Brutaler Angriff auf die Pressefreiheit
Die ungarische Journalistin Irén Kármán wurde am Freitag vor zwei Wochen von einem Fischer am Donauufer des 20. Bezirks gefunden. Sie war spätnachts in Pesterzsébet in ein Auto gezerrt, brutal zusammengeschlagen und dann mit gefesselten Händen am Fluss abgeladen worden. Die 40-jährige Mutter von drei Kindern wurde ins Szent-János-Krankenhaus gebracht. Dort wurde sie am Samstagmorgen einer Notoperation unterzogen, um möglicherweise lebensbedrohliche innere Blutungen zu stoppen.
Dieser Vorfall bietet nicht nur Anlass, sich ernsthaft Sorgen um die ungarische Pressefreiheit zu machen. Er bringt auch einen riesigen post-kommunistischen Korruptionsskandal zurück auf die politische Tagesordnung, der bereits als abgeschlossen galt. Dabei handelt es sich um die so genannte ,,Ölmafia“ – ein weit reichendes Netzwerk der Korruption und des organisierten Verbrechens, das in den 90er Jahren billiges Heizöl als Diesel verkaufte. Der Fall könnte die Mitglieder aller politischer Parteien betreffen, die in Ungarn seit dem Systemwechsel an der Macht waren. Kármán hatte ein Buch über den Fall geschrieben und im vergangenen Jahr einen Dokumentarfilm darüber gedreht. Im Moment arbeitet sie an dem Drehbuch für einen weiteren Film über die Affäre.
Ungefähr 100 Journalisten haben am Sonntag vor dem Szent-János-Krankenhaus einen stillen Protest abgehalten. Der OSZE-Repräsentant für Pressefreiheit, Miklós Haraszti, forderte ernsthafte Nachforschungen in diesem Fall.
Kármán erklärte am vergangenen Dienstag gegenüber der Nachrichtenagentur MTI, sie werde keine Verdächtigungen über potenzielle Täter äußern, bevor sie sich vollständig erholt habe. Also begannen andere zu spekulieren, so zum Beispiel der ehemalige Polizeibeamte Ferenc Labancz. Er behauptete im privaten Fernsehsender TV2, dass Kármán allen Anzeichen nach von Polizisten verprügelt worden sei. Die Polizei wies die Anschuldigungen umgehend zurück.
Ein weiterer ehemaliger Polizist mit direkten Verbindungen zum Ölmafia-Fall ist István ,,Papa“ Sándor. Der frühere Ermittlungschef in Sachen Ölmafia spielte eine herausragende Rolle in Kármáns Dokumentarfilm ,,Im Angesicht der Mafia“. Sándor sagte der Zeitung Népszabadság, dass der Angriff möglicherweise eine Botschaft für Tamás Portik gewesen sei, den früheren Vorstandsvorsitzenden und Besitzer von Energol. Sein Unternehmen war in den 90er Jahren ebenfalls in den Ölskandal verwickelt, die Verfahren gegen Portik wurden jedoch 2003 eingestellt, nachdem die Verjährungsfrist abgelaufen war. In einem Interview, das Index.hu vergangene Woche veröffentlichte, gab Kármán zu, dass sie eine Beziehung mit Portik gehabt habe.
Einige von Kármáns Freunden und Mitarbeitern hatten kürzlich in Interviews erklärt, sie hätten sie vor der Gefahr gewarnt, in die sie sich begibt. Sándor sagte, er selbst könne ebenfalls noch mehr Informationen über den Ölbetrug ans Licht bringen. ,,Aber wenn ich rede, könnte morgen mein Auto in die Luft fliegen.“
Ungarische Politiker aller Lager beeilten sich, den Angriff zu verurteilen. Am Sonntag nach der Attacke bat Premier Ferenc Gyurcsány den frisch gebackenen Polizeichef József Bencze, die Ermittlungen höchstpersönlich zu überwachen. Während des Systemwechsels war Bencze Abteilungsleiter im Innenministerium, später Berater der MSZP-Regierung unter Gyula Horn und danach zehn Jahre lang Leiter der Zollaufsicht. Gleichzeitig forderte der Fidesz sofortige und umfassende Nachforschungen. Der Vorsitzende der kleineren konservativen Oppositionspartei MDF, Ibolya Dávid, verlangte die Freigabe der Geheimdokumente des Ölmafia-Ausschusses aus dem Jahr 2000.
Kármán reagierte darauf mit einem Eintrag in ihrem Blog. Sie schreibt dort, dass damals sowohl der Fidesz als auch das MDF massiv dazu beigetragen hätten, die Arbeit des Ölausschusses zu behindern. ,,Ich will keine scheinheiligen Solidaritätsbekundungen – gegen genau diese Dinge kämpfe ich“, schrieb sie. Ihr Dokumentarfilm enthülle, dass das MDF während seiner Regierungszeit von 1990 bis 1994 gewarnt wurde, das unterschiedliche Preissystem von Heizöl und Diesel sei keine gute Idee. Sie fügte hinzu, die Regierung sei in der Verantwortung, ,,uns von jenen Politikern zu befreien, deren Namen während der Nachforschungen über die Öl-Verbrechen ans Licht kamen.“
György Szilvásy, der für den Geheimdienst verantwortliche Minister, kündigte am Mittwochmorgen an, eine Arbeitsgruppe der Regierung werde am nächsten Tag damit beginnen, die Geheimdokumente zur Ölmafia noch einmal durchzusehen. Es handelt sich dabei um etwa 80.000 Seiten, die auf 85 Jahre zum Staatsgeheimnis erklärt worden waren. Szilvásy sagte, es sei nicht im Interesse der Regierung, die Dokumente geheim zu halten – einige von ihnen hätten niemals unter Verschluss gehalten werde dürfen. Er betonte zudem, dass dies während der Regierungszeit des Fidesz angeordnet worden sei. Die Durchsicht der Dokumente kann Wochen oder Monate dauern und wird laut Szilvásy nicht automatisch zu ihrer Veröffentlichung führen. Das legt die Vermutung nahe, dass jegliche Nachprüfungen hinter verschlossenen Türen stattfinden könnten – wie bereits die Anhörungen im früheren Ölausschuss.