Debatte um Gesundheitsreform hat erst begonnen
Obwohl der Kompromissvorschlag der Koalitionsparteien in Sachen Gesundheitswesen in den Medien als Sieg der Freien Demokraten (SZDSZ) präsentiert wurde, spiegelt er in fast jeglicher Hinsicht die fachpolitischen Vorstellungen der Sozialisten (MSZP) wider. Die oppositionellen Jungdemokraten (Fidesz) sehen in den Regierungsplänen die Vermarktung des Gesundheitswesens und die Einführung eines Mehrversicherungsmodells. Mit Blick auf die unterschiedlichen Modelle der Krankenversicherung hat die Debatte faktisch erst jetzt begonnen.
Das kürzlich vorgelegte gesundheitspolitische Reformvorhaben der Regierung ist ein gutes Beispiel dafür, dass es eine grobe Vereinfachung ist, die Umstrukturierung des Gesundheitswesens auf eingängige Formeln zu reduzieren, so etwa auf die Frage des Ein- oder Mehrversicherungsmodells. Das neue Modell der Regierung sieht bis auf weiteres eine einheitliche Krankenversicherung vor. Allerdings soll es künftig auch Krankenversicherungen geben, die miteinander in Wettbewerb treten. Doch gilt auch hier: Mindestens 51% der Anteile an diesen Krankenversicherungen müssen in staatlicher Hand sein. Die Landeskrankenkasse (OEP) soll in Zukunft von einer zentralen Behörde ersetzt werden, die den Krankenkassen auf Grundlage eines Quotensystems die Einnahmen regional zuteilt.
Mehrere staatliche Versicherungen
Obgleich der gesundheitspolitische Kompromiss in den Medien vorwiegend als Triumph des SZDSZ verbucht wurde, spiegelt er in jedweder Hinsicht die Vorstellungen der MSZP wider. So soll es nicht auf der Ebene der Krankenversicherungen, sondern nur auf jener der Krankenkassen einen Wettbewerb geben, und dort auch nur in stark eingeschränkter Form: Die staatliche Krankenversicherung soll bestehen bleiben, daneben werden auf regionaler Ebene mehrere Krankenkassen entstehen. Nach den Plänen der Regierung werden die miteinander im Wettbewerb stehenden Krankenkassen jedoch nicht in der Grundversorgung tätig sein, sondern lediglich in der ,,ergänzenden“ Versorgung. Die Krankenkassen werden auch nicht als autonome Marktteilnehmer fungieren, wird doch der Staat Mehrheitseigentümer sein. Was die ,,ergänzende“ Versorgung angeht, soll diese auf regionaler Ebene verwirklicht werden. Wie fern das jetzige Modell von den Vorstellungen des SZDSZ ist, illustriert eine Äußerung des Leiters der gesundheitspolitischen Arbeitsgruppe in der Staatsreformkommission, Péter Mihályi. Der liberale Ökonom sagte im Zusammenhang mit dem derzeitigen Konzept: ,,Es macht keinen Sinn, wenn anstelle einer staatlichen Versicherung mehrere staatliche Versicherungen tätig sind.“
Öffentliche Meinung schwankt stark
Die ersten Reaktionen auf das Gesundheitskonzept der Regierung waren nicht gerade positiv: Auf der einen Seite sehen die Versicherungen nicht viel Sinn darin, in die Krankenkassen zu investieren. Auf der anderen Seite gehen die Experten davon aus, dass das neue Modell ohnedies nicht zu verwirklichen sei. Im Zuge der fachlichen und politischen Debatten um das neue Gesundheitsmodell wurde eine Frage besonders häufig aufgeworfen: Warum soll es sich für einen Investor lohnen, in die Krankenkassen zu investieren? Regierungspolitiker wiesen darauf hin, dass Investoren in den regionalen Krankenkassen zwar Minderheitsanteile erlangen können, mit Profiten sollten sie kurzfristig aber nicht rechnen.
Kaum waren die Koalitionsstreitigkeiten im Zusammenhang mit den Versicherungsmodellen im Gesundheitswesen abgeebbt, traten die Debatten zwischen Regierung und Opposition mit voller Wucht in den Vordergrund. Der Fidesz hatte sich auf die Kampagne gegen das neue Gesundheitsmodell gut vorbereitet: Bereits vor der Bekanntgabe des neuen Modells wies die Oppositionspartei die ,,Privatisierung“ von Gesundheitswesen und Sozialversicherung zurück. Angesichts der heftigen Kritik von Seiten der Opposition befindet sich das Regierungslager nun in einer schwierigen Situation. Das größte Problem der Regierung sind die widersprüchlichen Botschaften der beiden Koalitionsparteien: Während die MSZP mit dem neuen Gesundheitsmodell eine einheitliche staatliche Sozialversicherung, die Beibehaltung der Grundversorgung und die Verwirklichung des Solidaritätsprinzips verbindet, heben die Liberalen vor allem den marktwirtschaftlichen Wettbewerb und die Zulassung des Privatkapitals hervor. Obendrein sind die Argumente des SZDSZ Wasser auf die Mühlen des Fidesz.
Die konträren Botschaften der Koalition gereichen aber eher den Sozialisten zum Nachteil. Allerdings ist auch zu beobachten, dass die öffentliche Meinung im Zusammenhang mit der Frage der Versicherungsmodelle noch formbar ist. Fakt ist aber, dass ein auf Privatversicherungen basierendes, marktorientiertes Mehrversicherungsmodell in weiten Teilen der Gesellschaft schandbar unbeliebt ist. Laut Erhebungen liegt die Unterstützung für das Mehrversicherungsmodell bei 5%. Mit Blick auf das so genannte ,,Mischmodell“ sind die Umfragen widersprüchlich: Das Meinungsforschungsinstitut Médián maß eine Unterstützung von 55%, das politische Forschungsinstitut Századvég eruierte 29%, und eine vom SZDSZ in Auftrag gegebene Erhebung kam auf 61%. Angesichts der großen Meinungsschwankungen in dieser Frage haben die politischen Kräfte noch viel Spielraum, um die öffentliche Meinung entscheidend zu beeinflussen.
In den kommenden Monaten wird sich alles auf eine Frage zuspitzen: Wird es der MSZP gelingen, die Wähler davon zu überzeugen, dass das ,,Mischmodell“ zur Verbesserung des Gesundheitswesens beitragen und niemanden benachteiligen wird, oder wird der Fidesz mit seiner Argumentation die Oberhand behalten, wonach das ,,marktorientierte Mehrversicherungsmodell“ die unteren sozialen Schichten ausschließen wird. Die Debatte um die Gesundheitsreform kann also noch lange nicht als abgeschlossen betrachtet werden. Vielmehr hat sie erst jetzt begonnen. Und es steht viel auf dem Spiel: Hinsichtlich der Beurteilung der Regierung bei den Parlamentswahlen 2010 werden die Wähler vor allem über den Erfolg beziehungsweise Misserfolg der Reformen – dabei nicht zuletzt über jene im Gesundheitswesen – befinden. Die Absicht des Fidesz, auch das Mehrversicherungsmodell einer Volksabstimmung zu unterziehen, wird das wahlpolitische Gewicht der Gesundheitsreform noch zusätzlich erhöhen.