorzuwerfen
ist, reichten diese vier Themen aus, um die Führung der Firma auszutauschen. Im
Herbst kam es zu den negativen Schlagzeilen und bereits im Dezember wurden Sie
von Péter Hetényi, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Siemens Zrt., auf einen
Wechsel an die Siemens-Spitze angesprochen. Die zeitliche Nähe suggeriert einen
Zusammenhang.
Das müssten Sie
eher Péter Hetényi fragen. Dazu kann ich mich eigentlich nicht äußern.
Wie ist die neue Position Ihres Vorgängers zu
bewerten?
Gábor Beke-Martos
bekleidet in der Zukunft eine neue Position in der Organisation von Siemens.
Mit der Siemens Zrt. wird er nichts zu tun haben.
Impliziert der Wechsel an der Spitze nicht auch
eine gewisse Schuldzuweisung an die Adresse Ihres Vorgängers?
Nein. Hier geht
es um Verantwortung. Wenn irgendwo etwas passiert, was nicht in Ordnung zu sein
scheint, dann habe ich als Chef dafür eine Verantwortung zu tragen. Dieser muss
ich gerecht werden. Das ist unabhängig von Verdächtigungen oder einem direkten
persönlichen Anteil an Vorfällen. Ich glaube, dass die Personalentscheidung
auch damit etwas zu tun hatte, dass man – wie auch in Deutschland – mit der
Wahl einer bisher externen Person zeigen wollte, dass man es mit einem
Neuanfang ernst meint. Wir sind mit unangenehmen Themen in Verbindung gebracht
worden und haben teilweise nicht adäquat darauf reagiert. Meine Person steht
für einen Neuanfang in diesen Fragen. Ich komme von außen und sehe hier alles
viel nüchterner. Dadurch bin ich in der Lage, bei meiner Entscheidungsfindung
stärker den reinen Fakten Berücksichtigung zu schenken.
Mit welchen Strategien wollen Sie das entstandene
PR-Desaster beheben?
Unser neues Motto
ist: ,,clean and strong“. Wir müssen transparent und überprüfbar sein. Wir
werden das Thema Compliance mit einem hauptamtlichen Compliance Officer
verstärken. Außerdem wollen wir unsere Öffentlichkeitsarbeit intensivieren. Je
stärker wir selbst das Licht der Öffentlichkeit suchen, umso glaubwürdiger
werden wir und umso einfacher ist es für Außenstehende, gewisse Ereignisse zu
verstehen und Schritte nachzuvollziehen. Außerdem wollen wir verstärkt
versuchen, selbst Themen zu setzen. Wir tun so viel Positives für Ungarn.
Darüber muss gesprochen werden! In Ungarn gibt es leider viele Obdachlose. Das
ist ein Ergebnis der wirtschaftlichen und politischen Wandlung der vergangenen
etwa 15 Jahre. Es kann aber nicht sein, dass ein Hochtechnologiekonzern wie Siemens
permanent mit Obdachlosen in Verbindung gebracht wird. Daran werde ich etwas
ändern. Einen guten Anfang haben wir bereits hinbekommen.
Hat der angeschlagene Ruf negative Effekte auf das
Geschäft gehabt?
Nein. Wir legen
unverändert ein solides Wachstum vor. Unser im September zu Ende gehendes
Geschäftsjahr werden wir besser abschließen als geplant.
Sie wurden sicher nicht nur als Krisenmanager zu
Siemens berufen? Auf welchen Gebieten wollen Sie mit Blick auf die Zukunft von
Siemens Akzente setzen?
Ich habe zwei
Hauptaufgaben: erstens das makellose Image von Siemens in Ungarn wieder
herzustellen und zweitens eine Strategie für dieses Unternehmen auszuarbeiten.
Diese werde ich Ende Oktober vor dem Zentralvorstand präsentieren und erst dann
mit Einzelheiten an die Öffentlichkeit gehen. Nur soviel: Wir haben uns bisher
zu sehr auf die einzelnen Bereiche konzentriert. Uns fehlte eine
bereichsübergreifende Strategie. Schon nach meinen ersten Wochen an der Spitze
sehe ich, dass Siemens zu deutlich mehr in der Lage ist, als es gegenwärtig
leistet. Auch könnte unsere Dienstleistungsstruktur effektiver sein.