Figyelő: Der Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins Figyelő, Péter Martin József, macht sich darüber Gedanken, ob die viel gescholtene Wirtschaftspolitik der Regierung wirklich als ,,neoliberal“ apostrophiert werden kann.
,,Die Regierung Gyurcsány verfolgt eine neoliberale Politik – dieser Mythos wabert heute in beiden großen politischen Lagern des Landes. Als ,,neoliberal“ wird jenes Modernisierungsprogramm bezeichnet – insbesondere vom oppositionellen Fidesz, doch angesichts des Popularitätsverlusts der Regierungskoalition auch zunehmend von der regierenden MSZP sowie linken Intellektuellen –, das vor einem Jahr lanciert wurde und nur zögerlich voranschreitet. Das ,,neoliberale“ Programm wird dem Land sozusagen vom Juniorpartner in der Regierung aufgezwungen. Der Vorwurf lässt sich auf folgenden Satz reduzieren: Unter dem Einverständnis von Gyurcsány tanzt die Regierung nach der Pfeife des SZDSZ. Die liberale Partei ist zwar klein, doch ist die MSZP auf Gedeih und Verderb von ihr abhängig; folglich müssen auch die verquersten Ideen des SZDSZ verwirklicht werden. (…) Reform oder Sturz? – diese Frage stellte vor mehr als einem Jahr der damals frisch gebackene Regierungschef bei seiner berüchtigten Rede in Balatonőszöd in den Raum. Nach vier Jahren der unverantwortlichen Staatsausgaben und der daraus resultierenden tiefen Budgetkrise hatte die linksliberale Regierungskoalition keine andere Wahl, als mit Sparmaßnahmen das Vertrauen wiederherzustellen. Zur Senkung des Rekorddefizits bot sich als der am ehesten gangbare Weg eine vorwiegend auf Steuererhöhungen basierende Budgetkonsolidierung an – diese lief früheren Versprechungen, ja Gesetzen allerdings zuwider. Als der einzige wirkliche Erfolg der zweiten Regierung Gyurcsány kann die Stabilisierung der Finanzlage des Landes betrachtet werden. Die Wirtschaftsdaten Ungarns (gemeint sind die so genannten Maastrichter Kriterien: Budgetdefizit, Staatsverschuldung, Inflation) sind unter den postkommunistischen Mitgliedsstaaten der EU zwar noch immer am schlechtesten, allerdings verzeichnet das Land doch einen Aufwärtstrend. Der Preis der Konsolidierung bestand allerdings darin, dass von einem Zurückdrängen des Staates, wenn Sie so wollen: einer ,,neoliberalen“ Politik bislang nicht im Entferntesten die Rede sein konnte. Was den Wettbewerb angeht – zuletzt veröffentlichte die schweizerische IMD eine Statistik – rutscht Ungarn immer weiter hinter seine ostmitteleuropäischen Konkurrenten zurück. Die Gründe hierfür liegen einerseits in den hohen Steuern und Abgaben, andererseits in den qualitativ minderwertigen, ineffizienten Dienstleistungen des Staates verborgen. Die aus dem Steuersystem resultierende schlechte Wettbewerbsfähigkeit würde auf jeden Fall eine ,,neoliberale“ Therapie benötigen. (…) Die begonnenen Reformen befördern weder die Freiheit des Individuums noch unterstützen sie die Eigeninitiative – wir finden nur hie und da liberale Regierungsmaßnahmen. Es sind Versuche zu beobachten, einzelne staatliche Systeme von oben zu modernisieren, von der Ausweitung der Eigeninitiative sowie des Marktes kann allerdings nicht die Rede sein.
(…) Nein, was wir in Ungarn derzeit sehen, hat wenig mit einer ,,neoliberalen“ Politik zu tun.“